Christliche Kunstblätter, 92. Jg., 1954, Heft 2

kreise. Ja, man darf wohl mit Vorzug auf die kirchliche Kunst das Wort anwenden, das Goethe vom lyrischen Gedicht gesprochen hat: „Gedichte sind gemalte Fenster.scheiben, Sieht man vom Markt in die Kirche hinein, Da ist alles dunkel und düster Und so sieht es auch der Herr Philister Kommt aber nur einmal herein — Begrüßt die heilige Kapelle, Da ist es auf einmal farbig helle. Geschieht' und Zierat glänzt in Schnelle, Bedeutend wirkt ein edler Schein. Dies wird euch Kindern Gottes taugen, Erbaut euch und ergötzt die Augen." Schon die Gestaltung des Kirchengebäudes, das doch ein reiner Zweckbau sein könnte, erhält von der jeweiligen Prägung der religiösen Idee her ihre nähere Bestimmung. Man hat in diesem Sinne von Architektur als darstellende Kunst gesprochen'). In der Zeit, wo das Christentum frei wird und sich nun einem berechtigten Triumphgefühl hin geben kann, wird das Kirchengebäude, die Basilika, in ihrem vorderen Teil gestaltet als Thronsaal Got tes, als Thronsaal, zu dem das christliche Volk Zutritt hat, zu dem es hinströmt, geführt von der Säulenreihe des Langhauses'). In den schwankenden Verhältnissen des frühen Mittelalters und noch- in der Romanik wird die Kirche aufgefaßt als feste Burg, aus massivem Mauerwerk aufgeführt, mit starken Türmen be wehrt, darin das Volk Gottes wohl geborgen ist. In der aufblühenden, sinnenfreudigen Kultur der Gotik wird die Kathedrale — wie Hans Sedlmayr jüngst gezeigt haP) _ gesehen als Hinimelssta'dt, die sich nach dem Wort der Apokalypse auf diese Erde herabgelassen hat: Unten die massiven Grund mauern, darüber wie schwebend der Himmelsbau, das Gewölbe als lichter Baldachin, von leichten Trägern gehalten, die nicht bis zum Boden herab reichen, die Wände aufgelöst in farbensprühende Fenster, so daß der Raum erfüllt ist von einem überirdischen Licht — vom Licht des himmlischen Jerusalem. Man könnte sodann hinweisen auf das Gesetz der Ostung, das im Kirchenbau heute noch eine gewisse Geltung hat, das z. B. hier in Innsbruck in St. Jakob und in den beiden Kirchen von Wüten sehr auf fällig eingehalten ist. Die Ostung war ehemals ein lebendiges Gesetz, hervorgehend aus dem Gedanken, daß man sich beim Beten und besonders beim litur gischen Beten zum Lichte hinwenden soll, dorthin, wo die Sonne aufgeht. Die Christen schon der ersten Jahrhunderte waren gewöhnt, Christus als ihre Sonne zu bezeichnen, die im Tode hinabgesunken war in die Unterwelt, die aber in der Auferstehung strahlend aufgegangen ist als Sol salutis, als Sol ') H. Sedlmayr, Architektur als abbildende Kunst (Sitzungsberichte d. österr. Akad. d. Wiss., Phil.- hist. Kl., 225, 3), Wien 1948. -) A. Stange, Das frühchristliche Kirchengebäude als Bild des Himmels, Köln 1950. H. Sedlmayr, Die Entstehung der Kathedrale, Zürich 1950. — Die von Sedlmayr vertretene Auf fassung ist allerdings, wie bekannt, auch auf Wider spruch gestoßen. 68 lustitiae*). Darum schaut man beim Beten aus nach Ihm, der einmal wiederkommen wird: Man wendet sich mit dem Gesicht nach Osten. Auch die Toten begräbt man mit dem Blick nach Osten, und den Kirchen gibt man dieselbe Richtung. Wenn nun schon im Kirchenbau die Idee bedeut sam ist, so muß ähnliches in erhöhtem Maße für die bildende Kunst im kirchlichen Bereich gelten. Das große Thema der bildenden Kunst in der Kirche ist zu allen Zeiten die Heilsgeschichte, be sonders die Heilsgeschichte in ihrem entscheidenden Abschnitt: die Heilsbegründung durch das Auftre ten Christi und sein Werk. In den heiligen Büchern liegt eine Fülle von Einzelthemen bereit, in denen dieses Gesamtthema abgewandelt und anschaulich dargestellt werden könnte: dramatische Szenen, Berichte, in denen die Wundermacht des Herrn sichtbar wird: Totenerweckungen, Krankenheilun gen, Beherrschung der Naturgewalten, triumphaler Einzug in Jerusalem. Es ist aber schon längst auf gefallen, daß besonders die mittelalterliche Kunst, aber auch die kirchliche Kunst der Neuzeit, aus die sem reichen Vorrat nur eine engbegrenzte Auswahl trifft. Es ist fast nur der Anfang und das Ende des Le bens Jesu, was dargestellt wird: die Verkündigung, die Geburt Christi, die Kindheitsgeschichte einer seits —■ das Leiden des Herrn, das Kreuz, die Auf erstehung andererseits, vielleicht noch das letzte Ende: das Jüngste Gericht. Und nicht nur die Kunst im Gotteshaus bleibt auf diese Themen beschränkt; das ganze Mittelalter hindurch kennen sogar auch die Miniaturen in Handschriften, und selbst in Evangelienhandschriften beinahe nur diese Themen. Wie ist das zu erklären? Die Antwort auf die Frage ist sehr einfach: Man hat jene Szenen gewählt, die im liturgischen Leben der Kirche im Vordergrund standen, das heißt, vor allem jene, die durch ein Fest ausgezeichnet waren. Das ist ein urchristliches und gemeinchristliches Prinzip der Auswahl. Von den Malermönchen der Klöster vom Berge Athos wird berichtet, daß sie bis in die Gegenwart herein nur die ,,15 großen Feste der Kirche" malen. So kann man auch von der abendländischen Kirchenmalerei sagen, daß sie eigentlich nur zwei Themenkreise kennt: den The menkreis um das Weihnachtsfest und den Themen kreis um das Osterfest: also die Kindheitsge schichte, noch erweitert durch das Marienleben, und die Leidens- und Auferstehungsgeschichte. Vom öffentlichen Leben Jesu werden in der Malerei des hohen Mittelalters nur ganz wenige Themen einiger maßen berücksichtigt. Es sind fast nur vier Themen: die Taufe, die Hochzeit von Kana, die Versuchung und die Verklärung auf dem Berge. Das sind aber wiederum diejenigen Begebenheiten, die an den Sonntagen zwischen Weihnachten und Ostern in den Evangelien gelesen werden; im Anschluß an das Fest der Erscheinung: Taufe Jesu und Hoch zeit von Kana; am Beginn der Fastenzeit: Ver suchung und Verklärung auf dem Berge. Auch diese Themen sind also von der Liturgie diktierF'). F. J. Dölger, Sol salutis. Gebet und Gesang im christlichen Altertum mit besonderer Rücksicht auf die Ostung in Gebet und Liturgie, 2. Auflage. (Liturgiegesch. Forschungen 4/5), Münster 1925. '■) E. Male, L'art religieux du XIII« siede en France, 7. Aufl., Paris 1931, 180 ff. .

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