Christliche Kunstblätter, 93. Jg., 1955, Heft 3

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Titelbild: G. Meistermann, Heiiiggeisttenster In der Kirche St. Kilian in Schweinturt INHALT SEITE UM DIE BEGEGNUNG VON KIRCHE UND KUNST Günter Rombold (Linz) 89 PRINZIPIEN SAKRALER KUNST Otto Mauer (Wien) 91 URSPRUNG UND WESEN DES CHRISTLICHEN KULTBAUES Gerhart Egger (Wien) 94 ABSTRAKTE KUNST IM KIRCHEN RAUM Walter Warnach (Köln) 98 SITUATION DER ZEITGENÖS SISCHEN SAKRALEN KUNST IN FRANKREICH M. R. Capellades, O. P. (Paris) ,. 106 DIE GEGENWARTIGE SITUATION DER CHRISTLICHEN KUNST P. Urban Rapp, O. S. B. (Abtei Münsterschwarzach) 110 BEGEGNUNG VON PRIESTER UND KÜNSTLER Georg Meistermann (Frankfurt) ..114 An der Gestaltung dieses Heftes wirkten mit: Dozent DDr. Gerhart Egger (Wien) und akad. Maler W. Ekkert (Wien), der auch die Titelseite entwarf EINZELPREIS DES HEFTES: 15 SCHILLING CHRtSTLICHE KUNSTBLÄTTER, Eigentümer, Verleger und Herausgeber: Diözesan-Kunstverein,Linz a. d. D., Herrenstra^e 19. Schriftleiter: Professor Dr. Norbert Miko, Linz, Petrinum. — Für die Diözese St. Pölten: Prälat Dr. K. B. Frank, St. Pölten, Domplatz Nr. 1. — Der Jahrgang besteht aus 4 Heften. Bezugspreis für den ganzen Jahrgang: 40 S. Posfscheckkonto Wien 26.090; für das deutsche Bundesgebiet 8 DM, Postscheckamt München, Konto Nr. 120.088; für das übrige Ausland 2 Druck: Jos. Feichtingers Erben, Linz, Hauptplatz 18. Klischees: Kübler & Co., KG., Linz; Abb. 46—49 von Angerer u. Göschl, Wien. / A A

DIE MODERNE KUNST IM SAKRALEN RAUM Die Tagung „Die moderne Kunst im sakralen Raum" vom 4. bis 7. Juli 1955 in Wilhering hat so Bedeutendes geboten, daß sich die Schriftleitung entschloß, eine Nummer der „Christ lichen Kunstblätter" dieser Tagung zu widmen und die Hauptreferate abzudrucken. Die Tagung muß als erster und gelungener Versuch in Österreich gewertet werden, eine Begegnung zwischen Prieslern und Künstlern herbeizuführen und gemeinsam wesentliche Probleme durchzubesprechen, um so die Kluft zwischen der Kirche und der modernen Kunst überbrücken zu helfen. Die große Beteiligung — gegen 200 Teilnehmer waren zusammen gekommen — bewies, daß das Anliegen dringlich ist. Auch der Herr Landeshauptmann von Oberösterreich und Kanonikus Peham als Vertreter des Hochwürdigsten Bischofkoadjutors bewiesen ihr Interesse durch ihr Erscheinen. Die Tagung wurde veranstaltet vom Katholischen Akademikerveiband Österreichs und der Österreichischen Gesellschaft für christliche Kunst (Präsident Arch. Prof. Robert Kramreiter), organisiert von Msgr. Otto Mauer und ermöglicht durch die Großzügigkeit des Abtes von Wilhering, des Hochwürdigsten Herrn Prälaten Dr. Wilhelm Ratzenböck, der die Räumlich keiten seines Klosters zur Verfügung stellte. Ihnen allen gebührt der Dank für diese Tat. Um die Begegnung von Kirche und Kunsf Günter Rombold (Linz) Es gibt Zeiten der Entfremdung und Zeiten der Begegnung von Kirche und Welt. Hinter dieser Erscheinung steht ein tiefes theologisches Problem: die Frage nach der Wertung der „Welt" überhaupt. In der Hl. Schrift heißt es: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut" (Gen 1,31), aber auch: „Wir wissen, daß wir aus Gott sind, die Welt dagegen sich ganz in der Gewalt des Bösen be findet" (1 Jo 5,19). Es findet sich in ihr die Auf forderung des Apostels: „Prüfet alles, und was gut ist, behaltet!", aber auch die Mahnung, sich „rein zu bewahren von dieser Welt". So kann man als katholischer Christ der Schöpfung so verschieden gegenübertreten wie Thomas und Augustinus, wie Claudel und Graham Greene. Dennoch besteht kein Zweifel darüber, daß das positive Verhältnis zur Schöpfung, wie es ein Thomas so grandios formuliert hat, viel eher der Katholizität der Kirche entspricht, wie die gegenteilige Ansicht. Vom Standpunkt der bil denden Kunst aus aber ist es klar, daß die thomistische Offenheit befruchtend, jeder jansenistische Puritanismus dagegen tötend wirkt. Dozent Friedrich Heer führte in seinem Referat „Die Situation der Kirche in der Welt von heut e", das eigentlich an den Anfang der Tagung gehört hätte, aus Zeit rücksichten aber am zweiten Tag gebracht wurde, die Impotenz der sakralen Kunst in den letzten 150 Jahren auf solche neuplatonischjansenistische Tendenzen zurück. Die Kunst dieser Zeit sei ohne Geschlechtsmacht gewesen (etwa die Kunst der Nazarener), während alle echte Kunst aus der Vermählung des Männ lichen und Weiblichen resultiere. Es habe sich hier um eine Flucht vor der Wirklichkeit, der Wahrheit und der Liebe gehandelt. Wir müssen aus der Bejahung der echten Polarität der Ge schlechter und der Liebeskraft des menschlichen Herzens die faden, geschlechtslosen Engel und Heiligen aus unseren Kirchen vertreiben und durch blutvolle Schöpfungen ersetzen. Dozent Heer warnte auch vor dem Modewerden einer gewissen Literatur, die einseitig auf Augustinus, Pascal und Kierkegaard fuße und eine Zerset zung des katholischen Bewußtseins sichtbar mache. Aber nicht nur die Kirche müsse wach sam sein, auch die Kunst sei gefährdet: ihr drohen Säkularisierung, Radikalisierung und Politisierung. — Auf andere gewagte Formu lierungen und angreifbare Thesen des Vortra genden kann hier nicht eingegangen werden. Für die Tagung waren nicht nur die Referate, sondern auch die Diskussionen wichtig, die ein ganz erstaunliches Niveau hatten. In der D i s89

k u s s i 0 n des ersten Tages, die von Professor Meistermann geleitet wurde, kamen vor allem die Anliegen der Künstler und ihre Wünsche an die Kirche zur Sprache. Es wurde immer wieder die Bitte ausgesprochen, dem Künstler zu vertrauen. Kunst als die freieste Betätigung des Menschen verlange einfach ein großes Maß an Freiheit. Natürlich wurde dem von der anderen Seite entgegnet, daß es sich immer um einen bestimmten Auftrag handle, daß die sakrale Kunst eine dienende Kunst sei und daß man hier nicht dem künstlerischen Individualismus Tür und Tor öffnen könne. Die Aufgabe des Priesters sah ein Künstler nicht darin, zu inspirieren, sondern theologisch zu beraten. In der ganzen Diskussion wurde auf jeden Fall der gegenseitige Wunsch nach einem besseren Verständnis füreinander und nach enger Zusammenarbeit laut. Prof. Georg Mei stermann formulierte in seinem Referat diese Wünsche der Künstlerschaft noch einmal mit großem Freimut, forderte aber auch vom Künstler, er solle sich die Frage vorlegen, ob das, was er schaffe, eingehen könne in die Liturgie. Für die großen Diskussionen des zweiten Ta ges, die wohl den Höhepunkt der Tagung bil deten, waren die Referate von Msgr. Mauer und Dozent Egger grundlegend. Msgr. Otto Mauer sprach über „Theologische Prinzipien sakraler Kuns t". Er betonte, der Sinn des christlichen Kultgebäudes sei — im Gegensatz zur Synagoge — nicht nur ein pädagogischer, auch nicht nur ein latreutischer, sei es nun pri vater oder gemeinschaftlicher Anbetung, son dern ein kultischer. Mittelpunkt dieses Kultes sei das Opfer, nach der Theologie des Hebräer briefes die Repräsentation des Erlösungsgesche hens, und zwar nicht nur der Kreuzigung, son dern auch der Inkarnation, der Auferstehung, der Himmelfahrt und der Parusie Christi (dar auf weisen die Texte alter Präfationen hin). Dieses Opfer ist zunächst Gottestat und dann erst Menschentat, und hier wieder zunächst Handlung der Gesamtkirche und dann erst des Einzelnen. Dieser erste Teil des Referates — nachher sprach Msgr. Mauer noch über das Kultbild — bildete den Ausgangspunkt zu den Diskussionen über das Wesen des christlichen Kultraumes. Dieser — so wurde erarbeitet — ist ein sakralisierter, konsekrierter Raum, in dem Gott, schon unabhängig von der Eucharistie, auf besondere Weise prä sent ist. Er hat den Sinn, das Sakrale (das dann noch näher bestimmt wurde) auszusondern aus dem, was Welt ist. Er ist wesentlich bestimmt durch die Messe und daher hingeordnet auf den Altar. Daneben wurde betont, daß er primär Gemeinschaftsraum sei und erst sekundär der Ort privater Anbetung. 90 Einen weiteren Anstoß für die Diskussionen des zweiten Tages gaben die Ausführungen des Doz. DDr. Gerhart Egger. Er sprach vom Stand punkt des Historikers, aber eines Historikers, der Anspruch erhebt, auch in die Gegenwart zu wirken, über den Ursprung des christ lichen Kultbaues. Nach seiner Theorie von der Vorbildlichkeit des Trajansforums für die richtungweisenden Kultbauten von St. Peter und des Laterans, ist für das katholische Gottes haus, in dem das Meßopfer dargebracht wird, die Längsachse wesentlich. Der historische Grund dafür seien die frühchristlichen Prozessionen, die durch das Langschiff zum Altar hingeführt hät ten, der heute noch gültige theologische Grund aber das Wort Christi: „Ich bin der Weg", der Weg zum Vater. Für die Diskussion ergab sich daraus die Frage: Muß die christliche Kunst in einer historisch normierten Form verlaufen? Ist der Anfang in der konstantinischen Zeit als absolut gegeben zu betrachten? Da die Thesen des Dozenten Egger auch neuere Bestrebungen, eine „christozentrische" Kirche zu bauen, treffen würden, war die Reaktion lebhaft. Auf der einen Seite wurde zu bedenken gegeben, daß Christus selbst nichts über den Kultbau vorgeschrieben habe, daß unsere Zeit genau so wie die konstan tinische in der ,,Fülle der Zeit" stehe und eigen schöpferisch sein könne, auf der anderen Seite auf die Ehrwürdigkeit dieser Tradition, zumin dest für den abendländischen Kulturbereich, hingewiesen und betont, daß es sich hier, auch wenn man ganz von den frühchristlichen Pro zessionen absehe, um praktische Erfordernisse handle, die bestehen bleiben. Ob dieser Grund riß des katholischen Gotteshauses wirklich Aus druck eines theologischen Gedankens, nämlich der Transzendenz Gottes ist, zu der wir auf dem Wege sind, blieb ungeklärt. Am dritten und letzten Tage sprach Dr. Wal ter W a r n a c h über die Möglichkeiten einer abstrakten Kunst im sakra len Raum. Er trat energisch für ihre Ver wendung ein und setzte sich mit den landläufi gen Einwänden auseinander, stellte freilich andererseits an die abstrakte Kunst die absolute Forderung der Qualität und warnte vor dem Eindringen des Psychogramms in den geheiligten Raum, vor der kühlen Rationalität liturgischer Zeichen und vor der magischen Abstraktion. Es ist klar, daß die jungen Künstler in der Dis kussion ebenso eindeutig für die abstrakte Kunst Stellung nahmen. Msgr. Mauer als Dis kussionsleiter bejahte die Möglichkeit der Ver wendung der abstrakten Kunst im Gotteshaus,

fügte aber hinzu, daß auf die gegenständliche Kunst wohl nie ganz verzichtet werden könne, da das Christentum keine Ideologie und keine Mythologie, sondern eine Religion sei, die von der Tatsache ausgehe, daß der Logos in der Geschichte Mensch geworden sei. Da der Künstler nicht zum Reden, sondern „zum Sehen gehören, zum Schauen bestellt" ist, fanden die Lichtbildervorträge besonderes Inter esse. Der französische Dominikanerpater C a pp e 11 a d e s zeigte Beispiele aus Frankreich. Er tat es im Geiste seiner Mitbrüder Pater Couturier und Pater Regamey und im Geiste jener Künstler, die in Assy, Vence und Audincourt so Vorbildliches geschaffen haben. Neben bekann ten Bildern zeigte er Aufnahmen der noch im Bau befindlichen Wallfahrtskirche Ronchamp in der Diözese BesanQon von Le Corbusier. Am letzten Tag zeigte Pater Urban R a p p aus Münsterschwarzach vorwiegend deutsche Beispiele, u. a. auch Glasfenster und Fresken von Prof. Georg Meistermann in Schweinfurt und Würzburg. An Hand dieser Beispiele behan delte er Grundprobleme der modernen sakralen Kunst. Natürlich regten gerade diese Bilder sehr an und es wäre sicher im Anschluß daran zu lebhaften Debatten gekommen, wenn die Zeit noch ausgereicht hätte. So hatte die Tagung wohl nur den einen Fehler, daß sie zu kurz war und deshalb zu wenig ins Konkrete vorstoßen konnte. Es wurde daher am Ende der Tagung von vielen Seiten der Wunsch ausgesprochen, öfter die Möglichkeit zu solchen Zusammen künften zu schaffen und sich dabei mit speziel len Fragen, etwa der Architektur, Innenraum gestaltung usw., zu beschäftigen. Ein letztes Wort soll noch den vielen persön lichen Begegnungen im Gespräch gelten, die auf der Tagung möglich waren und den Einzelnen bereicherten. Letztlich kann eine Begegnung zwischen Kirche und moderner Kunst ja nicht geschehen, wenn sich nicht Priester und Künst ler begegnen. Die Tagung hat bewiesen, daß die Zeit dafür reif ist. Prinzipien sakraler Kunst Otto Mauer (Wien) Der Kult des Alten Testamentes war ein bild- ,loser, denn das Wort war noch nicht Fleisch geworden und wir hatten noch nicht seine Herr lichkeit mitten unter uns gesehen. „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben! Du sollst dir kein Schnitzbild machen; kein Bild von dem, was oben im Himmel oder unten auf der Erde oder im Wasser oder unter der Erde ist", so lautet der Gottesbefehl an Israel (Ex. 20, 2 ff.) und die Begründung dieses Spruches ist sogleich angeschlossen: „Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen und sie nicht anbeten!" Bilder sind Anlaß zum Götzendienst, ja Ver führung dazu. Aber der Gott Israels ist kein partieller, kein National- oder Sippengott; er teilt seine Ehre mit niemand: „Ich, der Herr bin ein eifersüchtiger Gott." Die Heidenvölker kennen nicht nur eine Kosmogonie, sondern auch eine Theogonie; sie kennen obendrein eine Abstammung einzelner Menschen von der Gottheit her (Herrscher als „Ikonen Gottes", himmlische Zeugungen des Zeus), sie kennen ein Zusammenentstehen von Göttern und Men schen (Syngenneia). Philosophische Ideen, wie die platonische Metoche und die pantheisierende pythagoreische „Sympathie aller Dinge", för dern diese Mentalität. Bilder sind (oft beseelt gedacht) die reale Präsenz der Gottheit, ja identifizieren sich mit ihr. Der Gott Israels aber wohnt bildlos, gestaltlos und antlitzlos im Dunkeln (s. 3. Kö. 8, 12) des Allerheiligsten des Bundeszeltes, .später des Tempels. Im großen Hymnus auf den Schöpfer (der nicht wieder geschaffen ist) fragt Isaias, mit wem man ihn vergleichen und was für ein Gleichnis Seiner selbst man aufstellen könnte (Js. 40, 12 ff.). Niemals hat jemand Jahwes Gestalt gesehen, weder Abraham, noch Jakob, noch Moses, noch Isaias; sie sahen Glanz, Finsternis, Schrecken, höchstens einen Abglanz seines Rückens (Gen. 15, 7 ff.; Ex. 24, 9 ff.; Js. 6, 1 ff.; Dt. 4, 12 f). Die Aufstellung des goldenen Kalbes durch Aaron und Jeroboams Stierbilder (bei des Symbole Jahwes selbst!) werden als cultus illicitus gewertet und mit schwersten Sanktio nen belegt. Aber nicht nur Bilder fremder Gottheiten und Jahwebildnisse sind verboten, sondern ebenso Menschenbilder (denn der Mensch ist 'ja ein „Bild Gottes"), Tierbilder (tiergestaltige Götter der Ägypter!), Kaiser- und Herrscherbilder (Diadochen- und Cäsarenkult!) und kosmische Embleme. 91

Trotzdem standen auf der Bundeslade (Zen trum des Kultes!) Figuren von Cheruben, zwi schen denen die Herrlichkeit Jahwes thronte, der Tempel zeigte einen Dekor von Gestirnen, und eherne Rinder trugen ein riesiges Becken. Das Bildverbot des Gesetzes war eben kein absolutes und prinzipielles. Es bedeutete keine spiritualistische Neigung und kein Monopol einer bloßen Wortreligion ohne „Sakrament" (s. Protestantismus); es hat prophetisches Pathos gegen Mythologisierung und Idolisierung der Religion. Bedenkenlos spricht die Schrift ja vom „Bild" - Charakter des Menschen und Jahwe selbst erscheint den Menschen in der Gestalt dreier Männer. Neuplatonische Philosophenreli gion pantheisierender Färbung könnte sich nie auf Israels Kultbrauch berufen. Jede Form von Gnosis zerschellt an der „Fleischlichkeit" des alttestamentlichen Kultes und seiner „sakra mentalen" Struktur. Bildlosigkeit ist nicht Kunstlosigkeit. Israels Kult kennt nicht nur Dichtung und Musik, sondern sichtbare Riten von großem Umfang und drastischer Sinnenfäl ligkeit, er kennt die Architektur (Raum und Mutter so vieler Künste), präzise Bestimmun gen über die Kleidung der Kultträger und de taillierte kunstgewerbliche Anweisungen. Das Körperhaft-Symbolische hat also durchaus sei nen Ort und seinen Valor, seine religiös-juri stische und seine sakramental - mystische Be deutung in Israels Kultbezirk. Freilich: als Jesus, 12jährig, zum erstenmal den Tempel als das Haus seines Vaters betrat, geschah in der „Bildlichkeit" des atl. Kultes eine tiefgreifende Wandlung. Die Welt der Schatten und Zeichen schwand und machte dem „Körper" und der Realität des Geistes Platz. Als das „Bild des unsichtbaren Gottes" (Kol. 1, 15), der Sohn, den Tempel betrat, wird ein „fleischlicher Kult", da die Gnade nicht wirken konnte, von einem „geistlichen" abge löst, der aber einer neuen Bildlichkeit Ur sprung und Bedeutung schenkte. Im Sakra ment wird das Bildzeichen effektiv. Im sa kramentalen Kult ist keine Hemmung gegen über Bildlichkeit, weil das „Ursakrament" der Kirche, Jesus selbst, „Ikone des unsichtbaren Gottes" ist, und „Abprägung seines Wesens" (Hebr. 1, 3). Er ist es, der „Menschensohn", nach dem der Mensch zum Abbild Gottes gebildet wurde. Er kann von sich zu Philippus rügend sagen: „Der mich sieht, sieht den Vater" (Jo. 14, 9). Er, der „Abglanz seiner Herrlichkeit" (Hebr. 1, 3) ist der (der einzige), der das „Gottgleich-sein" (Phil. 2, 6) nicht „als einen Raub ansehen" mußte, war er doch, bevor er die Sklavengestalt angenommen hatte, „in Gottes gestalt" (Phil. 2, 6). Deshalb ist er, auch noch in seiner „Kenose" der „Herr der Herrlichkeit". Zugleich mit der Gottesgleichheit („Ich und der Vater sind eines") ist er der „zweite Mensch" und der „letzte Adam", der „himmlische Mensch" und der „Ergezeugte vor jeder Krea tur" (denn „in ihm ist alles erschaffen wor den im Himmel und auf der Erde"). „Das Wort ist Fleisch geworden" (s. Stammbaum bei Mt. und Lk.) und „wir haben seine Herrlichkeit ge sehen, voll der Gnade und Wahrheit". Dem Menschen und der Menschlichkeit Jesu kommt Heilsfunktion zu, der Ausdruck Mensch bedeu tet im Munde des Paulus nicht nur den gefal lenen entarteten Menschen („Menschen seid ihr!"), sondern Jesus als Messias und Heiland (R. 5, 15, I. Ko. 15, 21, 47, Hb. 2, 6, Ps. 8, 1. Tim. 8, 5). * Wenn das „Bild Gottes" uns erschienen ist, sich im Glauben uns als schlechthiniges Objekt des Kultes darbietet, wenn der Kult Repräsen tation seiner Heilsperson und seines Heilswer kes bedeutet, dann liegt es nahe, daß Kultbild und Jesusbild zunächst zusammenfallen. Ist doch auch Christus „unser Gott", den Thomas mit dem Ausruf „mein Herr und mein Gott" kniefällig begrüßt. Schon seit den Tagen Trajans ist es bezeugt, daß die „Christianer" ihren Christus „quasi Deo" Hymnen singen. Gewiß bedingt der Kult, nicht das Bild, die Repräsen tation Christi und seiner Heilstat, was nicht hindert, daß neben der Kultanamnese (Unde et memores . . .) das Bild repräsentativen und anamnetischen Charakter erhält. Das Kultbild dient nicht primär der Weckung von Andacht und Erlebnis, es hat nicht zuerst meditative Funktion. Wie das Sakrament, ist es in genere signi (freilich nach dem Zeichen das ex opere operato causae effektiv wird). Es verweist zu rück auf den historischen Menschen Jesus und seine geschichtlich genau fixierte Heilstat unter Tiberius und Pontius Pilatus, es weist nach vorne in die eschatologische Situation, auf den Augenblick seines vollen „Daseins", seine Parousia hin und deutet auf die heiligen Altäre, auf denen sich, zwischen Historie und Ewigkeit, die spirituelle Wirklichkeit seiner Präsenz und Heilswirkung vollzieht. Allerdings ist das Christusbild keine vera icon im historisierenden Sinn. Die göttliche Fü gung hat es gewollt, daß uns kein Porträt des Gottes im Fleische überliefert wurde und sein Bild steht uns literarisch in den Evangelien zur Verfügung im Medium des Wortes. Wir ken nen nun Christus (wie Paulus sagt), „nicht mehr dem Fleische nach". Der Jude Jesus (salus ex 92

Judaeis!) gehört seit seiner Himmelfahrt allen Völkern, denn „auffahrend, hat er das All er füllt", sein Geist war in den Sprachen aller Völker am heiligen Pfingsten durch den Mund seiner Apostel vernehmbar. Und er gibt vor seiner Himmelfahrt die Anweisung an die Zeu gen, das Evangelium „aller Kreatur" zu ver künden. Die Völker der Kirche, die hier m.it Abraham, Isaak und Jakob am Tisch sitzen, können sein Bildnis von nun an aus ihrem Glauben nach den Evangelien gestalten. Dieses Bild soll nicht bloß statischen, sondern funktio neilen Charakter besitzen (Christus ist nicht nur Gott, sondern ist uns Herr, Heiland, Leben, Licht, Auferstehung, Wahrheit, Wirklichkeit, Hirte, Priester usw). Regnat a cruce Deus. Im Menschlichsten (das Kreuz) wird das Göttliche an ihm sichtbar werden müssen. Aber der „Gott" schlechthin ist doch der „Gott und Va ter Jesus Christi", der auch ihm (als Mensch) Gott und als Gott (als Sohn) Vater ist. Christus ist Mittler und Bruder und er selbst sagt, daß nur einer „Vater" ist, der im Himmel nämlich Christus ist „Abbild" des Vaters und Weg zum Vater, sein Bild darf den verweisenden Cha rakter nicht verlieren (per Dominum nostrum). Es darf aber auch seinen Typus als Bild des Bildes Gottes nicht verlieren, es muß Verweis vom Bild zum Abgebildeten bleiben. (Kein Mystizismus der Identität.) Der Vater bleibt im Hintergrund, der Geist unsichtbar (chiffriert in Tier- und Flammengestalt) nur der Sohn war Mensch, ist Mensch, nur der Sohn ist „Bild" (nicht der Vater, nicht der Geist). Die statische Darstellung der allerheiligsten Dreifaltigkeit übergeht das dynamische Wesen des Kultes und die Forderung nach einer Arkandisziplin der nichtinkarnierten göttlichen Personen. Das „Gott alles in allem" (1 Ko. 15, 28) kann nicht sichtbar gemacht werden; sicht bar und faßbar ist uns der Sohn (und gerade im Sohn und durch den Sohn erst der Vater geworden). Dem Vater und dem Geist entspre chen Chiffren, dem Sohn das Bild. Aber nicht nur ihm, sondern auch seiner heiligen Mutter, die ganz historische Person (nicht Magna mater - Idee), auf den Sohn hinweist." Das Bild der Hodegetria (per Mariam ad Jesum), zu gleich das Bild der Kirche, die Realisation der göttlichen Weisheit (sophia-logos), in einem Leib, der sein Leib und Gleichsetzung der der Braut ist. Oder das verweisende Bild des Täufers, der das Gotteslamm und seine Schlachtung ange kündigt und symbolisch in der Jordantaufe vollzogen hat („Seht an das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinwegnimmt"). Oder das Bild seiner Apostel, die ihn verkünden und in seinem Auftrag das Reich seines Gottes brin gen. Oder die Figuren seiner Blutzeugen, die von ihm Zeugnis abgelegt haben davon, daß er lebt („Ich sehe den Himmel offen und den Men schensohn zur Rechten Gottes stehen") und herrscht. Repräsentation und Anamnese im Kultbild beziehen sich auf den, der uns Hei land geworden ist, vom Protoevangelium vom Schlangenzertreter bis zum Menschensohn auf der Wolke des Himmels. Er ist das Alpha und Omega, der Anfang und das Ende unseres Heiles. Dem Sakralbild werden allerdings noch an dere Funktionen zusätzlich angewiesen werden müssen: Deutung des mysterium fidei, also mystagogische Tendenz bezüglich des Kultvoll zuges; Konzentration der Andacht zu meditati ven Zwecken („Andachtsbild"), biblia pauperum zu pädagogisch - katechetischen Zwecken. Ne benfunktionen, die wichtig sind, die aber nicht dominieren dürfen und sinnenfällig (durch den Ort, wo sie sichtbar werden) in ihrer Nebenbe deutung deutlich werden müssen. Das christliche Kultbild wird symbolischen Charakter tragen. Das heißt nicht Chiffrierung durch allegorische Figuren, heißt nicht Vermei dung des Historischen, wohl aber schließt es Naturalismus und historisierenden Realismus aus. Symbolisierung meint Konzentration auf den inneren Kern (ähnlich wie im Kult selbst, wo nur die Essenz des Heilsvorganges, nicht seine Umstände wirklich werden), Symbol be deutet Wissen um den Deus absconditus et revelatus, weder pure „Entäußerung" zu einem Nichts von Inhalt und Form, noch den vergeb lichen Versuch adäquater Wiedergabe (was schon dem Sinn und Wesen von Kunst wider spräche). Enthüllend und verhüllend gleichzei tig wie die Parabeln Jesu, analog gibt sich das kultische Bild. Psychologismen ersetzen nicht die „bedeutende" Form, allegoristische Spie lereien („Symbolbildchen") noch weniger. Das Kultbild verlangt „geistliche Qualität". Das heißt, es kommt aus dem Glauben des Schaffenden, ist für den Glauben des Gläubi gen bestimmt. Heiden können per accidens kul tische Bilder schaffen (die französischen E.xperimente). Das Kunstwerk ist vom Menschen und seiner Subjektivität nicht ablösbar. Kein Schema kann als „pneumatisch" gelten und den Geist des Glaubens ersetzen. Wo der Geist, dort, der Logos. Magisches, Traumhaftes, „Surreales", Irrationales dürfen mit dem „Geistlichen" nicht verwechselt werden. Aber auch nicht entfesselte Subjektivität, wenn sie expressiv wird; Sentiment ist nicht Extase. „Geistliche" Qualität be deutet: in spiritu humilitatis entgegen allem Titanismus eines Absolutseinwollenden Schöpfer93

tums, bedeutet Ablehnung eines l'art pour l'art-Prinzips, das der Kunst den symbolischen Rang nimmt, sie von den Wurzeln des Seins und der ontischen Wahrheit abschneidet und oft jeglichen geistigen Inhalts beraubt. Der christliche Künstler ist Interpret der Schöpfung und des Heilsweges. Nicht Zauberer oder Pro metheus. Nicht magische Chiffre, die die Gott heit bannt, ist das Kultbild, sondern demütiges Gefäß einer überragenden Wirklichkeit, die in Gnaden gegeben wird. „Geistliche" Qualität heißt endlich der Tatsache Rechnung tragen, daß Christus verklärt zur Rechten der Herr lichkeit Gottes sitzt und daß im Kult ein unblu tiges, „geistiges" Opfer gefeiert wird, dessen Zentrum der Leib der Auferstehung findet. Ver zerrte Expressionismen, realistische Übertrei bungen können sich niemals zur geistigen Wirk lichkeit aufsteigern. Eine Kunst der totalen „Kenose" wird der Tatsache, daß Christus herrscht, nicht gerecht. Das Kultbild wird „objektiv" orientiert sein. Nicht nur persönliche Konfessionen sind zu ver künden, sondern der Glaube der Kirche ist in ihm zu verkünden. Es dient einer Kultgemeinde und nicht nur dem einzelnen; es will sein Maß vom Wahren, von den Realitäten des Gottes dienstes, vom Wort der Schrift her beziehen. Es kann „abstrakt" sein, wo es nichts als Gestimmtheit zum Ausdruck bringen will (etwa im Glasfenster), es muß, auch thematisch, In halte zeigen, wenn es verkündliche Fixierun gen des Glaubens vornehmen will, der auf „Zeichen und Wunder", auf geschichtlichen Fak ten und auf dem „Geist und die Kraft" des hi storischen Wortes gegründet wird. Freilich be darf es der ganzen Subjektivität, der ganzen Extase des Künstlers, um dem Gegenstand des Glaubens auch nur entfernt gerecht werden zu können. Gemeinde- und kirchenfähig wird die ses Bild sein, das aus der Tiefe des Glaubens schöpft und Christlichem adäquaten, vehemen ten Ausdruck zu verleihen mag. Nicht die Ba nalität und Konvention der Formen schafft das allgemeine Verständnis, sondern die uner schöpfliche, geistige Substanz, die auf die Dauer und mit geistlicher Anstrengung gehoben wer den kann. Die Bilder werden vergehen wie der Kult vergeht, die vermittelnden Zeichen werden ihre Funktion erfüllt haben, wenn Gottes Bild, das Antlitz des Menschensohnes auf der Wolke des Himmels erscheint; dann, wenn der Sohn, das Wort, das Bild unseres Gottes seinem Vater das Reich übergeben wird, wird „Gott alles in allem" sein. Ursprung und Wesen des christlichen Kultbaues Gerhart Egger (Wien) Es gibt Momente in der Geschichte, die rich tunggebend sein können für eine lange Zeit. So ein historischer Moment ist für uns der Ab schnitt des frühen Christentums, der nicht bloß eine Periode von vielen ist, sondern für uns immer wieder der Mutterbodeh christlichen Lebens und christlichen Formens. Wenn für das Christentum es überhaupt nichts Relatives in seiner Geschichte geben kann, so gilt das ganz besonders für den Kult und die Liturgie und damit wohl auch für den Raum, in dem sich der Gottesdienst abgespielt hat. Als Kaiser Konstan tin im Jahre 312 unter dem Zeichen des Chri stentums Rom und die Herrschaft im römischen Reich eroberte und im Jahre 313 durch das Mailänder Edikt dieser Religion volle Freiheit verschaffte, begann er auch in die Organisation der neuen Kirche persönlich einzugreifen. Für die christliche Kunst, vor allem die Architektur, ist entscheidend, daß der Kaiser unmittelbar nach diesen Ereignissen zwei monumentale Großbauten als Gottesdiensträume in Rom er richten ließ, die in ihrer Anlage neuartig und durch ihre Anlage richtunggebend für den gan zen folgenden christlichen Sakralbau waren. Diese beiden Bauten sind die von 313 bis 320 errichtete Lateran-Kirche und die 325 fertig gestellte Peterskirche. Wenn diese beiden Bau ten auch in ihrem ursprünglichen Zustand nicht mehr erhalten sind, so lassen sie sich doch in ihrer Anlage voll rekonstruieren und zeigen, um welchen Raumkomplex es sich bei ihnen gehandelt hat. Ihr Hauptgebäude besteht aus drei Abschnitten: einer fünfschiffigen basilikalen 94

Halle mit überhöhtem Mittelschiff, einer dazu quergelagerten ebenso basilikalen einschiffigen Halle und einer halbrunden Apsis. Diesem Ge bäude ist ein Atrium vorgelagert. Diese nach innen gewendete, axial gegliederte Raumabfolge ergibt einen Raum zum Durch schreiten, deren quergelegte Halle vom Eingang aus nicht sofort erfaßbar ist, sondern sich erst, wenn man das Langhaus durchschritten hat, eröffnet. Es handelt sich also um einen unüber schaubaren Raumkomplex aus zwei aufein anderfolgenden Räumen, mit Achsendrehung als Weg, dessen Zielpunkt hinter dieser Querung liegt. Obwohl diese Raumanlage ihrer Form nach von der römischen Basilika abstammt, wie sie als Markt- und Gerichtshalle in Rom seit der Republik verwendet wurde und letzten Endes wohl von der königlichen Baukunst der hellenistischen Großreiche des vorderen Orients abzuleiten ist, besser gesagt, die einzelnen Teile ihres Komplexes von den basilikalen Bauten her bezieht, so ist die Gesamtanlage hier zwei fellos neu. Da nun Konstantin auch auf anderen Gebieten der Einrichtungen der christlichen Kirche Neuerungen gebracht hat, ist anzuneh men, daß es auch hier sich um eine solche auf die Initiative des Kaisers selbst zurückführbare Neuerung handelt. Viele dieser Neuerungen aber stehen alle mit der hier beschriebenen Raumanlage in Zusammenhang. Jungmann weist vor allem Neuerungen in der Liturgie nach, die mit diesen Raumanlagen in Verbindung stehen können. Nach ihm blieben die Hauptteile der heiligen Messe vom Priester gebet und Opfergebet über den Canon actionis bis zur Communio vom 3. bis 6. Jahrhundert unverändert. Diese liturgischen Abschnitte be dürfen auch keines besonderen Raumes. Es war auch tatsächlich so, daß in der Kirche der ersten Jahrhunderte die Messe in allen möglichen ver schiedenen Räumen gefeiert wurde und wir von einem spezifisch christlichen Kirchenbau erst ab Konstantin sprechen können. Im Zusammenhang mit der Befreiung der Kirche kamen nun vor allem die Zeremonie des Anlegens der Gewän der, der Introitus, die Prozessionslitanei — an die sich später das Kyrie anschloß —, die Weihrauchincensio und die Verwendung von Leuch terträgern hinzu. Für den Lateran wird ein goldenes Weihrauchgefäß als besonderes Ge schenk Konstantins erwähnt. Diese Teile der Liturgie weisen alle auf einen feierlichen Einzugsritus hin. Für so einen Ein zugsritus aber ist eine bestimmte Raumform weit eher nötig. Jungmann vermutet erstmals, daß diese liturgischen Neuerungen aus dem römischen Kaiserkult in den christlichen Gottes dienst übergegangen seien. Diese Meinung wird durch Klausners Nachweis, daß der Kaiser be stimmte Zeremoniellvorschriften seines Hofes und kaiserliche Gewänder den Priestern der jungen Kirche übergab, noch unterstützt. Unbeschadet der Ableitung der konstantini schen Raumform aus der römischen Basilika läßt sich rein formal ein Vorbild für den konstan tinischen Raumkomplex innerhalb der römischen Architektur im Trajansforuiti finden. Diese 112 von Apollodoros von Damaskus errichtete monu mentale Anlage besteht aus einem Vorhof, der an beiden Seiten von Säulenreihen flankiert wird und einer zu der Hauptrichtung dieses Hofes quer gelagerten Basilika. Hinter dieser Basilika in der Achse des Hofes steht auf einem quadratischen säulenumstellten Platz die riesige Triumphalsäule mit dem Reliefband — Taten bericht des Kaisers. Da der Hof einen eigenen Eingang in der Längsachse hat, ergibt sich an dieser eine Wegrichtung, die ganze Anlage zu durchschreiten. Auch in dieser Anlage gilt eine gewisse Unüberschaubarkeit, das heißt es eröff net sich jeweils beim Betreten und beim Ver lassen der Basilika ein neuer Raum. Die ganze Anlage findet den Zielpunkt der Durchschreitungsbewegung an der Triumphalsäule. Die wei tere Fortführung der Achse durch die Errichtung des Tempels des vergöttlichten Trajan hinter der Säule, ist eine spätere Einrichtung, die Hadrian durchführte. Diese Anlage des Trajanforums war aber keine Profananlage, wenn auch die Basilika als Gerichtshalle diente, son dern war zweifellos für die Durchführung des wichtigsten Aktes im römischen Kaiserkult ge dacht. Es handelt sich dabei um den Akt der Divinisierung, der aus drei Abschnitten bestand: den Exequiae, das ist eine Prozession, Funus, der Verbrennung, und Consecratio, dem letzten Akt der Vergöttlichung. Dieses Ritual, das bei der Divinisierung Trajans gewisse Vervollstän digungen erhielt, gipfelt in der Feststellung der leiblichen Himmelfahrt des Kaisers und damit der Feststellung, daß der Kaiser ein auf der Erde erschienener Gott gewesen sei. Das ganze Ritual, das in Anwesenheit einer großen Volks menge vorgenommen wurde, hat in seiner An lage einen prozessualen Charakter, der also in der Raumanlage auch einen Wegraum erfordert"^). Der römische Kaiserkult war aber nun jene Religion, die die eigentliche Staatsreligion und damit die staatserhaltende religiöse Kraft im römischen Reiche darstellte. Vieles spricht nun dafür, daß Kaiser Konstantin mit der Be freiung des Christentums gerade die Vorrechts- ') Die genaue Ausführung dieser Zusammenhänge ver öffentliche ich unter dem Titel „Römischer Kaiserkult und konstantinischer Kirdienbau" in „österreichische Archäo logische Jahreshefte", Jahrgang 1956. 95

Stellung jenes Kultes an das Christentum abgab. Es ist auch wichtig, daß das ganze Ritual der Divinisierung von ihm an nicht mehr stattfand, an Stelle der Leichenverbrennung und des Him melfahrtsberichtes die Beerdigung der Kaiser trat und Konstantin selbst sich nicht mehr als Gott, sondern als Apostel Christi betrachtete und sich auch so als apostelgleich in seiner Grabeskirche in Kpnstantinopel beisetzen ließ. Wie nun die liturgischen Neuerungen der kon stantinischen Zeit auf den Kaiserkult hinweisen, wie die Bezeichnung Dominus ac Deus aus dem Kaiserkult auf Christus überging, so liegt es nun auch nahe, daß Konstantin in gewisser Weise auch die architektonische Kaiserkult anlage der jungen Kirche übergab. Diese Tat sache aber ist architekturgeschichtlich von größter Bedeutung. O V o C7 O 0 0 o o Grundriß des Trajansforums in Rom In der prozessualen Steigerung führt der Weg in der Kaiserkultanlage des Trajanforums über den Hof durch die Basilika hin zu dem Ziel punkt der Triumphalsäule. In der konstantini schen Basilika führt der gleiche Weg durch das Langhaus, durch das Querhaus hin zu dem Zielpunkt des Altares, der vor der halbrund abschließenden Apsis steht. Die Form des kon stantmischen Altares bietet ein weiteres Problem im Ursprung des christlichen Kultbaues. Nach den neuen Ausgrabungen, die unter der heutigen Peterskirche durchgeführt wurden, und einem 96 Elfenbeinrelief des 4. Jahrhunderts läßt sich ein quadratischer baldachinartiger Altarüberbau rekonstruieren, der als Zielpunkt der ganzen Anlage dient. Durch den ursprünglichen Namen dieses Baldachins: „Hütte" und die symbolische Bedeutung des Altares als Bundeslade des Neuen Testamentes ist eine Beziehung dieser Einrichtung zur altjüdischen Stiftshütte nahe gelegt. Architekturgeschichtlich ist diese Anlage deswegen von B^edeutung, weil hier ein quadra tisches Raumelement als Zielpunkt der ganzen längsgerichteten Anlage in dieselbe hinein gestellt wird. Neben dieser Problematik gibt es eine zweite Raumform in der römischen Architektur, die von der basilikalen Anlage gänzlich zu trennen ist und ihre eigenartige Form mit einer ganz bestimmten Aufgabe verbindet, die auch ihre ; I ■f*' Grundriß der aiten Peterskirche in Rom Nachwirkung in der christlichen Architektur fand: es ist der Zentralbau. Ohne im näheren auf die Probleme des Rundbaues, die bis in die europäische Frühgeschichte hineinreichen, hier eingehen zu können, sei nur im allgemeinen festgehalten: Das wesentliche Bildungselement des Zentralbaues ist die senkrechte Achse in seiner Mitte. Diese senkrechte Achse führt aber in ihrer Richtung nach unten und nach oben, also in die Erde und in den Himmel. Deswegen findet der Zentralbau vor allem in der antiken Architektur für den Grabbau seine vorwie-

gende Verwendung. Diese Richtungsverbindung der beiden Richtungen nach unten und nach oben finden wir nicht nur in der aus der Laby rinthvorstellung stammenden Umkreisung der Mitte, sondern auch in einer Reihe von Texten auch aus christlicher Zeit. Wenn es zum Beispiel in dem Text der Grabweihe heißt: „Es steige hinab in das Grab Dein heiliger Geist, damit auf Dein Geheiß der hier Ruhende zur Zeit des Gerichtes die Auferstehung mit allen Heiligen haben kann" oder eine Stelle im Karsamstags hymnus vom Heiligen Grab: „Da Dich oben auf dem Throne und unten in dem Grabe die Über irdischen und Unterweltlichen sahen, staunten sie, mein Erlöser, über Deinen Tod, denn über alle Vernunft erscheinst Du im Tod als Anfän ger des Lebens." Das Christentum übernimmt die runden und kreuzförmigen Grab- und Memorienbauten aus der römischen und provinzial-römischen Architektur und ergänzt den Aufgabenbereich dieser Architekturform um ein weiteres sehr wichtiges Gebiet, nämlich das Baptisterium. Die Taufe, von der es heißt: „Wiedergeboren aus dem Wasser und dem Hei ligen Geist" ist ein mystischer Tod, wie Dionysios Areopagita sagt: „Zutreffend ist das voll ständige Verbergen im Wasser zu einem Bild des Todes" (Kirchliche Hierarchie, Kapitel 2/ 17/117). Auch hier ist die Richtungsverbindung des Versenkens und Erhebens das Wesentliche. Bei vielen Zentralbauten verbinden sich unter irdische Kryptaräume mit Kuppeln, die von den frühesten Zeiten an in einer gewissen sym bolischen Beziehung zu dem Himmel gebracht werden. Die konstantinische Peterskirche ist die erste Kirche, die über einem Heiligengrab errichtet wurde. Vor allem die neuen Ausgrabungen haben einwandfrei erwiesen, daß das Grab Petri wirklich unterhalb der konstantinischen Peterskirche gelegen war. Der Altar wurde in dieser Kirche über dem Grab errichtet. Es kann als sicher angenommen werden, daß dies der erste Fall ist, bei dem in der christlichen Ar chitektur eine Verbindung eines monumen talen Langhausbaues für die neu eingerichtete heilige Messe als Gemeinderaum und einer Heiligenmemoire durchgeführt wurde. Erst vom späten 4. Jahrhundert an wurde es üblich und erst vom 5. Jahrhundert an Gesetz, in jedem Altar die Reliquie eines Heiligen niederzulegen. Mit dieser Übung kam aber ein neues Element in den ursprünglichen Raumkomplex, und zwar eine von den Zentralbauten abgeleitete Betonung der senkrechten Achse. Die Auf nahme zentralräumlicher Tendenzen führte hier schließlich zu der Errichtung einer Krypta unter dem Altare und eines Vierungsturmes oder einer Kuppel über dem Altar. Die Verbindung von Langhausbau und Zentralbau ergab von dieser Grundvoraussetzung aus eine reiche Fülle an • einzelnen Erscheinungsformen die ganze christliche Kunst hindurch. Einmal aber, unter der Regierung des Kaisers Justinian in der Zeit von 532—537, wurde in Konstantinopel die einzigartige Wunderleistung der Hagia So phia errichtet, von der Justinian bei der Weihe sagen konnte, „Salomo, ich habe dich übertrof fen." Wenn das Raumbeherrschende in diesem Bau zwar die Kuppel ist, so ist doch die Grund konzeption eines basilikalen Langhausbaues in ihm voll erhalten und gerade dort die Vereini gung beider Systeme in einzigartiger Weise gelungen. Die byzantinische Architektur des Mittel alters entfaltete in steigendem Maße die in die sem System grundgelegten zentralräumlichen Tendenzen. Die westliche katholische Architek tur des Mittelalters entfaltete dagegen immer stärker den Langhausbau. Im 9. und 10. Jahr hundert lebte das Querhaussystem wieder neu auf und wurde von da aus die, beherrschende Bauweise aller mittelalterlichen Großbauten. Das quadratische Element, das durch den Altar baldachin von Anfang an in den gesamten Kom plex eingezogen war, bildete von nun an die Grundlage der gesamten Anlage im gebundenen System. Der Platz der Kreuzung der beiden Achsen wurde quadratisch zur Vierung aus gebaut, von der aus nach quadratischem Sy stem sich nach links und rechts das Querhaus öffnete. Wenn auch in der folgenden Zeit dieses System in manchem verändert wurde und durch die Einführung eines Chorquadrates zwischen Vierung und Apsis eine Verlängerung des Ge samtbaues nach Osten hin erfolgte, so bleibt doch der ursprüngliche Bestand in den wesent lichen Punkten bestehen. Der Ursprung des christlichen Kultbaues liegt also im Römischen. Seine Wurzel ist nicht pro fan, sondern sakraler Natur, da dieser Raum nicht allein von den Versammlungsräumen ir discher Zwecke abzuleiten ist, sondern aus den Räumen für den höchsten römischen Kult, dem Kaiserkult. Die Übertragung dieses imperialen Bauschemas aus der römischen Kunst auf den christlichen Gottesdienst kommt also einer Art Stiftung gleich, bei der der Kaiser das Höchste, das ihm zur Verfügung stand, der neuen Re ligion übergab. Es handelt sich aber dabei nicht bloß um eine formale Übertragung. Diese Raumanlage, die in ihrem Wesen aus einem Wegraum, einem Versammlungsraum und einem Sanktuarium besteht, die in ihrer achsialen Gliederung auf den prozessualen Cha rakter, der darin abgehaltenen Handlung hin97

weist, entspricht nicht nur den liturgischen Neuerungen der konstantinischen Zeit, sondern dem Charakter der heiligen Messe überhaupt. Sicherlich sind die Hauptteile der heiligen Messe von räumlichen Gebundenheiten un abhängig. Auf das engste beschränkt, genügt für ihre Abhaltung ein Tisch. So ist es ja auch in der Verfolgungszeit möglich gewesen, in Zimmern privater Häuser oder unterirdischen Begräbnisstätten die Messe zu feiern. Diese Si tuation verändert sich aber grundlegend durch die Einrichtung der Kirche als staatliche Funk tion. Dem Edikt Konstantins kommt hier für die ganze weitere Geschichte der Kirche eine gründende Funktion zu. Hier ist es vor allem wichtig, daß Christus nicht an Stelle Jupiters trat und das Christentum nicht die olympische Religion ersetzen sollte. So wurden auch nicht die Tempel dieser offiziellen römischen Religion für das Christentum verwendet. Das Christen tum trat als neue Staatsreligion an die Stelle des Kaiserkultes und an die Stelle des vergöttlichten Kaisers trat der leiblich in den Himmel aufgefahrene Christus. Ihm galt nun der Ehrentitel Theos epiphanes, der früher bei den Divinisierungen der Kaiser verwendet wurde. Dieser Akt kann nicht relativiert werden und so kann auch der künstlerische Gründungsakt, der in der neuartigen Anlage der monumentalen konstantinischen Basilika lag, ein gewisses Maß von allgemeiner Bedeutung für jeden christ lichen Kultraum für sich in Anspruch nehmen. Ist der Gottesdienst nicht relativ, so kann auch der Raum dafür nicht relativ sein. Rom und die römische Kunst geben dabei die Form. So wie es für das Christentum und die Geschichte der katholischen Kirche von absoluter Bedeu tung war, daß Christus aus dem jüdischen Volk aber auch innerhalb des römischen Reiches unter der Regierung des Kaisers Augustus in der Welt erschien und von da an dieses rö mische Reich mit seiner Organisation und sei nen Einrichtungen die Form abgegeben hat für die werdende Kirche, so kommt diesem histo rischen Moment des konstantinischen Ediktes auch gründende Bedeutung zu. Zu all dem tritt noch ein symbolischer Inhalt. Christus ist der Dominus ac Deus, der Theos epiphanes und der Raum, in dem er erscheint, ist die himmlische Stadt. Diese Vorstellung drückt sich nicht nur in Apsismosaiken aus, wie etwa den in Sta. Pudenziana in Rom, sondern auch in dem Kirchweihhymnus, der bis in das 4. Jahrhundert zurückverfolgbar ist und in dem das Kirchengebäude als Celestis urbs Jerusalem angesprochen wird. Sedlmayr hat in entschei dender Weise auf die Wichtigkeit dieser Vor stellung hingewiesen und seine Theorie der Kathedrale darauf aufgebaut. Das Bild dieser himmlischen Stadt ist hier aber das Bild des imperialen Forums. Dies alles soll nicht bloß als architektur geschichtliche oder kirchengeschichtliche Fest legung hier vorgebracht werden. In diesem Sy stem ist etwas grundgelegt, über das wir nicht so einfach hinweggehen können. Immer wird das Kirchengebäude ein Versammlungsraum sein, der die himmlische Stadt verkörpert. Immer wird sein Ursprung im Römischen lie gen und es wird immer ein Weg sein hin zu einem Zielpunkt, an dem Gott erscheint. Absfrakfe Kunsf im Kirchenraum? Walfer Warnach (Köln) Die Frage, ob der abstrakten Kunst im Kirchenbau ein Platz eingeräumt werden darf, würde sich ernsthaft nicht stellen, wenn die abstrakte Kunst wäre, was ihre Widersacher und Verächter vorgeben: der letzte Ausläufer eines „subjektivistischen Ästhetizismus" (Peter Metz in „Abstrakte Kunst und Kirche", S. 51), der sich ratlos im einsamen Experiment des bildnerischen Geistes an der Materie erschöpft. Zwischen dieser Einsamkeit des Experiments und dem Gemeindesinn, der dem Wesen nach im Kirchenbau vorwalten muß, ließe sich in der Tat auch durch gewaltsamste Annäherung kein Spannungsbogen herstellen; der Stromkreis schlösse sich nicht. Aber die Frage nach der abstrakten Kunst im kirchlichen Raum wird jedoch unabweislich, sobald man den Tatsachen unbefangen ins Auge sieht. Tatsache ist, daß die abstrakte Kunst — der Name tut übrigens nichts zur Sache, man könnte ebenso von der konkreten oder absoluten, in jedem Fall nicht gegenständlichen Kunst reden — Tatsache ist, daß die abstrakte Kunst in den mehr als vierzig Jahren ihrer Entwicklung in jeweils neuen 98

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■ Photo; Moosbrugger, Zürich Le Corbusier, Wallfahrtskirche In Ronchomp

Ii ■. ■ Glasfenster in Ronchamp Photo: Moosbrugger, Zürich

H. Matisse, Wandbild der Kapelle in Vence Photo: Moosbrugger, Zürich V

geschichtlichen Konstellationen der Ort gewesen ist, wo entscheidende Vorgänge des geheimeren geschichtlichen Führungssinns zum Austrag ge kommen sind und, wie man im Blick auf die Situation der Kunst heute annehmen muß, auch weiterhin zum Austrag kommen werden. Ich brauche nur die Namen Kandinsky, Piet Mondrian und mit ihm die Bewegung „de Stijl", die Leute des Bauhauses, die auch wenn sie wie Klee und Schlemmer der abstrakten Kunst nicht selbst angehören, ihr aber wesentlich zu geordnet sind, Männer wie Baumeister und Vordemberge-Gildewart und schließlich die Ab strakten des Nachkriegs wie Nay, Winter, Mei stermann, Faßbender zu nennen, um damit schon anzugeben, welche Verknotungen des Zeitgeschicks, wie unauffällig auch immer, sich hier vollzogen haben. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, den geschichtlichen Sinn dieser Be wegung herauszustellen, die in drei mächtigen Schüben von Mal zu Mal tiefer gelagerte Schich ten unseres Gestaltsinnes erschütterte. Wir haben es mit der Situation der abstrakten Kunst auf der gegenwärtigen Stufe ihrer Ausbildung zu tun, soweit sie eine Herausforderung an die kirchliche Kunst und den christlichen Künstler unserer Tage darstellt. Ich bin mir im übrigen bewußt, daß damit ein geschichtliches Phänomen mit einiger Ge waltsamkeit aus seinem Kontext herausgelöst wird, daß neben dieser Bewegung, in einem keineswegs belanglosen Verhältnis der Anzie hung und Abstoßung die gegenständliche Kunst zum Feld der gleichen Auseinandersetzung ge worden ist. Ja, ein Vergleich der schöpferischen Kräfte, die sich hier wie drüben entfalten,, könnte nahelegen, die größeren schöpferischen Potenzen im Bereich der gegenständlichen Kunst anzusetzen. Das gilt zumindest bis ins letzte Jahrzehnt hinein und scheint sich erst jetzt, zunächst noch unmerklich, zu verschieben. Da bei ergibt sich das Seltsame und höchst Beach tenswerte, daß selbst die aus den elementarsten schöpferischen Voraussetzungen notwendig ent wickelten Gestaltungen der großen gegenständ lichen Künstler auf die eine oder andere Weise zu den Formerrungenschaften der abstrakten Kunst in Beziehung treten und sich daran modifizieren — ein Beweis mehr, welche ge schichtlich zwingende Kraft dieser Bewegung innewohnt. Weder Georges Braque noch Juan Gris, weder Max Ernst noch Miro, weder Henri Laurens noch Marini hätten auf bestimmten Stufen ihrer Entwicklung letzte Formentschei dungen fällen können, ohne das Beispiel der abstrakten Kunst, und es fragt sich, ob selbst solche Künstler, die wie Max Beckmann, Modi gliani oder Rouault in betontem Abstand zu den Tendenzen der abstrakten Kunst standen, nicht dennoch von diesem Gegensatz her be stimmt und zu den härtesten Folgerungen ihrer eigenen Formenlogik getrieben wurden. Was in dem Abenteuer der abstrakten Kunst vor sich gegangen ist, läßt sich nicht anders be zeichnen denn als Epiphanie der Wirklichkeit. Die radikale Askese im Gebrauch der Darstel lungsmittel, die Reduktion auf die Primär elemente, die Ausgrenzung aller illusionistischen Faktoren, alles dient dem Willen, jene Gegen wart zu umstellen, für die man keinen Namen hat, von der man aber weiß, aus der unerbitt lichen Logik des Ausgrenzens weiß, daß in ihr das dichteste Zeitwesen waltet. Diese Gegenwart ist selbst, wo sie wie bei Kandinsky als das „reine Wesen" gemeint war, zeithaft-geschicht lich. Auch die unbedingte Positivität und Helle des geometrischen Stils, die radikal praktizierte „Rechtwinkligkeit an Leib und Seele" in den Kompositionen Piet Mondrians kann nicht dar über hinwegtäuschen, daß diese Formen an der Schmerzstruktur unserer zweifach gefallenen modernen Welt ausgespannt sind. Der Protest des Positiven wird in den abstrakten Bildwer ken der Nachkriegszeit als das unangemessene Pathos der Sachlichkeit preisgegeben und nun mehr in einer männlich strengen Bildzeichen sprache gesagt, was zu sagen ist. Kann nun die Kirche darauf verzichten, die in dieser seit Jahrhunderten wohl schärfsten Formauseinandersetzung errungene Sprache der jüngsten abstrakten Kunst in ihren Dienst zu nehmen? Die Frage, so gestellt, erzeugt einen wahren Strudel von Unbestimmtheiten, Miß verständnissen, Widersprüchen. Man spricht hier wie im gottesdienstlichen Raum von Gegen wart. Aber die Gegenwart, die in der Kirche angebetet wird, ist nicht namenlos, sie hat einen hohen, den allerhöchsten Namen, sie ist auch nicht bildlos, sie hat ein Antlitz, und welches Antlitz! — Sie ist zeithaft ewig und ereignet sich in der ärmsten, der leersten Gestalt, der weißen Scheibe der Hostie. Wer glaubt noch, daß diese Hostie bluten kann? Das Blut der Geschichte scheint aus ihr ausgeronnen zu sein. — Wie aber läßt sich Gegenwart mit Gegenwart zur Deckung bringen, wenn das Unaussprech liche nicht Wort wird und das Wort nicht im Aussprechen seine Unaussprechlichkeit erweist? Indem diese Frage laut wird, werden wir mit der anderen Tatsache konfrontiert, die erfaßt werden muß, wenn die Situation voll bestimmt sein soll, aus der allein wir eine Antwort auf die Frage versuchen dürfen, ob der abstrakten Kunst im kirchlichen Raum Platz gewährt wer den kann: Die Kirche ist der Ort, wo sich das Gottesvolk versammelt zur eucharistischen 99

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