PÄi""- " *1 CHRISTLICHE KUNSTBLÄTTER 93. JAHR • 1955 • HEFT 1 I
Titelbild: Hl. Rochus. Foto: Diözesanbildstelle Dr. Erich Widder. Hl. Rochus, Werkstatt des Martin und Michael Zürn. Um 1650: Kriegsnot und Pestzeit, Votivaltäre, den l^^estheiiigen St. Sebastian und Rochus geweiht, werden in vielen Kirchen errichtet. Eine lebensgroße Holzflgur solcher Art ist im Rieder Heimathaus erhalten. Die Vorderansicht des Kopfes zeigt das Werk von seiner besten Seite. Im Rahmen dunkler, wie Flammen züngelnder Haarsträhne ist der geistige Ausdruck des Kopfes gesteigert, der rudimentäre-schwammartige Charakter der Haarstruktur ein willkommenes Mittel, dem Gesiclit selbst die größere Bedeutung zu bewahren. Dieses ist von den gleichen heftigen Zügen durchströmt, mit den sich vorwölbenden Teilen der mächtigen Stirne, den Augäpfeln, Wangen, Nasenflügeln, Ohrleisten. Der Bück geht nicht parallel, sondern in der Richtung der Radien der kugeligen Stirne in die Weite, dem ganzen Aufbau des Hauptes entsprechend. Der schmächtige Hals betont noch stärker dieses Strahlende des Kopfes. Dabei kann der Mund nicht geschlossen sein und müssen sich die Nasenflügel gerade so wölben. Anderseits weiß sie Richtung und Ordnung des Bartes dem Übergang zum Rumpfe zu gewinnen. Wieviel Gotisches wird mit dieser Plastik wieder oder noch sichtbar! Die Aussage, die mit dieser reichen, bewegten Formenwelt geleistet wird, zeigt uns den Menschen als einen Pilger, von Not und Tod bedrängt. Es öffnet sich der Mund zu leichter Klage, ein tiefes Atemholen scheint zu spüren, der schon geschilderte, eher ängstliche Blick weist nach innen, hier wie der kompositionelie Auf bau Halt findend! (Man beachte diesen Zusammenklang von Komposition und Inhalt!) Ein Sturmwind hat das Haupthaar durcheinandergeworfen, Ausdruck der Bedrohtheit, Kontrast zur inneren Sammlung des Ge sichtes. Leider hält der übrige Teil der Plastik nidit, was der Kopf in seiner Vorderansicht verspriclit und ist nur ein durchschnittliches Gesellenstück. A. S. Inhalt SEITE Kunst und Heiligung Robert Braun, Llpsala 1 Der Christ und die Kunst Do2. Dr. Leonhard Küppers, Düsseldorf 4 Moderne Schmelzkunst im Dienste der Kirche Friedrich Knaipp, Gmunden 7 Die Kirchenfassaden des römischen Spätbarocks Renate Rieger, Wien 11 Der Name »JESUS« in der Kunst Dipl.-Ing. P. Gottfried Engelhardt, Stift Seltenstetten, Nö 14 Ein neues Astlwerk Ekkart Sauser, Innsbruck 16 Die Sakralbauten der Diözese St. Pölten, NÖ. - ßaugeschichte und Kunstinventar Dr. Gerhard ßittner, Wien 17 Das Forum 23 Denkmalpflege 26 Berichte 28 Nachrichten aus aller Welt 36 Buchbesprechungen 38 CHRISTLICHE KUNSTBLÄTTER, Eigentümer, Verleger und Herausgeber: Diözesan-Kunstverein, Linz a. d. D., Herrenstraße 19. Schriftleiter: Prof. Dr. Norbert Miko, Linz, Petrinum. — Für die Diözese St. Pölten: Prälat Dr. K. B. Frank, St. Pölten, Domplatz Nr. 1. — Der Jahrgang besteht aus 4 Heften. Bezugspreis für den ganzen Jahrgang: 40 S. Postscheckkonto Wien 26.090; für das deutsche Bundesgebiet 8 DM, Postscheckamt München, Konto Nr. 120.088; für das übrige Ausland 2 <f. Druck: Jos. Feichtingers Erben, Linz, Hauptplatz 18. — Klischees: Kübier & Co., KG., Linz.
Kunst und Heiligung Von Robert Braun, U p s a 1 a I. Um die Wende des XV. Jahrhunderts, also zur Zeit der Vollendung der Renais sance, gibt es unter den Meistern Italiens eine Gestalt, die zu den tragischen zählt, da sie zwischen zwei Entscheidungen nur schwer den Weg findet. Es ist B a c c i o d e 11 a Porta, ein Künstler hohen Ran ges, den es gleichwohl bei der Staffelei nicht duldet, sondern zum — Priesterstand drängt, wo er freilich den Frieden auch nicht findet. wSchon als Dreiundzwanzigjährigem ge lingt ihm ein „Jüngstes Gericht" von solch innerer Wucht und farbiger Herrlichkeit, daß alles sich tief davon angesprochen fühlt, zur Begräbniskapelle von Santa Maria Nuova eilt, wo es als Fresco der Außen wand zu sehen ist, und bewundernd Baccio den größten Meister des neuen Florenz nennt. Kaum gibt es damals einen Berühm teren in dieser Stadt, ausgenommen einen: den gewaltigen Propheten von San Marco, •S a V o n a r o 1 a. Aber gerade dessen Über macht ist es, die den jungen Maler alles Lob überhören und plötzlich umschwenken läßt, um diesem fanatisch nach Buße und Reini gung Rufenden zu dienen. Kunst erscheint in Savonarolas Lager als etwas Fernes, nicht unbedingt Wichtiges, in einem sehr düstern Licht. Sie wird als etwas den Men schen Gefährdendes, ihn um sein Seelenheil Betrügendes entlarvt, ihr Ausschweifen ins Profane geradezu verfolgt. So schreibt der Kunstschriftsteller V a s a r i, der noch in zeitlicher Nähe dieser Vorgänge lebt: „Die Bewohner der Stadt (Florenz) gerieten durch seine (Savonarolas) Reden in Eifer, und da daselbst der alte Brauch herrschte, zum Karneval auf dem Markte ein paar Hütten von Reisig und Holz zu bauen, die man am Fastnachtsabend verbrannte, wäh rend Männer und Frauen, einander bei den Pländen fassend, Liebestänze und Gesänge aufführten, so wußte Fra Girolamo Savona- •rola es dahin zu bringen, daß an jenem Tage eine große Anzahl Malereien und Bild werke, welche nackte Gestalten enthielten und zum Teil von trefflichen Malern aus geführt waren, samt einer Menge Bücher, Lauten und Lieder nach dem Markte ge bracht und zum großen Schaden besonders für die Malerei verbrannt wurden. Plierzu trug Baccio alle Studien herbei, die in Zeichnung nackter Gestalten von ihm ge macht worden waren und seinem Beispiele folgten: Lorenzo di Credi und viele andere, welche den Namen Klagebrüder führten." Dies war ein entscheidendes Opfer für den Künstler. Aber Baccio begreift noch tiefer die Verpflichtung des asketischen Ru fes. Als er bei den Kämpfen gegen Savona rolas Feinde mit anderen Verteidigern in San Marco eingeschlossen wird, gelobt er, falls er heil davonkäme, in den Domini kanerorden einzutreten, ein Gelübde, das er nach seiner glücklichen Rettung wahr macht. Er entsagt dem Liebsten, das er kennt: der Beschäftigung mit der Malerei, die ihm so hohen Ruhm eingetragen hat, um einzig der inneren Heiligung zu leben. Vier Jahre führt er im Zeichen von Sa vonarolas Opfertod das strenge Leben eines Mönches. Aber langsam steigt in ihm wie der unbezwinglich die Sehnsucht auf, der alten Kunst zu dienen, und da ihn sogar der Prior und die Brüder des Klosters darin bestärken, entzieht er sich nicht länger sei ner Berufung und beginnt wieder zu malen. Das erste Gemälde ist die Eigur eines Hei ligen. Era Bartolomen, wie er nun heißt, ist also wieder Künstler, die Floren tiner haben wieder Gelegenheit, seine Ta feln zu sehen, aber es kommt kein Beifall mehr wie einst. Denn nun überstrahlen zwei neue Sterne alles, was geschaffen wird: Michelangelo und R a f f a e 1. Die Gemälde des Klosterbruders erscheinen den Florentinern dagegen wie Schülerarbeiten. Tief enttäuscht reist Fra Bartolomeo nach Rom, wo er, um neu zu studieren und ver lorene Übung nachzuholen, nun leben will. j,Was er auch unternahm", schreibt Vasari, ,jWollte ihm jedoch in jener Luft nicht so wohl gelingen als in Florenz. Die übergroße Menge der verschiedenen alten und.neuen. Werke jener Stadt erschreckte ihn, und die 1
Kunst und Trefflichkeit, die er zu besitzen glaubte, schien ihm sehr gering. Deshalb beschloß er von dannen zu gehen . . Er kehrt ins Kloster San Marco zurück. Die Zellenwände schützen ihn vor dem zeh renden, alles überwältigenden Kunststrom, der sich über ganz Italien mit unerhörter Gewalt ergießt, und Gestalten emporträgt, deren Glanz in Jahrhunderten nicht er löschen wird. Sein Werk gehört nun allein der religiösen Welt an. Er malt, wie die Steinmetzen der gotischen Dome, die byzantinischen Meister arbeiteten: der Wettstreit der großen Kunst verklingt in der Ferne. Sein Schaffen gehört allein Christus. II. Vierhundert Jahre später, um die Wende des XIX. Jahrhunderts, vollzieht sich aber mals solch eine tragische und heroische Abschwenkung zur Heiligung hin. Der al ternde Tolstoi ist es, der um eine neue Formel seiner Kunst ringt und deshalb sein gesamtes früheres ruhmbeladenes Werk verleugnen möchte. Einundeinhalb Jahre währt dieser sehr schmerzliche und krisen reiche Übergang. Während langer Morgen spaziergänge in Jasnaja Poljana grübelt er über die Frage nach, deren Sinn ihm manchmal blitzhaft klar einleuchtet, bei der Eintragung in das Tagebuch sich aber wie der verwirrt, so daß er oft verärgert an merkt, es sei alles Unsinn und unbrauchbar. Kur schwer erschließt sich ihm durch Re flexion und inneres Experiment der Weg, der von der Kunst zur Heiligung führt. Als erste Frucht dieser Altersgedanken ergibt sich ihm endlich ein Buch. Er nennt es „Was ist Kunst?". Gelangt man beim Studium dieses Buches schließlich zu dem „Koordinatenkreuz", worauf alles bezogen ist, so erstaunt man darüber, wie sich Tol stois Ergebnisse decken mit den Impulsen Savonarolas, unter deren Einfluß der Künstler Baccio della Porta gehandelt hat. Der krasse Gegensatz von Armut, Hunger, Elend, darin der Graf das russische Volk befangen sieht, und dem parasitären Wohl leben einer unbedenklichen Oberklasse gibt den eigentlichen Anstoß, alles, was mit Kunst zusammenhängt, einer neuen Prü fung zu unterziehen. Tolstoi sieht in denen, die Kunst ausüben, die Romane und Stücke schreiben, und denen, die diese Bücher lesen und in Theatern zuschauen, Müßiggänger, Genießer, überflüssige Menschen. Daraus ergibt sich für ihn eine Verantwortung, der sich sein eigenes Schaffen unterzuordnen hat. „Es gibt viele Privilegien, aber das empörendste, das schändlichste aller Privi legien ist das Privilegium der Kunst, wie man dasselbe in unserer Zeit auffaßt", sagt er einmal zu einem Besucher. „Früher war es nicht so. Die mittelalterliche Kunst, die Skulptur der Portale und Kapitäle, die Kunst der Glaser war nicht für Gelehrte und Reiche, sondern für das Volk bestimmt. Das war gesetzliche Kunst, und sie war sogar gut. Aber die Päpste und die italieni schen Könige der Renaissance haben sich mit einem kleinen Hofe von Künstlern um geben. Sie banden sie an ihre Persönlich keit, bestimmten sie für ihr Vergnügen und fütterten sie. Diese Künstler der Renais sance sind die wahren Väter der gegenwär tigen Künstler; sie waren Parasiten." Nichts anderes behauptet hier der rus sische Dichter als vierhundert Jahre früher der Florentiner Mönch. Auch dieser haßt Kunst nur deshalb so fanatisch, weil sie den Menschen zur Selbstvergottung verführt. Der narzistische Zug im Künstler und in der Kunst, die A/^erliebtheit in die eigene Person und die Gegenstände, wie sie diese selbstgeschätzte Person sieht, der Subjek tivismus, dahin auszuarten Kunst immer tendiert, und der sich dann gesellschaftlich in einer unberechtigten Sonderstellung ge genüber dem arbeitenden Volk äußert — sind die Momente, die beide Künstler schließlich die Heiligung suchen lassen. Wenn Kunst dann überhaupt noch bestehen kann, dann nur in der Unterordnung unter die Gesetze der Fleiligung. Von hier aus leitet sich Tolstois Bilder sturm wie auch der aller folgenden Epochen ab. Er richtet sich gegen das Farben- und Formreich der „Flelena", der geschmückten und in sich selbst verliebten Dinglichkeit. Es ist merkwürdig, wie nahe Tolstois Einsicht der Idee Savonarolas und Baccios kommt. ,,Früher befürchtete man, es könn ten unter Kunsterzeugnisse Gegenstände geraten, welche die Menschen verderben, und man verbot jede Kunst", schreibt er. „Jetzt aber ist man bloß darum besorgt, daß man nicht irgend eines von der Kunst ge währten Genusses verlustig gehe und pro tegiert jede Kunst. Und ich glaube, daß der letzte Irrtum viel größer ist als der erste
•-Z /Ti'-Z und daß dessen Folgen viel schädlicher sind." Wenn auch der ursprüngliche Trieb Tol stoi wie Baccio wieder zu ihrer geliebten Tätigkeit zieht, so tragen die letzten Werke beider doch unverkennbar den Stempel der neu errungenen Einsicht. „Chadschi Murat" und die „Volkserzählungen" stehen in ge wisser Entsprechung zu den Fleiligengestalten des Renaissancemeisters. Im übrigen werden auch beider Leben mönchisch; die schlichte Stube von Jasnaja Poljana, wo der Graf täglich selbst Staub wischt, und seine Bauernkleidung sind eine ähnliche Demon stration wie das Leben in der engen Kam mer von San Marco und die dunkle Bruder tracht Baccios. Hier wie dort wird der Künstler zum Priester, zum Evangelisten; entscheidet er sich auf Kosten der Form, Gestalt, Erfindungslust für die ernsten Opfer der Fleiligung. III. Solche Lebensschicksale vermögen über den inneren Gegensatz der beiden Reiche mehr auszusagen als irgend eine Analyse. Kunst und Fleiligung sind zwei verschie dene Prinzipien oder „Potenzen", wie Jacob B urckhardt sie nennt, indem er die eine der kulturellen Sphäre, die andere der religiösen zuteilt. Wer ein Bild malt, Ge dicht schreibt, Roman, Drama entwirft, bewegt sich auf anderer Ebene, befolgt andere Gesetze als der die Stationen der inneren Reinigung anstrebende priester liche Mensch, dessen ausschließliches Ziel immer das Heilige bleibt. Der Kunstgeist, der dem Reich der Schönheit dient, ist dem Leben, dem Dies- .seits, der Sinnlichkeit verwandter als die Heiligung, die Strenge und Flärte gegen über der Welt fordert und schließlich im Entwerden von ihr gipfelt. Man kann die Frage nicht auf werfen, welche Geistigkeit ,,größer" ist. Oder scheint es sinnvoll, die Größe des jungen Rembrandt, der sich mit erhobenem Weinglas, die Braut Saskia auf dem Schöße, in einem köstlichen Geniewerk darstellt, vergleichen zu wollen etwa mit dem Missionsbewußtsein des heiligen Wolf gang, der sein Regensburger fürstliches Bischofsamt freiwillig aufgab, um als evangeli.scher Einsiedler in der Felshöhle eines von wilden Tieren und räuberischen Stäm men bedrohten Waldlandes zu wohnen und dort das Kreuz aufzurichten? In Zeiten der Krise, des Volksleidens klaffen die Gegensätze besonders heftig auseinander. Künstler wie Baccio entsagen dann ihrer Beschäftigung, sehen ihren Um gang mit der Schönheit als unerlaubt an und glauben der Welt, die sie retten wol len, besser zu dienen, indem sie ihr das Beispiel freiwilligen Verzichtes bieten. Der religiöse Mensch entschlägt sich ja nicht bloß des äußeren, sondern auch des inneren Gutes: seiner Begabungen, sofern sie nur auf sich selbst bezogen sind, ja, des Genies. Als äußerste Folge solcher Haltung ent wickeln sich schließlich Extreme, die in der Historie bekannt sind: Bildersturm, Kunst verbot, Kunsthaß. Der Islam und das Juden tum treten mit einem solchen Pathos gegen das künstlerische Gestalten auf, daß bei spielsweise das Judentum die Verbindung mit der Welt der Kunst verwirft. Fremde Künstler müssen kommen, um seine Tem pel zu bauen. Uberwiegt anderseits bloß der religiöse Geist in einer der Entwicklung entsprechen den Form (ohne Extrem), wie bei den ersten Christen, so können wir auch hier feststellen, daß die Fähigkeit der Kunst zurücktritt. Wenn wir die Mittel bedenken, die den urchristlichen Künstlern in den Katakomben zur Verfügung standen, so erscheinen sie auf ein geringes Maß tech nischen Könnens zurückgeschraubt und las sen sich trotz ihrer Innigkeit, Echtheit, Glaubenskraft, Schlichtheit nicht mit der Fülle der klassischen griechischen Jahr hunderte vergleichen. Selbst die Fertigkeit, in Marmor Schrift einzumeißeln, verliert sich in der Katakombe: die Buchstaben reihen sich in schwankenden Zeilen anein ander, die nichts mehr mit der wuchtigen, klaren Art der römischen Antiqua gemein haben. Man darf die allgemeine Behauptung wagen, daß mit der Zunahme des unbedingt religiösen Geistes das Kunstvermögen ab nimmt — ein reziprokes Verhältnis, das freilich ein glückliches Zusammenwachsen beider Potenzen in seltener Harmonie nicht ausschließt. Übrigens auch umgekehrt, von selten der Kunst vollzieht sich zu gewissen Zeiten eine Zuspitzung des Verhältnisses im feindlichen Sinn. Als sich im vorigen Jahrhundert die Überschätzung der _ naturalistischen Form und zugleich ein Ästhetentum und narzi- 'stisches Verliebtsein in die Kunstform an
und für sich, der „elfenbeinerne Turm" des .d'art pour l'art" entwickelten, hatte die christliche Religiosität als völkerbewegende Macht den schlimmsten Tiefstand erreicht. Man spottete über die Idee der Heiligung, die Max S t i r n e r „Ichfremdheit" und Nietzsche ,,Krankheit" nannte. Such ten aber die Anschwärmer der Schönheit dennoch Verbindung mit der Religiosität herzustellen, wie die katholischen Franzo sen vom Schlage V e r 1 a i n e s, so kam etwas Blasses, Schwindsüchtiges zustande, dem die Lebensunfähigkeit im Gesichte ge schrieben stand. Oscar Wildes Leben zerbrach über dem tragischen Versuch und der Notwendigkeit, sich vom Ästheten zum Christgläubigen zu wandeln, während sei ner Kerkerhaft im Zuchthaus zu Reading. Der überfeinerte Anbeter der Form, der Spätling einer sich auflösenden Kultur, der den Heiligen alter Zeit überlegen als ebenso unverbindliches Modell zu betrachten glaubt wie andere Figuren der Lebensbühne, und der eifervolle Asket, der die Kunst mit einem gewissen scheelen Blick ansieht, weil sich ein verstecktes Ressentiment dahinter verbirgt, sind beide „Verhärtungserschei nungen" zweier Potenzen, die das Schicksal zu gewissen Zeiten einzeln dominieren läßt. Freilich spitzt sich, wie schon erwähnt, das Verhältnis nicht immer so schroff und unüberbrückbar zu. Im Gegenteil gehören glückliche Mischformen zu den höchsten Schöpfungen der Kultur. Wenn der öster reichische Dichter Adalbert Stifter ge rade zur Zeit des romanischen und engli schen ästhetischen Überschwanges zu einer Kunst zurückkehrt, die er ,,Magd der Re ligion" nennt; wenn Joseph H a y d n, be vor er ans Werk ging, nie vergaß zu beten und einmal von sich behauptete, daß ihm der Rosenkranz bei Mangel an Intuition immer wunderbar hülfe — „Nie war ich so fromm als bei der Komposition der ,Schöp fung'. Täglich fiel ich auf die Knie und bat Gott, daß er mich stärke für mein Werk" —; wenn FraAngelicoin San Marco nie den Pinsel nahm, „ohne vorher gebetet zu haben", wie Vasari anmerkt, nie ein Kruzifix malte, „ohne daß ihm die Trä nen über die Wangen liefen" —, so bezeugt das alles eine wunderbare Verschmelzung des Kunstgeistes mit der frommen Hingabe, die eine Voraussetzung der Heiligung ist. Der Christ und die Kunst Von Doz. Dr. Leonhard Küppers, Düsseldorf (4. Fortsetzung) (Dazu Titelbild, Abb. 2, 3) 9. Barock Woher die Bezeichnung „Barock" für eine bestimmte Kunstepoche kommt, ist bis heute nicht ganz klar. Für gewöhnlich führt man sie auf das spanische „barucca" zurück und hat in Italien, in Frankreich und seit dem 18. Jahrhundert auch in Deutschland damit den Begriff des „sonderbar Unregel mäßigen" verbunden. Erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde „barock" zum Stilbegriff innerhalb der Kunst, und zwar zunächst für die Architektur, bald aber auch für die Bildhauerei und die Ma lerei. Zeitlich wird der Barock zwischen Manierismus und Klassizismus eingeordnet und dürfte etwa von 1580 bis 1750 reichen. Seinen Ursprung nahm er in Italien, wo schon Michelangelo, der 1564 in Rom starb, in seiner grandiosen Malerei, in seinen kraftvoll bewegten Plastiken und vor allem in der mächtigen Kuppel der Peterskirche die Renaissance überwand und zum ersten Meister des Barock wurde, allerdings ohne direkte und ebenbürtige Nachfolger zu fin den. Er blieb auch in dieser Eigenschaft zunächst ein großer Einsamer. Der Barock hat als sogenannter ,,stren ger Barock" nicht nur seinen Ursprung in Rom, er hielt sich als solcher auch bis zum Jahre 1630 ausschließlich in Rom, wo Päpste und ihre Angehörigen die fast ein zigen großzügigen Auftraggeber für die Künstler waren. Erst nach 1630 tritt der Barock auch in anderen italienischen Zen tren auf, in Florenz und vor allem in Nea pel, ja er greift nun über Italien hinaus und entwickelt sich zu einem gesamt-europä ischen „Stil", immer allerdings nur in den katholischen Ländern; denn Barock ist eine
aUvSgesprochen katholische Angelegenheit. So erlebte er in den Niederlanden, in Frankreich, in Spanien damals seine Blüte, nnd überall, wo er auftrat, erhielt er gleich zeitig ein national verwandeltes und gepräg tes Gesicht. Damit hängt es zusammen, daß der Barock in den romanischen Ländern eine andere Note hat als in den germani schen, vor allem in Süddeutschland und Österreich. Flier ist er weniger herb als in Italien, weniger „gotisch" als in Frankreich, weniger gluthaft als in Spanien, dafür aber schwingender und musikalischer. Man sehe sich daraufhin nur die österreichischen und bayerischen Barockkirchen an, Stift Melk, die Wies, Weltenburg, Steingaden, Otto beuren, Vierzehnheiligen usw. Dabei ist be merkenswert, daß sich im Deutschland der damaligen Zeit, in dem der Dreißigjährige Krieg wütete und jedes Eigenleben der Kunst hemmte, das Fremdartige des Italie nischen länger hielt als anderswo. Auf der andern Seite wiederum begann für den deutschen Raum mit dem Jahre 1680, als anderswo bereits der Spätbarock ansetzte und leise Zeichen der Auflösung und des Verfalls zu spüren waren, erst eine wahre Flochblüte des Barock, und zwar gleicher maßen in der Architektur wie in der Plastik, weniger allerdings in der Malerei, in der Italien die Führung nicht verlor, sie höch stens mit Spanien und den Niederlanden teilte. Damals, in der Zeit zwischen 1700 und 1780, lebten und wirkten in Deutsch land die großen Baumeister Dientzenhofer, Pöppelmann, Bähr, Asam, Balthasar Neu mann, Fischer von Erlach, Lukas von Hildebrandt, Prandtauer, Thumbs, Beers, Schlaun und viele andere, denen sich ebenso bedeutende Bildhauer zugesellten. Will man nun den verwegenen Versuch machen, in wenigen Sätzen auf das Wesen des Barock hinzuweisen, sO möge gesagt sein, daß er eine Kunst ist, die vor allem wirklichkeitsnah sein will. Als solche löst sie in der Betonung des fülligen Lebens bis in alle Bezirke, vor allem auch bis in die leiblichen Bezirke hinein, den ver geistigten Stil des Manierismus ab. Die Fassaden der Kirchen sind nun schwellend und zeugen so von männlicher Kraft. Die Kuppeln recken sich wie starke Leiber auf wärts, einen doppelten Willen ausdrückend, den zu herrschen und den, eine ganze Welt zu besitzen, zu umfangen, und zwar im Sinne der Allumfassendheit der katho lischen Kirche. Wirklichkeitsnähe wird im Barock von selber zur Liebe zum natür lichen Licht der Sonne im Raum, zur Liebe zum kaum bekleideten Körper, vor allem bei Putten und Engeln, zur Liebe zu glänzen den Fassaden, zur Eroberung und Dienstbarmachung gewaltiger Plätze, wie des Pe trusplatzes in Rom, zur Bewegung um jeden Preis, vor der kein Kirchengrundriß sicher ist, keine Fassade, kein Altar und auch kein Heiliger. Barock ist geradezu Rausch der Bewegung und damit Feind jeder Schwere wie jeder Melancholie. Barock ist ohne Zweifel der heiterste der Kunststile. Er ist es bisweilen so sehr, daß man beim Eintritt in eine barocke Kirche geradezu darauf wartet, die heiteren Klänge mozartscher Musik zu hören. Damit allerdings ist auch schon an ein Gefährliches des Barock ge rührt, gefährlich weniger als Kunst, mehr aber als kirchliche Kunst. Die Ver wischung der Grenzen ist zu leicht möglich, und die dem Christen so notwendige S a m m 1 u n g geht zu leicht im heiteren, malerischen Gewirr verloren. Barock, wie bewundernd man vor, ihm als Kunst stehen mag, ist ein wenig zu 1 a u t, um dem Hei ligen auf die Dauer gut zu tun, dessen Raum das Geheimnis ist. Von der bisweilen schmerzenden Helle einer barocken Kirche flüchtet man gern in das beruhigende und umfassende Dämmern einer romanischen Basilika, von der bewunderten Madonna eines Feuchtmayer geht man gern zur kre tischen Ikone der immerwährenden Hilfe, weil sie das erhaben Himmlische stärker hält als jene, weil man vor ihr beten kann, beten ohne irdische Schönheit bewundern zu müssen. Dennoch wäre es für den Christen töricht, nur Verneinendes über den Barock sagen zu wollen. Barock ist gewiß nicht nur der Wille zu Wirklichkeit und zur Natur, er offenbart auch einen Willen zur harmonischenEinheit. Einheitlich ordnen sich in ihm Landschaft zur Archi tektur, Architektur zur Plastik, Plastik zur Malerei, und alles ist getaucht in das strah lende Licht einer paradiesisch gewollten Welt. Damit allerdings erhält der Barock auch eindeutigen Bekenntnischa rakter in einer Zeit, die besonders schmerzlich empfand, daß durch die Refor mation die alte christliche Einheit zerstört war und daß ebenfalls die Einheit zwischen Natur und Übernatur verloren gegangen war, seitdem Luther die grundsät z-
liehe Verderbtlieit der mensch lichen Natur gelehrt hat. Barock aber wollte gerade diese Einheit als christliche Wirklichkeit betonen. Das ist sein großes Verdienst, und man sollte dieses Verdienst nicht einfach deshalb schmälern wollen, weil ehrliche Bereitschaft auf viele Weise auch die Grenze überschritten, hat. 10. Klassizismus Wenn man in Venedig am Dogenpalast steht und über den Canale Grande nach rechts schaut, gewahrt man eine mächtige Barockkirche, Santa Maria della Salute, 1630 von Longhena erbaut, mächtig in ihrer Kuppel und in den schneckenartigen Voluten. Schaut man geradeaus über den Kanal, erblickt man auf einer großen La gune die Kirche San Giorgio Maggiore, Groß Sankt Georg also, ein Bau 1560 von Palladio begonnen und 1610 von Scamozzi beendet. Welcher Gegensatz bei der Archi tektur dieser beiden Kirchen, die zeitlich nur wenig auseinanderliegen! Santa Maria della Salute ist voll schwellender Bewe gung und San Giorgio Maggiore verrät einen deutlichen Anschluß an die römische Antike, vor allen Dingen in der strengen Gliederung, in der Sparsamkeit des Pla stischen, in der nüchternen Geradlinigkeit, in der auffallenden Gesetzmäßigkeit der Verhältnisse und in der monumentalen Ruhe. Was hier von dem berühmten italienischen Baumeister Palladio geschaf fen wurde, was sich später auch bei der Fassade des Louvre von Perrault in Paris, am Amsterdamer Rathaus von van Kam pen und vor allen Dingen an englischen Bauten findet, hat man seit je „Klassizis mus" genannt. Aber er ist dennoch nicht das, was man für gewöhnlich mit Klassizismus bezeichnet. Der ist vielmehr ein europäischer Stil, der in der Kunst vor herrschend war in der Zeit von 1770 bis etwa 1830. Zum Unterschied vom Klassi zismus des Palladio wird er auch „Neu klassizismus" genannt. Von ihm sprechen wir an dieser Stelle. Um zu verstehen, was Klassizismus in der Kunst ist, stellt man am besten einige Kunstwerke gegenüber, in der Malerei z. B. irgend ein Bild von dem Franzosen Watteau, die „Einschiffung nach der Insel Cythera" etwa, und den „Schwur der Horatier" von Jacques Louis David, in der Plastik irgend eine Madonnenfigur von -Anton Feuchtmayer und eine Plastik von Gottfried Schadow, die preußischen Prin zessinnen oder seine Statue des Hans Joa chim von Ziethen zum Beispiel, in der Architektur endlich eine Kirche von Bal thasar Neumann, Vierzehnheiligen als Bei- ■spiel oder die Stephanskirche in Karlsruhe von Weinbrenner oder die Christuskirche am Marktplatz dort oder die Hedwig basilika in Berlin. Es ist danach nicht schwer, sich über das Wesen des Klassizis mus klar zu werden. Zunächst; wie der Manierismus eine Gegenbewegung gegen die Renaissance war, wie der Barock eine Gegenbewegung gegen den Manierismus war, gegen seine einseitige Geistbetonung, so ist der Klassizismus eine unmißver ständliche Gegenströmung gegen den Ba rock, vor allem gegen seine Spätform, das Rokoko, das sich bis ins völlig unernst Spielerische, vor allem im rein weltlichen Bereich, ausgedehnt hatte. Während man aber bei aller Betonung des Gegenspieleri schen bei den voraufgegangenen Spielarten immer noch auch bleibendes Verwandtes aufweisen kann, zum.JIeispiel zwischen Ba rock und Manierismus, handelt es sich bei Klassizismus um eine Gegenform stärkster Art, wie sie bis dahin in der gesamt europäischen Kunst noch nicht vorgekom men war. Nun galt nur ein einziger Grund satz, für die künstlerisch-formale Gestal tung, und zwar innerhalb sämtlicher Be reiche, der Architektur, der Bildhauerei, der Malerei, ja selbst der Musik, und der hieß: „edle Einfalt und stille G r ö ß e". Vom Künstler selber aber wurden gefor dert : „große Gedanken und ein reines LI e r z". Beides aber glaubte man erst da zu finden, wo aller Schwulst einer voraufgegangenen Kunst verschwun den war. So griff man auf die Antike zu rück und suchte nach Formen bis zur kind lichsten Vereinfachung. Dabei galt für die Malerei, daß jede Bewegung von der Form her zu erreichen wäre, nicht aber — wie beim Barock — aus der Farbe. Vorherr schend blieb deshalb immer auch die klare Zeichnung. Wo aber Farbe verwertet wurde, wirkte sie kühl und verhalten. Unter diesem Gesichtspunkt ist in Frank reich Jacques Louis Davids „Horatierschwur" nicht nur vom Thema her wich tig, sondern auch von der Farbe her; und 6
in Deutschland steht als Beispiel für alle der Zeichner Jakob Asmus Carstens, vor allem mit seinem Bild „Die Nacht und ihre Kinder", das sich im Weimarer Museum befindet. Auch andere traten vorzüglich als Zeichner hervor. Sie alle hielten es mit Winkelmann, der die Linie, die klare Umrililinie, für das wesentliche bei der anti ken Statue erklärt hatte. Um die Anleh nung bzw. die Herkunft von der Antike aber ging es ja beim Klassizismus. Finden wir das nicht auch in Phillip Otto Runges Federzeichnung „Der Morgen", die sich in der Flaraburger Kunsthalle befindet. Flier zeigt sich noch ein anderer Wesens zug des Kilassizismus, eine gleichsam mathematische Strenge, die zwei fellos auch die Ursache dafür ist, daß die Kunst des Klassizismus einen nicht er wärmt. Es scheint als ob sie eine eisige Luft um sich verbreitete. Es ist eine Kühle in ihr, die, wohin wir auch schauen mögen, dem eigentlich Christlichen als einer Re ligion der Freude nicht mehr entspricht. Aber das mußte wohl so sein, wenn man an das beinah programmatische Wort des Dichters Novalis denkt: „Das Leben der Götter ist Mathematik". Wie also hätte da die Mathematik in einer Kunst fehlen sol len, die auf die Welt der Götter zurückgriff und auf gleichen Wegen zu erreichen versuchte, was auch in der antiken Kunst erreicht worden war. Das aber ist es, was diese Kunst so unlebendig erscheinen läßt, so überlegt, so klar bewußt. Und es ist auch gewiß kein Zufall, daß gerade sie es, wie kaum einmal sonst, auch auf die ethische Umformung des Men sche n abgesehen hatte, auf die innere V'ereinfachung, die dann aber zweifellos auf die Dauer zu einer inneren Verarmung führen mußte. Das ist immer die Folge, wenn der Kunst ein zu klar gewußtes Grundsätzliches unterlegt bleibt, wenn sie ihre Möglichkeiten vorher wissenschaftlich und literarisch festgelegt vorfindet als „Gedanken über die Nachahmung der grie chischen Werke" zum Beispiel von Oeser. Von Nachahmung aber finden wir überall ein tüchtiges Teil beim Klassizismus, ob wir Werke wie das „Brandenburger Tor" in Berlin nehmen oder das „Pantheon" in in Paris, ob wir die plasti.schen Werke des Italieners Canova, den Christus des Dänen Thorwaldsen oder Plastiken des Deutschen Schadow nehmen, oder ob wir schließlich in der Malerei David, Runge oder Carstens betrachten. Und darin lag es schließlich auch begründet, daß im Anfang dieser Kunst auch bereits ihr schnelles Ende lag. (Fortsetzung folgt) Moderne Schmelzkunst im Dienste der Kirche (Dazu die Abb. 4, 5, 6) Zum Schaffen von Gertrude Stöhr (Vorchdorf) Von Friedrich K n a i p p, Gmunden Seit dem frühen Mittelalter steht die Schmelzkunst, das heißt das Verzieren oder Ausschmücken der Oberfläche edler oder halbedler Metalle durch Aufschmelzen und Einbrennen farbiger Glasflüsse, das so genannte Emaillieren, unter den vornehm sten Techniken des Kunsthandwerks im Dienste der Kirche. Ihre Anfänge reichen weit in das Altertum zurück. Vor Beginn der Völkerwanderung dürften die Kelten und andere Völker des Nordens den Gru benschmelz auf Bronze erfunden haben. Die Technik des Zellenschmelzes auf Gold haben hingegen vermutlich die Byzantiner im sechsten Jahrhundert n. Chr. ersonnen. Die Gotik des hohen Mittelalters brachte der Entwicklung einen neuen Höhepunkt mit der Erfindung des Relief- oder Tief schnittschmelzes auf Silber, während das, sogenannte Maleremail des 16. und 17. Jahr hunderts schon den Beginn des Abstiegs der alten Schmelzkunst andeutete. Die erstgenannten drei Hauptgruppen der Schmelzverfahren, deren jede sich wieder in mancherlei Spezialtechniken unterteilen läßt, haben im wesentlichen folgendes ge mein: Mittels Metalloxyden in der Masse gefärbtes Glas wird feinpulverisiert in die aus dem Grundmetall ausgestochenen Gru ben (beim Grubenschmelz) oder in die durch Auflegen von Band- bzw. Draht stegen gebildeten Zellen (beim Zellen-
schmelz) oder aber auch in die durch Schnitt oder Treibarbeit bzw. Punzierung gebildeten Reliefs (beim Silber-Tiefschnitt oder Reliefschmelz) der Metalloberfläche eingefüllt. Diese Verfahren dienten den Goldschmieden zum Verzieren der Ober flächen von Bildplatten oder Geräten, meist aus Bronze, Gold und Silber. Man spricht daher vom Goldschmiedemail. Maler überzogen die Metallflächen mit einer Grundemaillierung und malten auf die sem Malgrund mit wassergemengtem Glas pulver so wie auf anderen Malgründen mit öl- oder dergleichen Farben. Ihr Verfahren heißt daher das Maleremail oder die Schmelzmalerei, Sowohl beim Goldschmied- wie beim Maleremail werden die Metallstücke mit dem aufgetragenen Glaspulver bei hohen Temperaturen im Ofen gebrannt, wodurch das Glaspulver geschmolzen und dem Metallgrund, dem sogenannten Schmelzträger, unlöslich verbunden wird. Die Verwendung opaker, transparenter und transluzider Glas flüsse läßt unendliche Vielfalt der Färb- und Lichtwirkung zu und gestattet eine weite Abwandlung der künstlerischen Ausdrucks mittel. Neben der Kostbarkeit des Schmelzträ gers (Bronze, Gold, Silber usw.) waren es das erforderliche hohe handwerkliche Kön nen und die technischen Schwierigkeiten der zahlreichen differenzierten Arbeitsvor gänge, die den mit Schmelzkunst verzierten Kult- oder Schmuckgegenständen so hohen Wert verliehen, daß man sie entweder über dies noch durch Anbringen von Perlen und Edelsteinen bereicherte oder sie an sich schon den Werken der Juwelierkunst gleich setzte. In den Zeiten der tiefsten Frömmig keit und Glaubensinbrunst wurden daher die erlesensten Dinge in Schmelzkunst aus gestattet und in den Dienst der Kirche gestellt. Darum finden wir in den kirch lichen und weltlichen Schatzkammern Reliqtüenschreine, Stand- und Vortragskreuze, Tafelaltäre (Klosterneuburg, Mailand und anderes mehr),Tragaltäre, Kelche, Ciborien, Kußtäfelchen, Meßbuchdeckel, Bilder, Re liefs und Kleinplastiken sowie allerlei Altar gerät mit den herrlichsten Schmelzkunst arbeiten aller Stilperioden geschmückt. Das 17. und die folgenden beiden Jahrhunderte brachten — von wenigen Ausnahmen ab gesehen — Verfall und Stillstand der .Schmelzkunst. Erst aus dem Drang der 8 Jugendkünstler um die Wende zum 20. Jahr hundert nach Werk- und Materialgerechtig keit erwuchs die Wiedergeburt manchen alten Kunsthandwerks als Reaktion auf die geistlose Verflachung infolge der Industria lisierung der ,,Kunstwarenproduktion". Diesen Anregungen verdanken wir auch die Wiederbelebung der Schmelzkunst im Dienste der Kirche. In der Royal Academy zu London zeigte im Jahre 1899 Alexander Fisher ein wun dervolles Triptychon, bestehend aus einer Himmelfahrt Christi im Mittelfeld und zwei Prophetenbildern auf den Seitenflügeln in Maleremail auf Silber. Auf der British Arts and Crafts Exhibition desselben Jah res erregte sein silbernes Standkreuz mit einer Variation seines Himmelfahrtsbildes ebenso Aufsehen, wie seine Schmelzmalerei der „Rosa Mystica". Unter den zahlreichen Ausstellern kunst gewerblicher Emailgegenstände des pro fanen Gebrauchs auf einer Kunstausstel lung zu Liverpool um 1900 finden wir eine Frau, Kate Eisher. Sie schuf ein silber getriebenes Pro'zessionskreuz mit Email verzierung. In denselben Jahren schufen Etienne Krier, Nelson Dawson und seine Frau Edith Kupfertreibarbeiten mit Schmelzkunstauszier. Überwiegend jedoch wurden im allgemeinen Schalen und Schüs seln, Galanteriewaren und Geschenkartikel erzeugt, deren Flerstellung immerhin das technische Können in unsere Tage herüber gerettet hat. Das Verdienst an diesem Bewahren und Wiedererwecken der Schmelzkunst gebührt vielen Künstlern und Kunsthandwerkern, deren Rolle auf diesem Gebiet noch viel zu wenig gewürdigt worden ist. Der Raum gestattet nur die Nennung der wichtigsten Namen. In Westdeutschland leitet Walter Loch müller die Staatliche Höhere Fachschule für das Edelmetallgewerbe zu SchwäbischGmünd. Aus seinen und den Fländen sei ner Frau Charlotte stammen zahlreiche künstlerisch reizvolle und technisch voll endete Arbeiten, vorwiegend zu profanen Zwecken. In Frankreich beschäftigen sich die Mönche des Benediktinerklosters zu lüguge mit dem Kopieren der Entwürfe berühmter Maler wie Chagall, Braque, Marchand oder Rouault usw. in Schmelz malerei, während P. Richert in Paris, der Nestor der französischen Schmelzkünstler,
an zahlreiche junge Künstler der Moderne die Technik der Schmelzkunst als Lehrer vermittelt hat, unter denen der Pariser Maler Jean Serriere einer der bedeutend sten sein dürfte. In der Schweiz setzt^Nelly Fournier die alte Tradition der Genfer Schmelzmaler des i6. bis i8. Jahrhunderts fort, betreibt aber auch Zellenschmelzarbeit, teils in orientalischer, teils in mehr persön licher Manier. Zu ihren Motiven gehören vor allem Jagdszenen, während Serriere Tierstücke bevorzugt und das Ehepaar Lochmüller viele Dosen, Schüsseln und Teller geschaffen hat. Italien dürfte das Land sein, aus dem seiner Tradition gemäß die Anregung hervorgegangen ist, Email mosaiken zur Wandausschmückung moder ner oder restaurierter alter Kirchenräume zu verwenden, die in jüngster Zeit auf der großen Schmelzkunstausstellung des Musee d'Arts et d'Histoire in Genf an Kirche und Künstlerschaft herangetragen wurde. Auf der Ausstellung des Jahres 1953 „L'EMAIL CONTEMPORAIN" (= Das Email der Gegenwart) zu Genf wurde moderne Schmelzkunst aller Art gezeigt, darunter wieder zahlreiche Werke im Dienste der Kirche, Von Robert Barriot, Paris, sah man eine Mater Dolorosa in Maleremail und eine Kreuzabnahme in Kupfer getrieben mit Email. Michel Deville aus Genf stellte eine Verkündigung in Zel lenschmelz aus und Louis Ruckli aus Luzern ein Ostensorium mit sechs Platten in Zellenschmelz. Von Modesto M.orato aus Barcelona fand sich ein Ciborium in kon ventioneller Schmelzmalerei geziert. Josef Amberg aus Würzburg zeigte Tabernakel türen in Zellenschmelz mit den Brustbildern Christi und der Apostel. Richard Jean Weiland aus Mainz hatte eine Kreuzigung und einen Kelch in Zellenschmelz aus gestellt, Ernst Zick aus München gleichfalls einen solchen. Wilhelm Kendel aus Schäfer stuhl bei Salzgitter zeigte ein Wandbild ,,Der gute Samariter" in Emailmosaik. Auf der 1954 in Pforzheim veranstalteten inter nationalen Ausstellung „Die Kunst des Emails" war Kendel mit seiner Technik wieder vertreten, diesmal mit einem Kruzi fix von 90 cm Flöhe. Auch Weiland hatte wieder ausgestellt, und zwar ein Vortrags kreuz in Grubenemail. Das Vesperbild von Georges Magadoux aus Limoges (Frank reich) erinnert stark an Nachahmungen volkstümlicher Votivbilder des 18. Jahr hunderts. Und der Erzengel Gabriel in Stegemail auf Silber aus einer Tabernakel bekleidung für eine Kirche in Mühlheim an der Ruhr von dem Aachener Fritz Schwerdt gemahnt an romanische Vor bilder. Diese internationalen Ausstellungen der jüngsten Zeit zeigen also, daß sich in dei katholischen Welt eine ^Wiedergeburt der Schmelzkunst im Dienste der Kirche voll zieht, der auch Österreich, als eines der ältesten Zentren kirchlicher Kunst, Raum geben sollte. In Österreich erzog die Emailklasse mi der Hochschule für angewandte Kunst in Wien unter der erfahrenen Leitung Zanoskas den begabten Nachwuchs. Zu ihren erfolgreichsten und für die Zukunft meistversprechenden Schülern gehört Gertrude Stöhr, die vor dem letzten Krieg in herkömmlicher Weise an zahlreichen pro fanen Vorwürfen ihr künstlerisches und handwerkliches Können geschult hat, ehe sie in den letzten Jahren an die Öffentlich keit trat. Sie hat ihre außerordentlich eigen willige Künstlerpersönlichkeit ausschließlich in den Dienst der kirchlichen Kunst gestellt. Und sowohl bei der Einrichtung neuer Kirchenbauten wie bei der Neuausstattung restaurierter alter Gotteshäuser hat sie ein erstaunliches Einfühlungsvermögen be wiesen. Gertrude Stöhrs vorbehaltlose Anerken nung durch ihre Auftraggeber und die Be schauer ihrer Werke erklärt sich vermut lich vor allem aus ihrer persönlichen Bescheidenheit und künstlerischen Selbst- . disziplin, die es ihr nicht erlaubten, vor dem Eintritt ihrer künstlerischen Reife an die Öffentlichkeit zu treten. Und sie gehört zu jenen Schaffenden, die langsam reifend, stets an sich und ihrer Arbeit feilen und nie der Gefahr der Selbstgenügsamkeit mit dem einmal Erreichten anheimfallen. Dazu, und zur Einfühlung in die ihr gestellten Aufgaben, findet sie die Kraft, weil sie sich nicht an Effekthascherei und Popularitäts erfolge verschwendet, sondern aus künst lerischer Selbstzucht, handwerklicher Ge wissenhaftigkeit und innerlich verwurzelter l'römmigkeit heraus sich zum Dienen berufen fühlt, während sie das Verdienen nur als Notwendigkeit des Lebenskampfes auffaßt. Als Gertrude Stöhr im Jahre 195° den Auftrag erhielt, für die Bergkirche m
Marul im Großen Walsertal eine Taber nakelbekleidung zu schaffen, stand die Künstlerin in der Mitte ihres vierten Lebensjahrzehnts. Von da ab folgte Auftrag auf Auftrag in steter Folge. Ihre erste Auf gabe löste sie in Zellenschmelz auf Kupfer. Die Türen des Tabernakelschreines zeigen die vier Evangelistensymbole sowie Ähren und Trauben als Symbole des Altarsakra ments. Die Seitenwände tragen den Pelikan, den Fisch mit dem Brotkorb und die Hirsche an der Quelle. Ein Auftrag des Jahres 1951 zur Schaf fung von wesentlich größeren Tabernakel türen für Flohenems, die einen roten Mar morschrein verschließen sollten, wurde unter Verzicht auf die Farbigkeit der Schmelzarbeit in außen vergoldeter, innen versilberter Kupfertreibarbeit gelöst. Die Türen zeigen an der Außenseite musizie rende, an der Innenseite weihrauchschwin gende Engel. Auch bei der Tabernakel bekleidung für die moderne Fatima-Kapelle im Stollen bei Langen bei Bregenz wurde noch Kupfertreibarbeit gewählt. Die Vor derfront zeigt den Propheten Elias, der dem Engel Brot und Wein reicht, die Sei tenwände zieren der Hirsch an der Quelle und das Lamm. Im Jahre 1953 folgte jedoch wieder eine rabernakelbekleidung in Schmelzkunst arbeit für die Kirche in Buch bei Wolfurt, Vorarlberg. Hier wählte Gertrude Stöhr die Technik der Schmelzmalerei auf trans parentem Grunde in lasierenden Farben. Die Darstellungen zeigen in einzelnen Ta feln Christus als Schöpfer der Welt, die Kreuzigung, die Ausgießung des Hl. Gei stes, das Letzte Gericht der Seligen, den Durchzug durch das Rote Meer, das Mannawunder, die Brotvermehrung und das Letzte Abendmahl. Ein 1952 für die Seekapelle in Bregenz gearbeiteter Meßkelch in farbigem Zellen schmelz auf schwarzem Grunde trägt an der Cuppa die Szenen Kain und Abel, das Opfer des Melchisedech, Moses mit der ehernen Schlange, das Opfer Isaaks und das Opferlamm. Der Knauf (Nodus) ist mit Ähren und Trauben geziert. An dem Fuß sieht man die Geburt des Herrn, seine Kreuzigung und Himmelfahrt sowie Chri stus in der Apokalypse. Ein anderer Meß kelch in Zellenschmelz auf grünem Grunde trägt Darstellungen aus der Offenbarung des hl. Johannes. Ein Staiidkreuz aus vier zehn montierten Tafeln in Zellenschmelztechnik trägt im Kreuzungspunkt einen Kruzifixus, auf den Kreuzbalken die Sta tionen des Kreuzweges. Ein ganzer Kreuz weg aus 14 Bildern in Schmelzmalerei wurde 1954 für das Kloster der Guten Hirtinnen in Wiener-Neudorf bei Wien fertiggestellt. Die Kirche des Jungarbeiter dorfes Gießhübl bei Mödling erhielt eine Tabernakelbekleidung in getriebenem Kup fer, von vier Engeln geziert, sowie einen erlesen schönen Meßkelch in Zellenschmelz auf weißem Grund. Schließlich folgten die Tabernakeltüren für die Spitalskirche in Bregenz, die in Zellenschnielz das Paradies, Elias mit dem Engel, die Aufopferung im Tempel sowie Ähren, aus denen Jünglinge und Trauben aus denen Jungfrauen sprie ßen — farbig auf dunkelblauem Grunde — zeigen. Die jüngste Arbeit Gertrude Stöhrs wurde endlich für Oberösterreich, ihre mütterliche Pleimat, geschaffen. Im Auf trage von Architekt Foschum gestaltete sie die Bekleidung der Tür zur Unterkirche des neuen Gotteshauses zu St. Berthold in Scharnstein. In Kupfer getrieben zeigt das Bogenfeld der Tür Symbole der Dreifaltig keit, das Mittelfeld die Gestalt dieses jüng sten Heiligen des Landes, dessen Heilig sprechungsprozeß eben zuläuft, flankiert von zwei Szenen aus der Bertholdslegende. Darunter trägt ein Schriftband die Bitte: „Heiliger Berthold bitte für uns" und als Abschluß trägt die Sockelzone der d ur die Ansicht des Ortsbildes von Scharn stein mit dem neuen Gotteshaus im Zu stand seiner noch bevorstehenden Voll endung. Der zuletzt genannte Auftrag berechtigt zu der Hoffnung, daß auch ihre mütterliche Heimat Oberösterreich sich einen repräsen tativen Anteil an dem Schaffen dieser jun gen Künstlerin im Dienste der Kirche sichern wird, deren Werke in wenigen Jah ren schon den weiten Raum von Vorarlberg und Südtirol bis Niederösterreich zu er obern wußten. Insbesondere ist zu erwarten, daß auch Oberösterreich die Gelegenheit ergreift, um dem Beispiel der anderen Bun desländer wie auch Frankreichs, Deutsch lands, Italiens, der Schweiz usw. zu folgen und die uralte Kunst der Schmelzarbeit wie in früheren Jahrhunderten wieder in den 10
Dienst der Kirche zu steilen. Professor Wolfgang von Wersin, der für ihre Arbei ten vollste Anerkennung fand, äußerte kürzlich: „Die Arbeiten mancher sogenann ter ,Modernen' mögen Leckerbissen für Berufskritiker und Ästheten sein. Im Dienst der Kirche wirken manche ihrer Figuren äußerst fatal. Gertrude Stöhr ist hingegen im besten Sinne modern, doch ihre Gestalten wahren ausnahmslos die Menschenwürde und die Würde ihres kirch lichen Verwendung,szweckes." Die Kirchenfassaden des römischen Spätbarocks Von Renate Rieger, Wien (Dazu die Abb. 7, 8, 9, 10, 11) (3. Fortsetzung) Solche theatralische Effekte, die eine innere Verwandtschaft mit der Zerlegung der Fassade in Raumkulissen haben, bleiben aber verhältnismäßig selten. Das Pathos, welches sie voraussetzen, ist für die Inten tionen dieser Stilphase .schon zu groß. Sie wird viel reiner repräsentiert in einer Fas sade wie der von S. Agata in Trastevere von 1710®®) (Abb. 7). Flier fehlen die räumlichen Effekte; das Hauptgewicht liegt in der Schichtung von Wand und Pilaster, in zarter Verkröpfung, dünnem Linienspiel und einer diskret eingefügten Ornamentik. Hier scheint erstmalig alles, was das 17. Jh. an Anregungen zu bieten hatte und das bei den übrigen Fassaden der beiden ersten Jahrzehnte noch direkter nachwirkte, voll kommen in das Intime und Harmonische umgesetzt zu sein, wobei alle Momente, welche Spannung oder Bewegung in den Fassadenspiegel hätten bringen können, bewußt ungenützt blieben. Diese Stilströmung wurde in den Zwan zigerjahren führend. Die Fassade von vS. Paolo alla Regola von 1721^^) (Abb. 8) von Giuseppe Sardi und Giacomo Cioli ba siert vorwiegend auf borrominesken An regungen. Das Untergeschoß, fünfachsig, von gestuften Pilastern gegliedert, trägt ein Hauptgesims, das sich über dem Mittel portal leicht nach vorne wölbt. Das drei achsige Obergeschoß hingegen hat eine zurücktretende Mittelachse, vor deren ein facher, türartiger Öffnung sich ein kleiner Balkon vorlagert. Auch der borrominesk geschwungene Giebel, durch den die mitt leren Streben in manieristischer Weise hin durchwachsen, wird in der Mitte gebrochen und leicht nach rückwärts gebogen. Alle Formen sind fein und zart, die Bewegung, welche das Vor und Zurück der Wand schichten in die Fassade bringt, gleicht eher einem zarten Vibrieren als einem wirklichen barocken Schwung®®). In den Jahren 1724—1730 war Benedikt XIII. Orsini Papst. Vorher Erzbischof von Benevent, hat er von dort seinen Bau meister nach Rom mitgebracht: Filippo Raguzzini®®), den er sich aus Neapel geholt hatte. Unter der Patronanz Benedikts hat nun Raguzzini eine ganze Reihe von Bau ten errichtet, zu denen auch einige Kir chenfassaden zählen. Sein populärstes Werk ist die Platzanlage vor S. Ignazio mit den kulissenartig versetzten Flausfassaden, deren intime Wirkung von kei nem anderen Platz Roms übertroffen wird. Raguzzini war von seinen Zeitgenossen keineswegs geschätzt, und zum Teil wohl auch aus persönlichen Gründen mußten seine Werke manch abfällige Kritik über sich ergehen lassen. Stilistisch vertreten sie jene Stufe, die auch durch S. Agata und S. Paolo alla Regola vertreten wird; da aber diese schon vor der römischen Tätig keit Raguzzinis entstanden waren, geht es nicht an, ihn allein für diese Richtung verÄhnliche Stilqualitäten zeichneten die Fassade von S. Maria in Portico aus, die 1725 von Laura Odeschalchi errichtet wurde. Armellini, S. 775, mit alter Ansicht. •'®) Golzio, S. 24, Fußnote ^). A. Grossi Gondi, La prima dimora di S. Paolo in Roma, Illustratione Vaticana, III, 83, Armellini, S. 487, Angeli, S. 441, Golzio, S. 20. M. Loret, L'architetto Raguzzini e il rococo in Roma, Bolletino d'Arte, 1934, S. 319—321. — V. Golzio, Nuovi Documenti su Filippo Raguzzini, Archivi d'Italia, Rom I., 1933—1934, S. 145. — Mario Rotiii, Filippo Raguzzini e il Rococo Ro mano, Rom, 1952. 11
antwortlich zu machen. Daß sie in Rom keine große Anerkennung fand, mag nicht verwundern, da gerade diese Stilphase wie kaum eine zweite für die römische Archi tektur untypisch erscheint, trotzdem sie sich im wesentlichen aus Elementen der vorangegangenen römischen Architektur rekrutiert und nur durch deren Vortrags weise von ihnen unterscheidet. Raguzzini konnte an jene stilistische Gruppe anschlie ßen und es ist wohl sein Verdienst, daß sie in den Zwanzigerjahren gegenüber den anderen Richtungen das Schwergewicht erhielt. So muß man auch nicht das Zu standekommen dieses Stiles auf auswärtige Einflüsse zurückführen, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß für Raguzzini selbst die Frage nach der Verarbeitung fi^anzösischer Einflüsse noch durchaus nicht restlos bereinigt zu sein scheint. AVenn solche auf den Künstler auch nicht mit besonders großer Intensität eingewirkt haben dürften, wäre doch in Erwägung zu ziehen, ob er solche nicht indirekt aus der neapolitanischen Barockarchitektur hätte übernehmen können. Um dies zu beurtei len, fehlt es jedoch an Vorarbeiten über die Architektur Neapels aus dem Ende des 17. und frühen 18. Jh., bei der allenfalls mit einer Infiltration französischer Ein flüsse zu rechnen wäre. Überhaupt ließen, sich aus der neapolitanischen Barockarchi tektur mancherlei Aufschlüsse für den italienischen Spätbarock erwarten, die auch für die transalpine Architektur nicht ge genstandslos wären. Gehen wir aber zu den Bauten Raguzzinis über. Die Kirche S. Maria dei Fornaci^^) (Abb. 9) erhielt ihre Fassade 1726. Der mächtige, etwas ältere Zentral räum, der sich hinter ihr verbirgt, bedingt einen breiten und hochaufragenden Fassaden spiegel, der über einem, vom Terrain be dingten Sockel aufwächst, vor dem eine Treppe zu dem hochsitzenden Portal emporführt. Unten fünf-, oben dreiachsig, wird in das zarte Wandrelief durch leichte Verkröpfung der Gesimse über Pflaster und Dopi^elpilaster eine schwache Be wegung in die Wand gebracht, die aber gekurvte Linien vermeidet. Die Front ist der Fassade von S. Paolo alla Regola nicht ") E. Scatassa, Benedetto XIII e i .suoi artisti Beneventani (Dal Diario de! Valsio), Rass. bibl. dell'arte ital. 1913. Armellini, S. 1191. unähnlich, die ebenfalls durch einen ge schwungenen Aufsatzgiebel bereichert ■ wurde, der sein Vorbild von Borrominis Filippo-Neri-Fassade noch um Knickungen und Profllierungen bereichert. Anspruchsloser sind die Fassaden von S. Sisto Vecchio®®) (1726), wo sich Raguz zini auf die Verwendung einfacher Mauer bänder beschränkt und nur durch die Portalzone einen kräftigen Akzent setzt, oder die Fassade von S. Filippo Neri in der Via Giulia®") (1728), eine kleine Schauwand mit Dreiecksgiebel, deren Schmuck die Fensterbekrönungen, Kapitelle und ein Ovalrelief über dem Eingang be streiten. Die Fassade von S. Maria del Ro- .sario auf dem Monte Mario®")) ebenfalls unter der Patronanz des Papstes Benedikt XIII. entstanden, wird ebentalls mit Pfla stern und Bändern gegliedert, doch verleiht ihr der in konkaver Schwingung nach vor gezogene Mittelrisalit eine barocke Bewe gung. A'^on Eigenwilligkeit und Erfindungskraft zeugen zwei weitere Fassaden, die ebenso wie die meisten Anlagen Raguzzinis recht kleine Ausmaße besitzen. 1725 hat Raguz zini das Ospedale S. Gallicano errichtet"^), in dessen Front die Fassade des zum Spital gehörigen Gotteshauses eingefügt wurde. Beim gesamten Komplex wurden zur Flä chengliederung nicht allein Pflaster und Mauerbänder verwendet, sondern Raguzzini bediente sich hier auch farbig unterschie dener Putzfelder, die nach ornamentalen Gesichtspunkten über die Fläche verteilt sind. Flierin hat man, wohl mit Recht, eine Umsetzung von Anregungen gesehen, die Raguzzini aus seiner, die dekorative Flä chenfüllung liebenden Pleimat Neapel mit gebracht hat. Innerhalb der langen, gleich förmig durchgebildeten Spitaltront bildet die Kirchenfassade den Plöhepunkt, ohne aber den ihr vorgezeichneten Rahmen zu sprengen. Über einem verhältnismäßig ho hen, in Felder unterteilten Sockel steigen die Pflaster des Untergeschosses auf, dessen Gesimse mit dem Dachrand des Spital gebäudes korrespondiert. Das Obergeschoß der Fassade ist niedriger und endet mit Scatassa zu 1726, Rotiii, S. 54. Scatassa zu 1728, Rotiii, S. 43. Rotiii, S. 38. Die Zuschreibung an Raguzzini ist nicht gesichert. «9 Rotiii, S. 34, de Rinaldis, Taf. XXXI. 12
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