einer höheren Wirklichkeit, in großen Umrissen festgehalten wurde, wird jetzt geschildert mit allen Einzelheiten des irdischen Geschehens, und mit stei gendem Realismus, Aber im gleichen Maße, in dem in der kirchlichen Kunst irdische Schönheit ein gefangen und ausgebreitet wird, in demselben Maße verliert die Verkündigung der überirdischen Wirk lichkeit an Deutlichkeit und Kraft, in demselben Maße verliert sie ihren sdkralen Charakter. Das Letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci ist ein Wunderwerk psychologischer Durchformung und dramatischer Gestaltung. Aber der Meister hat darin nicht mehr das Geheimnis selbst in den Mit telpunkt gestellt, sondern eine Szene am Rande: die dramatische Bewegung, die das Wort hervor ruft: „Einer aus euch wird mich verraten." Die gotischen Flügelaltäre und die barocken Altarauf bauten sind in ihrer Art großartige Leistungen. Aber der liturgische Grundgedanke, von dem die ganze Entwicklung ausgegangen ist und der im ersten Jahrtausend durchaus geherrscht hat, näm lich durch eine schmückende Rückwand den Altar tisch, die Stätte des sakramentalen Geschehens, her vorzuheben — dieser Gedanke ist darin beinahe vergessen; er ist erdrückt von der Hypertrophie des Beiwerks. Oder auf einem anderen Gebiete: Die polyphone Kirchenmusik der letzten Jahrhunderte läßt unter - musikalischem Gesichtspunkt alles weit hinter sich, was etwa das Mittelalter geschaffen hat. Aber sie hat sich gerade in ihren höchsten Leistungen auch schon herausgelöst aus dem. Rahmen der wirk lichen Liturgie, aus dem Gesamtplane des heiligen Dienstes, und ist zum autonomen Kunstwerk ge worden. Man kann von einer schwankenden Haltung, von einer gewissen Unschlüssigkeit sprechen, mit der innerhalb der Kirche selbst diesen Problemen be gegnet wird. Das liegt in der Sache. Es ist bei nahe unmöglich, durch längere Zeit die vollkom mene Verbindung des ästhetischen und des reli giösen Ideals festzuhalten. Das vollkommene kirch liche Kunstwerk ist immer im labilen Gleich gewicht. Einerseits soll für den Gottesdienst^ das Höchste aufgeboten werden, was menschliches Können und menschliche Kunst zu leisten vermö gen; andererseits hat dieses Aufgebot nur Sinn, wenn es beseelt bleibt vom Willen zur Anbetung „im Geiste und in der Wahrheit", wenn es aus in nerstem Herzen hervorgeht, wenn es dankbares Be kenntnis ist zu dem, was uns Menschen in Chri stus und der Kirche geschenkt ist. Darum vernehmen wir schon im christlich™ Al tertum, besonders dort, wo nach Konstantin der kulturelle Aufstieg der Kirche beginnt, warnende Stimmen. Die Einführung des Kunstgesanges und eines besonderen Sängerchores in der Kirche be gegnete damals an manchen Stellen ernstem Wider stand"). Im zwölften Jahrhundert, wo die späte Romanik der Cluniazenser die einfachen Formen der vorausgegangenen Zeit aufzulösen beginnt, wo das Ornament überhand nimmt, erhebt sich der heilige Bernhard von Clairvaux zu einer scharfen Polemik. Und im 13. und im 16. Jahrhundert, als ") J. Quasten, Musik und Gesang in den Kulten der heidnischen Antike und der christlichen Früh zeit (Liturgiegesch. Quellen und Forschungen 25), Münster 1930. die Gotik ihren Reichtum entfaltete, erhob der Orden des heiligen Franziskus und dann im be sonderen der Kapuzinerorden durch die bewußte Armut auch ihrer Kirchen nochmals einen stillen, aber unüberhörbaren Protest. Ja, es scheint, daß die Kirche immer wieder, wenn eine Periode den kirchlichen Raum und den kirch lichen Gottesdienst mit einem Überfluß von Reich tum geschmückt hat, dieses Übermaß von sich ab schütteln muß, so wie der Baum in jedem Herbst die welken Blätter abschüttelt, um dann zu neuer Blüte anzusetzen. So war es am Ausgange des Mit telalters ; so war es am Ausgang des Barock; so scheint es sich auch in der Gegenwart zu wieder holen. Gerade dort, wo christliches Leben echt imd jugendfrisch zu neuem Aufbruch ansetzt, sind die Formen bewußt einfach. Im heutigen Kirchenbau fragt man nicht mehr: Wie hat man auf den Höhe punkten früherer Kunstperioden eine Kirche, einen Altar gestaltet, sondern: Was ist eine Kirche? Was ist ein Altar? Zu einem Gottesdienst bei festlicher Gelegenheit gehört nicht mehr unbedingt das große Orchester, und mindestens am Sonntag gilt der einstimmige Volksgesang der versammelten Gemeinde mehr als die künstlerische Aufführung. Das bedeutet keine Ablehnung, keinen Verzicht auf die Kunst in der Kirche. Aber es bedeutet die Forderung, daß sie sich einfüge in den Gesamtplan der Liturgie, und daß sie wurzelfest in der religiösen Idee stehe, und zwar nicht nur in der persönlichen religiösen Er fahrung des Künstlers, sondern in einer solchen religiösen Erfahrung, die den geistigen Besitz der kirchlichen Gemeinschaft in sich aufgenommen hat. Gewiß, echte Kunst muß immer Ausdruck einer Subjektivität sein; aber kirchliche Kunst ist Ge meinschaftskunst, sie kann nur der Ausdruck der Subjektivität der kirchlichen Gemeinschaft sein, der Kirche als plebs sancta, derjenigen also, die wissen, daß sie erlöst sind, und daß sie durch Christus in ein neues Leben hineingehoben sind. Damit ist aber auch gesagt, daß eine Vorbedin gung für das Aufblähen echter Kirchenkunst darin besteht, daß im Denken der Christen die wesent lichen Grundgedanken — und das sind die öster lichen Grundgedanken — wieder den rechten Ak zent erhalten. Die Erneuerung der Osterliturgie seit 1951 ist in diesem Sinne ein wichtiges Symptom auch für eine Erneuerung der Kirchenkunst.- Doch ist die ganze Liturgie der Kirche erfüllt von öster lichem Geist, wenn auch ihre archaischen Formen nicht jedermann auf den ersten Blick zugänglich sind. Die Liturgie stammt ja zum allergrößten Teil aus der Frühzeit der Kirche, aus der Zeit, wo Ostern das Fest war. Wo kirchliche Kunst also den Geist der Liturgie, und damit den österlichen Geist in sich aufgenom men hat und daraus zu schaffen unternimmt, da trägt sie bei zu jenem Gesamtkunstwerk, nach dem die Besten unseres Volkes immer wieder ausge schaut haben, in dem Bau und Bild und Wort und Melodie und Kleid und Bewegung zusammenklin gen zum einen großen Werk — in unserem Fall zum Werk des christlichen Gottesdienstes. (Mit gütiger Erlaubnis Seiner Magnifizenz und des Innsbrucker Universitätsbundes.) 72
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