Christliche Kunstblätter, 93. Jg., 1955, Heft 1

•-Z /Ti'-Z und daß dessen Folgen viel schädlicher sind." Wenn auch der ursprüngliche Trieb Tol stoi wie Baccio wieder zu ihrer geliebten Tätigkeit zieht, so tragen die letzten Werke beider doch unverkennbar den Stempel der neu errungenen Einsicht. „Chadschi Murat" und die „Volkserzählungen" stehen in ge wisser Entsprechung zu den Fleiligengestalten des Renaissancemeisters. Im übrigen werden auch beider Leben mönchisch; die schlichte Stube von Jasnaja Poljana, wo der Graf täglich selbst Staub wischt, und seine Bauernkleidung sind eine ähnliche Demon stration wie das Leben in der engen Kam mer von San Marco und die dunkle Bruder tracht Baccios. Hier wie dort wird der Künstler zum Priester, zum Evangelisten; entscheidet er sich auf Kosten der Form, Gestalt, Erfindungslust für die ernsten Opfer der Fleiligung. III. Solche Lebensschicksale vermögen über den inneren Gegensatz der beiden Reiche mehr auszusagen als irgend eine Analyse. Kunst und Fleiligung sind zwei verschie dene Prinzipien oder „Potenzen", wie Jacob B urckhardt sie nennt, indem er die eine der kulturellen Sphäre, die andere der religiösen zuteilt. Wer ein Bild malt, Ge dicht schreibt, Roman, Drama entwirft, bewegt sich auf anderer Ebene, befolgt andere Gesetze als der die Stationen der inneren Reinigung anstrebende priester liche Mensch, dessen ausschließliches Ziel immer das Heilige bleibt. Der Kunstgeist, der dem Reich der Schönheit dient, ist dem Leben, dem Dies- .seits, der Sinnlichkeit verwandter als die Heiligung, die Strenge und Flärte gegen über der Welt fordert und schließlich im Entwerden von ihr gipfelt. Man kann die Frage nicht auf werfen, welche Geistigkeit ,,größer" ist. Oder scheint es sinnvoll, die Größe des jungen Rembrandt, der sich mit erhobenem Weinglas, die Braut Saskia auf dem Schöße, in einem köstlichen Geniewerk darstellt, vergleichen zu wollen etwa mit dem Missionsbewußtsein des heiligen Wolf gang, der sein Regensburger fürstliches Bischofsamt freiwillig aufgab, um als evangeli.scher Einsiedler in der Felshöhle eines von wilden Tieren und räuberischen Stäm men bedrohten Waldlandes zu wohnen und dort das Kreuz aufzurichten? In Zeiten der Krise, des Volksleidens klaffen die Gegensätze besonders heftig auseinander. Künstler wie Baccio entsagen dann ihrer Beschäftigung, sehen ihren Um gang mit der Schönheit als unerlaubt an und glauben der Welt, die sie retten wol len, besser zu dienen, indem sie ihr das Beispiel freiwilligen Verzichtes bieten. Der religiöse Mensch entschlägt sich ja nicht bloß des äußeren, sondern auch des inneren Gutes: seiner Begabungen, sofern sie nur auf sich selbst bezogen sind, ja, des Genies. Als äußerste Folge solcher Haltung ent wickeln sich schließlich Extreme, die in der Historie bekannt sind: Bildersturm, Kunst verbot, Kunsthaß. Der Islam und das Juden tum treten mit einem solchen Pathos gegen das künstlerische Gestalten auf, daß bei spielsweise das Judentum die Verbindung mit der Welt der Kunst verwirft. Fremde Künstler müssen kommen, um seine Tem pel zu bauen. Uberwiegt anderseits bloß der religiöse Geist in einer der Entwicklung entsprechen den Form (ohne Extrem), wie bei den ersten Christen, so können wir auch hier feststellen, daß die Fähigkeit der Kunst zurücktritt. Wenn wir die Mittel bedenken, die den urchristlichen Künstlern in den Katakomben zur Verfügung standen, so erscheinen sie auf ein geringes Maß tech nischen Könnens zurückgeschraubt und las sen sich trotz ihrer Innigkeit, Echtheit, Glaubenskraft, Schlichtheit nicht mit der Fülle der klassischen griechischen Jahr hunderte vergleichen. Selbst die Fertigkeit, in Marmor Schrift einzumeißeln, verliert sich in der Katakombe: die Buchstaben reihen sich in schwankenden Zeilen anein ander, die nichts mehr mit der wuchtigen, klaren Art der römischen Antiqua gemein haben. Man darf die allgemeine Behauptung wagen, daß mit der Zunahme des unbedingt religiösen Geistes das Kunstvermögen ab nimmt — ein reziprokes Verhältnis, das freilich ein glückliches Zusammenwachsen beider Potenzen in seltener Harmonie nicht ausschließt. Übrigens auch umgekehrt, von selten der Kunst vollzieht sich zu gewissen Zeiten eine Zuspitzung des Verhältnisses im feindlichen Sinn. Als sich im vorigen Jahrhundert die Überschätzung der _ naturalistischen Form und zugleich ein Ästhetentum und narzi- 'stisches Verliebtsein in die Kunstform an

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