Christliche Kunstblätter, 93. Jg., 1955, Heft 1

Herausgerufensein hat der kirchliche Raum teil." Dieser Ausdruck: „aus der Welt herausgerufen" interpretiert die Idee der Konsekration in dynamichem Sinne und setzt damit den Akzent mehr auf den Aspekt der Kirche als Wanderer als auf den der Kirche als Institution oder, in der Sprache der Philosophie, mehr auf ihr Werden als auf ihr Sein. Seiner Einstellung entsprechend stellt Prälat Grosche fest: „In der Mitte der Gemeinde steht geistig die heilige Institution der Eucharistie. Darum gehört auch der Altar, wo das Mysterium vollzogen wird... in die Mitte (nicht geometrisch). So ist der Kirchenbau und muß es sein, wenn er seinen Sinn erfüllen will, ... ein wahrhaft sinn erfülltes, geheimnisvolles Zeichen der Gemeinde, die in seinen Mauern ihren erhabenen Dienst vollzieht." Die Kirche und in der Kirche der Altar zögen also ihren Sinn ganz aus diesem Akt des sich-versammelns. Dementsprechend ist die zweite Grundidee dieser Darlegung die des vorübergehenden Charakters der Kirche. ,,Zum wahren Offenbarwerden dieser ewi gen Einheit in der Herrlichkeit Christi ist die Ge meinde aber noch unterwegs. Die Kirche ist von daher nur wie eine Stätte kurzer Rast, kurzen Ver weilens mit dem Stab in der Hand, wie bei dem Auszug aus Ägypten beim Passahmahl. Die Kirche ist nicht das Haus, wo wir wohnen können, sie hat noch etwas von der Art des abbrechbaren Zeltes des Alten Bundes." Ist es nicht auffallend, daß in den Texten, in denen die Kirche selbst uns über unsere Heiligtümer belehrt, diese Bilder vom Aus zug nicht enthalten sind? Die von ihr in der Litur gie der Kirchenkonsekration wie im Kirchweihoffizium benutzten Texte betonen mit größtem Nachdruck die Fortdauer und die Dauerhaftigkeit der Wohnung Gottes in der Mitte seines Volkes dar: besonders der der Weihe des Salomonischen Tempels. Mit außerordentlicher Dringlichkeit wird in diesen Texten die Tatsache unterstrichen, daß es sich um die Wohnung Gottes handelt (permaneant ociili mei et cor memn ibi cunctis diebus), und der Text der Apokalypse über das himmlische Jeru salem, auf das Kirchengebäude angewandt: vidi civitateni... et audivi.. ecce tcibernaculum Dei cum hominibus, et habiiahit ciim eis) in einem Flause (haec est domus . ■.) fest gebaut (firniiter aedificata)^ oder noch: Dei structura est^ Dei aedificatio est. Im Gegensatz zur Argumentation von Prälat Grosche gravitiert die ganze Kirchenweihliturgie um die feste Versicherung, daß die Ära des Zeltes vorbei ist und daß wir uns in der vollen Wirklichkeit der Inkarnation befinden. Prälat Grosche betrachtet dann unter einem glei chen Gesichtspunkt die Kirchenarchitektur: „Diese Dialektik des schon und noch nicht der Gemeinde müßte auch im Bauwerk zur Geltung kommen." Übrigens „der Zentralbau war stets die Sehnsucht christlicher Kunst". Ist aber die zentrale Architek tur doch wohl bezeichnend dafür, „daß die Kirche sich zu allen Zeiten als ausgerichtet, als aufbre chend erfaßt und erkennt"? Würde nicht die longitudinale Konstruktion diesem Symbolismus besser entsprechen? Es scheint andererseits auch nicht, trotz diesem Traum, daß der zentrale Typ in der Geschichte vorherrschend gewesen sei. Diesen Ein wurf beantwortet Prälat Grosche damit, daß es die sem Typ widerfahren sei, immer wieder durch Lang- und Querschiff ,.durchkreuzt" zu werden, was uns nicht sehr beweiskräftig erscheint. Wir glauben vielmehr, daß die der Geschichte hier zu geschriebenen Absichten von den Tatsachen nicht bestätigt werden. . Linter den Architekten ist übrigens der Gesichts punkt von Prof. Schwarz in Münster ganz ebenso repräsentativ für viele unter den besten seiner Kol legen wie der von Prälat Grosche für die Mehrzahl der ausgezeichneten Geister von heute in Deutsch land und anderwärts. Sehr richtig lehnt zunächst Prof. Schwarz jeden Funktionalismus als Lösung des Problems des modernen Kirchenbaues energisch ab. „Die Erklärungen, die vom neuen Material, von Werkrichtigkeit, von der Funktion in der Litur gie sprechen, sind überholt und geplatzt wie eine Seifenblase." Was aber wird an seiner Stelle vor geschlagen? „Was neues Bauen ist, sagt das Ge fühl." Damit befänden wir uns also wieder auf dem lockeren Sand sentimentaler Subjektivität. Profes sor Schwarz fährt fort: „So erhält der Architekt im letzten auch nicht aus der Liturgie seine An weisungen, sondern sie entspringen seiner Poesie, dem Reiche der eigenen, in ihm schwebenden Bil der des Heiligen." Wir gestehen, daß wif nicht sehen, was so hermetisch persönliche Faktoren mit einer plastischen Arbeit verbinden könnte. Aber gibt es denn das Dilemma, daß man entweder von der Liturgie oder von seiner eigenen inneren Poesie inspiriert werden muß? Und muß man Architektur in der Sprache der In.spiration behandeln? Wir be gegnen auch hier jener Einstellung auf die subjek tiven Werte und dem Wunsche, Ideen mit aller Kraft direkt in Steine zu übertragen. Daß die For men ihre eigene, streng plastische Sprache haben und eine Grammatik befolgen, die das Ganze der spezifisch architektonischen Gesetze ausmacht, und daß man erst nachher und erst daraufhin dem Ge bäude eine symbolische Bedeutung geben kann, das scheint nicht berücksichtigt zu werden. Um jedoch der Gefahr dieser subjektivistischen Stellungnahme zu begegnen, führt Prof. Schwarz den Gesichtspunkt der Gemeinde ein: Der Architekt müsse „den Geist der Gemeinde treffen, der auf sein Werk eingeht". „Nur die Seele einer Gemeinde — die es wirklich gibt — kann echtes Anliegen der Architektonik sein." Zwischen individuellem und Gemeinschaftsegoismus besteht jedoch ein Unter schied nur in bezug auf die Spezies im Inneren der gleichen Gattung. „Nicht der individuellen .Ästhetik", sagt weiterhin Prof. Schwarz, „gebührt die Vorherrschaft im Kirchenbau." Dieser indivi duellen Ästhetik stellt er die „Kristallisationsfor men der Gemeinschaft" entgegen. Was mag damit gemeint sein? Wir wissen es nicht. Was es auch sei, die Unklarheit wird jedenfalls damit nicht auf gehoben. Wir haben die Auseinandersetzungen von Mün- .ster ziemlich eingehend analysiert, weil sie, wie schon oben gesagt, eine weit verbreitete Geistes richtung widerspiegeln. Ihr Interesse beruht vor allem darauf, daß sie diese Tendenz sehr ausführ lich und bestimmt zum Ausdruck bringen. Die Macht des Gedankens verbürgt aber nicht notwen digerweise seine Richtigkeit, Dom Samuel Stehm an. (Die Zitate stammen aus „Art d'Eglise", 1954^, Nr. 4, S. 318, und aus „Der christliche Sonntag" vom 4. April 1954, S. 107—to8, Verlag Herder, Freiburg.) 25

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