Christliche Kunstblätter, 92. Jg., 1954, Heft 2

A. Gaudi und die Kirche zur HL Familie (Sagrada Familia) in Barcelona (Dazu die Abbildungen 20, 21, 22) Von M. J. C o 1 o m, Barcelona Barcelona ist vielleicht als die Wiege des „Ju gendstiles" zu bezeichnen. Der geniale A. Gaudi hat dieser Stadt .sein Gepräge gegeben. Seine For menwelt, Produkt moderner technischer Mittel, tropisch wuchernd, wild und bizarr, aber auch lebendig glühend, ausdruckstark und fesselnd, birgt Elemente maurischer, gotischer und RenaissanceKunst, neben sehr viel Persönlichstem. Sie ergreift Straßenzüge, Parkanlagen, Villen und gipfelt in dem wahrhaft grandiosen Traum-Fragment der Kirche der Fleiligen Familie. Betritt man Barcelona, sei es von der Seeseite her oder vom Osten, so kann man inmitten des Häusermeeres dieser glänzen den Stadt sofort die vier Türme der Kirche •Sagrada Familia ausnehmen. Sie erheben sich gleich vier Zypressen, schlank und hoch, als ob sie unsere Erde mit dem klaren Himmel verbinden wollten, als ob sie den Himmel durchstoßen und aufschlitzen woll ten, um so uniser Gebet noch besser zu über mitteln. Der Beginn des Baues der Sühnekirche zur Heiligen Familie geht in das Jahr 1882 zurück, auf die Initiative von D. Jose Ma. Bocabella. Die Ausführung wurde dem Architekten Francisco de Villar übertragen, der einen Plan im gotischen Stil entwarf, wie es dem Geschmacke seiner Zeit ent sprach. Er begann mit dem Bau der Krypta. Ein Jahr später wurde Villar seiner Steile enthoben und die Aufgabe an An tonio Gäudi übertragen. Er war damals noch jung (30 Jahre), doch sehr geistreich und von solch künstlerischen und ästhe tischen Auffassungen, daß seine Genialität sofort aus diesem Werke offenbar wurde. Gaudi beendete die Krypta, aber schon mit vorteilhaften Abänderungen des ur sprünglichen Planes, mit größerer Höhe, besserer Durchlüftung. Es folgten die Ar beiten an den sieben Kapellen der Apsis, und obwohl sie sich so glücklich an den gotischen Stil anschließen, daß wir sagen könnten, die Apsis ist allein nach gotischen Prinzipien gebaut, so ist der Entwurf sei nem Wesen nach doch ganz persönlich. Gaudi kommt mit dem Fortschreiten seiner Studien und Projekte schließlich zu einem vollständig originellen Stil. Er ersinnt eine gewaltige Kirche, so groß, daß er es selbst einsehen mußte, daß er seinen Bau nicht mehr vollendet sehen würde, auch nicht die nachfolgende Generation, aber das hinderte ihn nicht, sein Werk aufzunehmen. Gaudi kennt alle großen Kathedralen Europas gründlich, ihre Schönheit, ihre Geschichte, ihre Wechselfälle, aber er be gnügt sich nicht mit dien Lösungen, die für bestimmte Stile im Laufe der Zeit gültig waren. Er bewundert ihre Geschicklichkeit, aber er trifft auch auf die schwachen Stel len dieser Lösunigen, die er zu überwinden trachtet. Bei allem Sinnen auf neue For men, neue Lösungen, die seinem großen künstlerischen Konzept entsprechen, sucht er vor allem nach der mathematischen For mel, die allem zugrunde liegt. Er kommt auf diese Weise zu eigenartigen Formen mit parabolischen und hyperbolischen Ober flächen, zu einer besonderen Art, Strebe bögen und Mauern zu unterdrücken, um der Kirche mehr Helligkeit zu verleihen, Teile des Baues unabhängig voneinander zu machen aus Vorsicht vor möglichen Be schädigungen. Er konzentriert alle Lasten, z. B. die Gewölbe, nicht auf die äußeren Mauern, sondern auf die Säulen im Innern, die die Kraftlinien sammeln mittels Rip pen, ähnlich den Ästen der Bäume, aber ihre gesammelte Kraft so gut lokalisieren, daß die Säulen (die leicht geneigt stehen) schlank und dünn sein können. Um eine Vorstellung davon zu geben, sei bemerkt, daß die Säulen der Vierung, die die Mittelkuppel zu tragen haben, ein Ge wicht von 4028 Tonnen aushalten müssen, bei einem Durchmesser von 1.8 Meter. Alle diese architektonischen und mechanischen Fortschritte waren, wie wir schon gesagt haben, schon vorher erdacht und so gelang es ihm, uns ein Werk zu schenken, das wir auch heute noch als modern betrachten und als Grundlage eines zukünftigen Stiles. Gaudi konstruiert keine flachen Fassa den, sondern er baut so, daß die Massen sich im Räume, in den drei Dimensionen vereinigen. Nach ihm ist eine architekto nische Schöpfung nur dann schön, wenn die Vollkommenheit in der Lage, im Räume 52

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