Christliche Kunstblätter, 93. Jg., 1955, Heft 1

unterschiede, die um so weniger wahrgenommen werden, als das kritische Unterscheidungsvermögen durch den Stachel des Unbehagens an und in der Gegenwart gelähmt ist. Um das zu erkennen, ist es nicht erst nötig, die Lübecker Prozeßakten zu studieren. Uberall dort, wo sehr ehrenwerte Künst ler sich in den Kunststilen vergangener Epochen üben, zeigt sich die Virulenz des in seiner eigen schöpferischen Produktion gehemmten und gestör ten Zeitalters. Michelangelo machte sich noch einen Jugendstreich daraus, die Ansteckungsfähigkeit seiner Zeit dadurch zu illustrieren, daß er eine . eigenhändig „auf antik" gearbeitete Skulptur in seinem Garten vergrub und als „echte Antike" wieder ausgrub. Niemand weiß, wieviel seit Mi chelangelos Tagen nun nicht mehr im Scherz, son dern mit betrügerischer Absicht verfälscht und ge fälscht worden ist. Das Fälscherhandwerk hat von dem Zeitpunkt an floriert, als es Menschen gab, von denen anzunehmen war, daß sie — getäuscht sein wollten. Den Zeitpunkt aufzuspüren, ist nicht weiter schwer. Mit dem Erwachen des historischen Be wußtseins erwachte auch die Neigung, den Leistun gen der Vergangenheit einen höheren Wert beizu messen als den Leistungen der Zeitgenossen. Es klingt und ist auch überspitzt, zu behaupten, die Renaissance habe sich in dem Bestreben, den Sehn suchtsbedarf nach der Antike zu befriedigen, zu einem großangelegten Kopisten-Unternehmen ent wickelt. Die Wegbereiter und Weggefährten Mi chelangelos haben tatsächlich etwas Derartiges proklamiert. Daß der Schwung der Idee und das eigene Ingenium sie die Wiederholung der Antike verfehlen und eine eigenwertige Kunst begründen ließen, lag durchaus nicht „im Plan". Sobald das historische Bewußtsein einschläft, ist aus Fälschungen kein Kapital mehr zu schlagen, weder in spitzbübisch geprägten Münzen einer Pointe noch in schäbigen Talern schnöder Gewinn sucht. Im Barock ist weder der sarkastische Einfall Michelangelos noch, mit Verlaub, die Lübecker Affäre denkbar. Der Weizen der Kunstfälscher steht erst im 19. Jahrhundert in Blüte, so sehr in Blüte, daß es, um die Sterilität der Gründerzeit nachzuweisen, vollauf genügt, die ellenlange Liste der Fälschungen aufzuzählen, auf die die Neu reichen in ihrer vorgeblichen Kunstfreudigkeit her eingefallen sind. Wie sich gegen Leute vom Schlage Malskat und Fey schützen? Der Strafrichter ist nur für die Aburteilung eines Individuums, nicht eines Typus kompetent. Der Typus ist eine Zeiterscheinung, die der Paragraphenschlinge hohnlacht. Denn im Grunde sitzen wir alle, die Angeklagten und der Richter, die Verteidiger und die Zeugen, die Zu hörer im Gerichtssaal, der Verfasser und die Leser dieses Artikels, auf der Anklagebank. Und kein hreispruch ist zu erwarten. Zu erhoffen ist nur Bewährungsfrist, die genutzt sein will, eine eigen ständige Kunst zu schaffen, auf daß wir die Kunst der Alten hochachten, aber nicht mehr ihren Surrogaten unterliegen. (Aus; „Rheinischer Merkur", Köln, Nr. 5, vom 28. Jänner 1955.) Gesichtspunkte zum Kirchenbau Wir wiesen schon auf die Lebendigkeit der reli giösen Kunst in Deutschland hin. Der Wiederher stellung insbesondere des durch den Krieg zerstör ten ist eine reiche Blüte von bedeutenden Werken zu verdanken, zahlreicher als in anderen Ländern, mit Ausnahme der deutschen Schweiz. Sehr aktiv ist auch die diesen schöpferischen Aufschwung be gleitende gedankliche Arbeit, wie sie beispielsweise auf den Veranstaltungen in Fulda geleistet wurde. In diesem Zusammenhang scheinen uns die Dar legungen von Interesse, die in Münster, gelegent lich einer Zusammenkunft von Theologen und Ar chitekten über die Fragen des modernen Kirchen baus geboten wurden. Die Hauptreferate waren diejenigen von Prälat Dr. Grosche und von Professor Rudolf Schwarz, einem der bedeutendsten religiösen Architekten Deutschlands. Prälat Grosche stellte zunächst die Frage: Was ist eine Kirche? Die Antwort von Prälat Grosche geht jedoch von einem durchaus verschiedenen Ge sichtspunkt aus. Seine beiden entscheidenden und übrigens miteinander zusammenhängenden Leit ideen sind: die der Kirche als Versaninilimgsort der christlichen Gemeinschaft sowie als ein nur vor läufiger, nicht bleibender Ort weil diese Gemein schaft auf dem Wege zum Reiche Gottes sei. Das damit beiseite gelassene objektive Element der Konsekration scheint uns jedoch gerade das Flaupt- und spezifische Element der Definition der Kirche zu sein; es ist in der Tat nicht zu erkennen, was sonst die Kirche von einem einfachen und sogar nichtchristlichen Oratorium oder auch irgend einem profanen Versammlungsort unterscheiden würde. Und andererseits könnte dann die kirchliche Kon sekration als etwas nur Hinzugefügtes erscheinen, das eine von der fraglichen Gemeinschaft unter nommene Initiative nachträglich sanktioniert. Prälat Grosche ergänzt durch zwei Bemerkungen seine ursprünglich unvollständige Definition. Zu nächst durch diese: Es handelt sich nicht um ,,eine Gemeinde, die sich spontan, aus religiösem Gefühl und Drang zusammenfindet, deren Prinzip psychologi,scher oder soziologischer Art ist". Sodann durch die Feststellung, daß diese Gemeinde aus denen besteht, die „von Gott durch Christus geru fen, aus der Welt herausgerufen, von der Welt abgegrenzt sind". Von der christlichen Gemeinde könnte man aber, so scheint es uns, genau genom men erst dann sprechen, wenn man davon ausgeht, daß sie christlich ist im objektiven Sinne ihrer Er wählung, das heißt nicht nur durch Berufung son dern durch die Taufe. Das demgegenüber in der Definition von Prälat Grosche enthaltene subjektive Moment wird noch verstärkt, sobald angenommen wird, daß, wenn auch diese Gemeinde durch gött liche Berufung errichtet ist, doch ihr Akt des sichversammelns es ist der die Kirche rechtfertigt. Unter dem gleichen Aspekt spricht Prälat Gro sche von der Konsekration der Kirche: „An diesem 24

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