Christliche Kunstblätter, 93. Jg., 1955, Heft 3

gende Verwendung. Diese Richtungsverbindung der beiden Richtungen nach unten und nach oben finden wir nicht nur in der aus der Laby rinthvorstellung stammenden Umkreisung der Mitte, sondern auch in einer Reihe von Texten auch aus christlicher Zeit. Wenn es zum Beispiel in dem Text der Grabweihe heißt: „Es steige hinab in das Grab Dein heiliger Geist, damit auf Dein Geheiß der hier Ruhende zur Zeit des Gerichtes die Auferstehung mit allen Heiligen haben kann" oder eine Stelle im Karsamstags hymnus vom Heiligen Grab: „Da Dich oben auf dem Throne und unten in dem Grabe die Über irdischen und Unterweltlichen sahen, staunten sie, mein Erlöser, über Deinen Tod, denn über alle Vernunft erscheinst Du im Tod als Anfän ger des Lebens." Das Christentum übernimmt die runden und kreuzförmigen Grab- und Memorienbauten aus der römischen und provinzial-römischen Architektur und ergänzt den Aufgabenbereich dieser Architekturform um ein weiteres sehr wichtiges Gebiet, nämlich das Baptisterium. Die Taufe, von der es heißt: „Wiedergeboren aus dem Wasser und dem Hei ligen Geist" ist ein mystischer Tod, wie Dionysios Areopagita sagt: „Zutreffend ist das voll ständige Verbergen im Wasser zu einem Bild des Todes" (Kirchliche Hierarchie, Kapitel 2/ 17/117). Auch hier ist die Richtungsverbindung des Versenkens und Erhebens das Wesentliche. Bei vielen Zentralbauten verbinden sich unter irdische Kryptaräume mit Kuppeln, die von den frühesten Zeiten an in einer gewissen sym bolischen Beziehung zu dem Himmel gebracht werden. Die konstantinische Peterskirche ist die erste Kirche, die über einem Heiligengrab errichtet wurde. Vor allem die neuen Ausgrabungen haben einwandfrei erwiesen, daß das Grab Petri wirklich unterhalb der konstantinischen Peterskirche gelegen war. Der Altar wurde in dieser Kirche über dem Grab errichtet. Es kann als sicher angenommen werden, daß dies der erste Fall ist, bei dem in der christlichen Ar chitektur eine Verbindung eines monumen talen Langhausbaues für die neu eingerichtete heilige Messe als Gemeinderaum und einer Heiligenmemoire durchgeführt wurde. Erst vom späten 4. Jahrhundert an wurde es üblich und erst vom 5. Jahrhundert an Gesetz, in jedem Altar die Reliquie eines Heiligen niederzulegen. Mit dieser Übung kam aber ein neues Element in den ursprünglichen Raumkomplex, und zwar eine von den Zentralbauten abgeleitete Betonung der senkrechten Achse. Die Auf nahme zentralräumlicher Tendenzen führte hier schließlich zu der Errichtung einer Krypta unter dem Altare und eines Vierungsturmes oder einer Kuppel über dem Altar. Die Verbindung von Langhausbau und Zentralbau ergab von dieser Grundvoraussetzung aus eine reiche Fülle an • einzelnen Erscheinungsformen die ganze christliche Kunst hindurch. Einmal aber, unter der Regierung des Kaisers Justinian in der Zeit von 532—537, wurde in Konstantinopel die einzigartige Wunderleistung der Hagia So phia errichtet, von der Justinian bei der Weihe sagen konnte, „Salomo, ich habe dich übertrof fen." Wenn das Raumbeherrschende in diesem Bau zwar die Kuppel ist, so ist doch die Grund konzeption eines basilikalen Langhausbaues in ihm voll erhalten und gerade dort die Vereini gung beider Systeme in einzigartiger Weise gelungen. Die byzantinische Architektur des Mittel alters entfaltete in steigendem Maße die in die sem System grundgelegten zentralräumlichen Tendenzen. Die westliche katholische Architek tur des Mittelalters entfaltete dagegen immer stärker den Langhausbau. Im 9. und 10. Jahr hundert lebte das Querhaussystem wieder neu auf und wurde von da aus die, beherrschende Bauweise aller mittelalterlichen Großbauten. Das quadratische Element, das durch den Altar baldachin von Anfang an in den gesamten Kom plex eingezogen war, bildete von nun an die Grundlage der gesamten Anlage im gebundenen System. Der Platz der Kreuzung der beiden Achsen wurde quadratisch zur Vierung aus gebaut, von der aus nach quadratischem Sy stem sich nach links und rechts das Querhaus öffnete. Wenn auch in der folgenden Zeit dieses System in manchem verändert wurde und durch die Einführung eines Chorquadrates zwischen Vierung und Apsis eine Verlängerung des Ge samtbaues nach Osten hin erfolgte, so bleibt doch der ursprüngliche Bestand in den wesent lichen Punkten bestehen. Der Ursprung des christlichen Kultbaues liegt also im Römischen. Seine Wurzel ist nicht pro fan, sondern sakraler Natur, da dieser Raum nicht allein von den Versammlungsräumen ir discher Zwecke abzuleiten ist, sondern aus den Räumen für den höchsten römischen Kult, dem Kaiserkult. Die Übertragung dieses imperialen Bauschemas aus der römischen Kunst auf den christlichen Gottesdienst kommt also einer Art Stiftung gleich, bei der der Kaiser das Höchste, das ihm zur Verfügung stand, der neuen Re ligion übergab. Es handelt sich aber dabei nicht bloß um eine formale Übertragung. Diese Raumanlage, die in ihrem Wesen aus einem Wegraum, einem Versammlungsraum und einem Sanktuarium besteht, die in ihrer achsialen Gliederung auf den prozessualen Cha rakter, der darin abgehaltenen Handlung hin97

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