Christliche Kunstblätter, 92. Jg., 1954, Heft 2

fiK- ., •' CHRISTLICHE KUNSTBLÄTTER 19 5 4 92. JAHR HEFT 2

CHRISTLICHE KUNSTBLÄTTER Inhalt SEITE DerC. hristunddieKunst Doz. Dr. Leonhard Küppers, Düsseldorf 41 Wiedergeburt der Glasmalerei Prof. Alfred Stifter, Linz 44 Die Kirchenfassaden des römischen Spätbarocks Renate Rieger, Wien 47 A.Gaudi und die Kirche zur Hl. Familie (Sagrada Famiii a) in Barcelona M. J. Colom, Barcelona 52 Der Name »JESUS« in der Kunst Dipl.-Ing. P.Gottfried Engelhardt, Stift Seitenstetten, Niederösterreich . . 54 Die Insignien und Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches Dr. Dorothee Blaha, Wien 58 Die Oberkirche und die Krypta von St. Pantaleon an der Ennsmünd ung E. Schaffran, Wien 51 Die Himberger Pfarrkirche Dr. Franziska Schmid, Wien 65 D a s F o r u m Liturgie und Kirchenkunst 67 Innsbrucker Kunstgespräch 73 Bericht über eine Debatte in iJüsseldorf über die moderne chiisilidie Kunst 73 Moderne christliche Kunst in Frankreich 74 Berichte Wir stellen vor 74 Tätigkeitsbericht des Linzer Diözesankunstrates über das Jahr 1953 ... 75 Kunstpflege in Linz 75 Bundeshilfe für den Salzburger Dom 76 Aus österreichischen Galerien 76 »Der große Entschluß« im Dienste einer Erneuerung kirchlicher Kunst . . 76 Kunstchronik aus Deutschland 77 Renaissancebaukunst in der Schweiz 78 Kunstbrief aus Italien 79 Heilige auf Reisen 80 Nachrichten aus allerWelt 80 Buchbesprechungen 83 92. Jahr 1954 Heft 2 CHRISTLICHE KUNSTBLÄTTER, Eigentümer, Verleger und Herausgeber; Diözesan-Kunstverein, Linz a. d. D., Herrenstraße 19. — Postscheckkonto Wien 26.090. — Der Jahrgang besteht aus 4 Helten. — Schriftleiter: Prof. Dr. Norbert Miko, Linz, Petrinum. — Für die Diözese St. Pölten: Prälat Dr. K. 6. Frank, St. Pölten, Domplatz 1. Bezugspreis für den ganzen Jahrgang: 40 S, für das deutsche Bundesgebiet 8 DM, für das übrige Ausland 2 $,

Der Christ und die Kunst Von D o z. Dr. Leonhard Küppers, Düsseldorf (Dazu die Abbildungen 13, 14) (Fortsetzung.) 2. Frühe Kirchenkunst Christliche Kunst ist nicht dasselbe wie kirchliche Kunst. Wer ein echter Künstler i.st, und dazu ein ebenso echter Christ, der wird auch christliche Kunst machen kön nen. Um aber kirchliche Kunst ma chen zu können, muß man auch etwas von der Kirche Jesu Christi verstehen. Man muß wissen, daß sie eine Gemeinschaft in und mit Christus ist, ja daß sie der „ge heimnisvolle Leib" Christi ist, wie der hei lige Paulus sagt. Man muß auch wissen, daß die Kirche als Gotteshaus zunächst Christus und der Gemeinde Christi zuge ordnet sein muß, nicht aber zunächst dem einzelnen, daß also auch kirchliche Kunst oder besser gesagt „Kunst in der Kirche" immer zunächst von der Wahrheit über Christus als Kirche und von der Wahr heit über die Christusgemeinde als Kirche auszugehen hat, nicht aber zunächst vom persönlichen Erlebnis des einzelnen Künst lers. Kirchliche Kunst gibt es erst, seitdem es Kirchen gibt. Die Katakombenkunst kön nen wir als „ICunst der frühen Christen" ansprechen, nicht aber auch schon als Kir chenkunst; denn die Katakomben waren keine Kirchen. Sie könnten höchstens als primitive Notkirchen angesprochen werden. Die Christen zur Zeit der Apostel kannten keine Kirchen. Sie feierten, wie es aus der Apostelgeschichte deutlich hervorgeht, den Eucharistischen und Gebetsgottesdienst in Privathäusern. Das mag bis Ende des zwei ten Jahrhunderts gedauert haben. Erst seit dem Beginn des dritten Jahrhunderts sind dann eigene Gotteshäuser als Kirchen ent standen und erst im vierten Jahrhundert setzte eine eigene großzügige Bauweise ein. Das hängt zweifellos auch mit dem Auf blühen des Märtyrerkults zusammen. Da mals schon entstanden in Rom die alte St. Peterskirche, ferner Santa Maria Maggiore, Groß-St. Marien würden wir sagen, und schließlich die Paulskirche. Sie sind — wie alle Kirchen der damaligen Zeit — Basiliken. Damit ist schon gesagt, daß ■auch die früheren Kirchen nicht einen eige nen Stil hatten. Sie hatten den Stil der ,,königlichen Hallen" auf dem Marktplatz. Von ihnen haben sie auch ihren Namen; denn König heißt auf Griechisch Basileus. Basilika war also die Halle des Basileus. Die schönsten noch erhaltenen Balisiken be finden sich auf italienischem Boden, vor allem in Rom und Ravenna. Wie so eine frühchristliche Basilika aussah, vermittelt am besten die römische Kirche „St. Paul vor den Mauern". Sie ist zwar, wie wir sie heute kennen, im Ganzen nicht mehr alt, da sie im Jahre 1823 durch die Unvorsichtig keit eines Dachdeckers bis auf das Quer schiff, den wundervollen Bogen zum Altar raum hin und den Altarraum selber ab brannte und als Neubau 1854 von Papst Pius IX. wieder feierlich eingeweiht wurde, aber auch so noch verrät sie jede Eigentüm lichkeit der Frühzeit. Denkt man sich den etwas prunkvollen Vorbau und Vorhof in heutiger Form fort, so stellt man fest, daß das Außere dieser Basilika eigentlich völlig schmucklos ist. Noch deutlicher wird es bei den Basiliken in Ravenna. Es ist nicht nur das äußere Gemäuer völ lig schlicht und anspruchslos, die Basilika als solche beansprucht auch keinen beson deren Ort, etwa einen Hügel oder ein schö nes Tal. Man findet sie draußen vor den Toren oder im freien öden Feld wie in Ravenna oder aber inmitten der Häuser, mit kaum betonter Vorderseite. Das kann nur heißen, daß das Christentum nicht unter al len Umständen Geltung und Macht bean- .sprucht vor der Welt, daß die Christen als „Kinder des Lichtes" sich wesentlich zu unterscheiden haben von den „Kindern die ser Welt". Der Gedanke wird vollends über zeugend, wenn man in das Innere einer frühchristlichen Basilika tritt, in Ravenna oder auch in „St. Paul vor den Mauern", in Rom. Es ist, als täte sich mit einem Mal der Himmel vor einem auf. Schön und feierlich im hellen Glanz kostbaren Mar mors paradieren Säulenreihen und tragen den Eintretenden gleichsam ganz nach vorne hin, zum Altar hin, wie ein Schiff vorwärts getragen wird auf den sanften Wellen des Meeres. Von besonderer Kost41

harkeit sind dann noch die vielen Mosaiken, Gemälde aus unzähligen farbigen Stein chen zusammengefügt. Sie leuchten von Decken und Wänden hernieder und halten den Betrachter in Bann. Elfenbeinernes Weiß, Rot, Grün, Blau, Braun und vor al lem Gold sind die Farben, die auf geheim nisvolle Weise zu schillern beginnen, wenn die Sonne ihre Strahlen auf sie wirft. Man hat .den Eindruck, daß hier alle Erden schwere im Glanz von Farben überwunden ist. Es ist der Himmel, der die Gläubigen umgeben will, der sie vom Gelärme der Welt abziehen möchte in die feierliche Stille einer ewigen, göttlichen Welt hinein. Das wird noch deutlicher, wenn man die dar gestellten Heiligen betrachtet. Sie ste hen meistens frontal und fast ohne jede Be wegung. Was sich leicht bewegt und be hende dreht, ist ja dem Menschen und dem Irdischen zu sehr verwandt. Das Heilige und Göttliche aber ist in unveränderlicher Ruhe, wobei diese Ruhe immer auch ein Ausdruck des Erhabenen ist. Das zeigt sich am deutlichsten in der Darstellung Christi selber. In St. Paul vor den Mauern finden wir in der Mitte des Bogens zum Altar raum hin, dem Triumphbogen, eine solche. Es ist der triumphierende Christus oder der Christus in erhabener feierlicher Mäch tigkeit, den die Griechen Pantokrator nennen. In kostbar farbiger Gewandung, auf einem Thron sitzend vor einem Goldgrund, mit großer segnender, das heißt gnadenspen dender Geste, schaut er auf die Gläubigen hernieder, wendet er sich ihnen zu. Man muß schon sagen: nichts Menschliches, nichts Irdisches ist an ihm. Er ist den Men schen weit entrückt und zieht sie doch un widerstehlich zu sich hin. Das wollen auch die großen, ja übergroßen Augen besagen. Man hat in ihnen einen Ausdruck der All wissenheit sehen wollen. Das ist aber wohl kaum richtig. Sie sind vielmehr wie ein gro ßes geöffnetes Tor, durch das die Menschen ins Innerste der göttlichen Eiebe und der göttlichen Herrlichkeit hineinschreiten sol len. Diese großen .Augen frühchristlicher Christus-Pantokrator-Darstellungen saugen gleichsam die Menschen vom Irdischen weg ins Heilige, ins Göttliche hinein. Man kann ihnen nicht widertehen. Man wird in die Knie gezwungen, ob man will oder nicht. Man fühlt sich dem Göttlichen ausgeliefert. Um dieses Göttliche aber geht es immer 42 bei der frühchristlichen Basilika und ihrer einzigartigen Mosaikkunst, nicht um das Menschliche oder doch nur insoweit, als es fähig ist, in die göttliche Verklärung mit hineingenommen zu werden. Deshalb muß eine solche Kunst auch immer zum echten Beten führen, im letzten zur Anbetung dessen, der als. der wahre Herr über allem thront. Wieviel wäre von einer solchen Kunst zu lernen, besonders in einer Zeit, wo sich bisweilen das Menschliche und Ir dische, d.as ganz Private, im Kirchenraum allzu breit macht, wo es den Künstlern auf fallend darauf ankommt, nicht Gott, son dern sich selber in der Kunst, auch inner halb der Kirchen, zu verherrlichen. 3. Romanische Kunst Wer hätte nicht schon vom Aachener Münster gehört! Viele kennen und bewun dern es. In ihm werden die berühmten Reli quien der Aachener Heiligtumsfahrt auf bewahrt. Daß es — in seinem achteckigen mittleren Rundbau wenigstens — eines der ältesten Gotteshäuser aus Stein ist, mag wohl weniger gewußt sein. Es stammt aus der Zeit Karls des Großen, der im Jahre 814 starb. Aus dieser Zeit gibt es nur wenige noch erhaltene Bauten, außerdem Kleinbildnerei als Elfenbeinschnitzerei und Buch malereien. Allen erhaltenen Kunstwerken dieser Zeit aber ist es anzumerken, daß sie sich an die den Germanen fremde Kunst welt des klassischen Altertums oder des be reits christlich gewordenen Griechentums anlehnen. Das gilt in vieler Hinsicht auch für die Kunst der ottonischen Kaiserzeit, die wir in die Zeit vom letzten Drittel des zehnten Jahrhunderts bis ins erste Drittel des elften Jahrhunderts ansetzen. Vor allem die damals entstehende Buchmalerei im Kloster Mittelzell auf der Insel Reichenau im Bodensee verrät stark den Einfluß der griechisch-byzantinischen Kunst. Auch die figürliche Kunst ist von daher beeinflußt. Sie ist Reliefkunst, also flach und nicht freifigürlich. Schönstes Beispiel sind die Bronzetüren am Dom zu Hildesheim, die dem heiligen Bischof Bernward zugeschrie ben werden. In Hildesheim ist auch das besterhaltene Bauwerk aus ottonischer Zeit, die St. Michaelskirche. Eine andere berühmte Kirche aus dieser Zeit ist die Stiftskirche zu Gernrode im Harz. Gerade diese Kirchenbauten sind es.

die deutlich aufweisen, daß unter den Ottonen langsam überwunden wird, was noch an die Bauten des heidnischen Altertums oder an das Karolingische erinnert. Sie nehmen zum Teil burgenähnlichen Charak ter an und offenbaren damit etwas völlig Neues, Kraft und Wucht germanischer Stämme. Es ist der Anfang eines neuen Stils, der sich in jenem fortsetzt, den wir seit 1820 den „romanischen Stil" nennen, weil auch er nicht darauf verzichtet, be stimmte Einzelheiten der Baukunst des al ten Roms mitzuverwerten, zum Beispiel den Rundbogen und die Säule. Die Zeit die ses Stils läßt sich nicht haarscharf abgren zen, aber man geht nicht fehl, sie etwa vom ersten Drittel des elften Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts an zusetzen. Auch die romanische Kunst ist vorzüg lich Baukunst. Gewiß gibt es für die gro ßen Flächen über den Fenstern im Kirchen raum eine gute Möglichkeit zu Wandgemäl den, deren noch viele erhalten sind, gewiß gibt es wundervolle romanisch farbige Fenster wie im Augsburger Dom, es gibt reichverzierte Säulenabschlüsse, sogenannte Kapitäle, es wird die Reliefkunst abgelöst durch eine Figurenkunst, die sich gleich sam in den Raum hinauslöst, ja die Kunst der kleinen Figur wird zur Kunst der gro ßen Figur in Torbögen, an Chorschranken wie in Bamberg und an Portalsäulen wie in Chartres in Frankreich und anderswo, aber alles, was so an Kunstwerken aufzuweisen ist — die herrlichen Buchmalereien ausge nommen — steht doch mehr oder weniger deutlich in Verbindung mit der Architek tur, mit dem Kirchenbau als solchen. Wir sprechen deshalb mit Recht von der romani schen Monumentalmalerei und Monumen talfigur oder -plastik. Romanische Baukunst findet sich vor al lem in Norditalien, in Frankreich, in Deutschland und hier wiederum besonders im rheinischen Raum. Die Dome von Trier, Speyer, Worms, Mainz, St. Aposteln in Köln, in Sinzig am Rhein, in Andernach und in Maria Laach gehören hierher. Ihnen gesellen sich eine Unzahl kleinerer und größerer Kirchen in allen Gauen Deutsch lands zu, und das schon zeigt an, daß hier ein einheitlicher christlicher Geist am Werk war, der einheitliche künstlerische Formen schuf. Man betrachte einmal die Abteikirche von Maria Laach. Zunächst: sie liegt nicht irgendwo, sondern an einem See, in dessen Wasser sich ihre Türme spiegeln und bie tet so ein Bild heiterer, gelassener Ruhe. Sie beansprucht in der Welt einen ganz be stimmten Ort. Heiter und freundlich wirkt auch das durch vorspringende Mauerstrei fen, den sogenannten Lisenen, und durch nach außen hin offene Zwerggalerien auf gelockerte schwere Gemäuer, völlig anders als das eintönige Gemäuer einer frühchrist lichen Basilika. Dann ist da noch etwas an deres! Nicht zwei Türme wie in An dernach geben dem Gesamtbau eine beson dere Betonung, sondern gleich sechs, die sich machtvoll zusammenballen, wobei die flankierenden Seitentürmchen wirken wie zuchtvolle Flalter eines mächtigen Wappens, besser noch des Wappens eines Mächtigen, der hier kein anderer ist als Gott. Die ganze Kirche wirkt wie eine uneinnehmbare Got tesburg. Das sind nur einige wenige Gedanken, aber sie mögen genügen, uns aufhorchen zu lassen, und uns mit dem Geist vertraut zu machen, der die romanischen Dome schuf. Man wird: es nicht ganz übersehen können, daß die Christen um das Jahr 1000 das Ende der Welt erwarteten, daß die Menschen Buße taten, daß Fürsten ihre Güter ver schenkten und ins Kloster gingen, daß also eine bis ans Krankhafte reichende Gespannt heit da war. Die aber löste sich langsam wachsend mit einer neuen Eroberung der Welt ab. Kann es also verwundern, daß auch die Kirchenbauten im ganzen einen heiteren Charakter bekamen! Dann aber weiter noch: Es war die Zeit der großen Spannun gen zwischen Staat und Kirche, die ihre düsterste Note erhielt im Kampf zwischen Gregor VIT und dem Kaiser Hein rich IV., der zum Zeichen seiner Macht den Speyerer Dom schuf und ihn mit dem ersten mächtigen Gewölbe überwölbte. Kann es wiederum verwundern, daß nun also die Zeichen kirchlichen Machtanspruches als Anspruch der Macht Gottes über jeden irdi schen Fürsten auch im Kirchenbau sicht bar -werden? Lind immer noch ragen die Dome — mächtige Akzente in der Land schaft — auch in unsere Zeit hinein. Wer den sie auch heute noch vernommen, diese steingewordenen Gebete eines gläubigen Volkes der Vergangenheit? (Fortsetzung folgt.) 43

Wiedergeburt der Glasmalerei Von Prof. Alfred Stifter, Linz (Dazu die Abbildung 15) (i. Fortsetzung.) Der in unserem ersten Teil skizzierte Weg einer Erneuerung des sakralen Glas fensters soll in manchen Einzelheiten nun eine Ergänzung erfahren. Um den sich im Laufe des 19. Jahrhunderts noch steigern den Verfall zu kennzeichnen und die Schwierigkeiten einer wirklichen Erneue rung von innen heraus zu zeigen, ist es im mer wieder notwendig, den Blick auf die Blütezeit dieser Kunst und ihre geistigen und handwerklichen Voraussetzungen zu richten. Der Wille zur Erneuerung der mittel alterlichen Glasmalerei mußte sich im 19. Jahrhundert erst wieder ein taugliches Werkzeug schaffen. Nicht nur die naturali stische Tendenz der Zeit aber war dabei ver hängnisvoll, wie wir schon hervorgehoben haben, auch der fabrikmäßige Werkstätten betrieb selbst, ein richtiges Kind seiner Zeit, war mit der unglücklichen Parole der „Stil reinheit" zusammen nicht geeignet, eine echte Wiedergeburt zu sichern. Das Material blieb das gleiche, wie es schon im zwölften Jahrhundert der Mönch Theophilus erwähnt, soweit seine Angaben zutreffend sind. Damals wußte man schon durch Beisetzung von Metalloxyden wäh rend des Schmelzvorganges des Glases bunte Tafeln herzustellen. Kobaltoxyde aus Böhmen ergeben Blau, mit Mangan oder Kupfer versetzt erhielt man violette oder grünliche Blautöne. Kupferspäne mit desoxydierenden Eisensplittern machen den Glasfluß rot. Da es leicht zu dicht und dun kel wird, schmilzt man dünne rote Überfangschichten auf weiße oder blau und grün getönte Scheiben. Das Kupferoxyd als grüne Glasfarbe ist uns ja auch aus den (Jlasuren der Töpferwaren her bekannt. Mangan mit Eisenoxyd färbt gelb. So konnte man mit den Mineralien, die alle mit Ausnahme des böhmischen Kobalts im Lande der großen Glasfensterzyklen Frank reichs zu finden waren, die Hauptfarben gewinnen. Die unvollkommene Technik der Glas erzeugung bewirkte manche Reize, wie Bläs chen und Schlieren in den Scherben, un regelmäßige Tönungen verschiedener Ab stufungen, die je nach Dichte fernere Ab stimmungen der Töne zueinander zuließen. In mühsamer Arbeit wurden dann die ge wünschten Glasstücke nach einer auf Holz tafeln in Originalgröße aufgezeichneten Vorlage abgesprengt und mit Zangen und Kröseleisen zurechtgeformt, bevor man den Diamant anzuwenden lernte. Die primitive, nur vorbereitende Zeichnung hatte den gro ßen Wert, daß sie zwang, gleich „im Ma terial zu denken" statt Bilder aus anderen Techniken ins Glas zu übertragen! Ebenso schloß die mühsame Zurechtrichtung der einzelnen Glasstücke jede gekün stelte Form aus und zwang zu einer dem Wesen des Glases entsprechenden Gestaltung. Die Zeichnung auf den Scherben vermit telte schon immer eine zügig aufgetragene undurchsichtige Farbe, das Schwarzlot, das in einem entsprechenden Schmelzofen dann glas wetterfest aufgebrannt wurde. Bleiruten von H-förmigem Querschnitt fügen schließ lich die einzelnen Scherben zu Tafeln zu sammen, den durch Eisenschienen und Maß werk begrenzten Teilen des Fensters ent sprechend. Es ist uns auch überliefert, daß sich Glas malereiwerkstätten, wie die Dombauhütten an den Domen selbst, für die zu arbeiten war, niederließen. Eine solche Werkstätte stand so naturgemäß in engster Beziehung zum Bau, der die Fenster erhalten sollte. Nur so ist die überzeugende Geschlossenheit der endgültigen Wirkung der verglasten Räume zu verstehen, aber auch die Gefahr, die eintreten mußte, wenn diese enge orga nische Bindung einmal fehlen sollte. Von der geistigen und geistlichen Atmosphäre, in der die Arbeiten damals verrichtet wur den, ganz zu schweigen. So konnte auch das geringe Talent sich im großen Chore der Meister halten und seine bescheidenere Aufgabe im Rahmen des Ganzen zufrieden stellend leisten. Was an Routine hinzuge lernt wurde, mußte sich bei dem innigen Kontakt mit dem Baukörper in stets an schaulich erlebten neuen Situationen bewäh ren und selbst nur handwerklich gedachte Verrichtungen fügten sich der Gesamtheit des Kunstwerkes schließlich harmonisch ein. So erweisen sich die kräftigen breiten 44

Bleibänder der alten Fenster als wesentliche monumentale Mittel der Zeichnung. Wie etwa die Technik des gotischen Ge wölbebaues bis ins i8. Jahrhundert, blieb auch die Technik des farbigen Glasfensters in einer Zeit bekannt, da dieser Kunst bereich unerwünscht war. Aber zwischen Kenntnissen, die genügen, entstandene Schä den an alten Kunstformen mehr oder weni ger gut auszubessern, und einer lebendigen Pflege der entsprechenden Technik und ihrer künstlerischen Flandhabung besteht ein wesentlicher Unterschied. Der Bedarf an Glasfenstern für die Aus stattung neugotischer I^itterburgen der Für sten mußte deshalb auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit alten Originalen ge deckt werden. Das war wohl leicht zu er reichen, wirkte doch in der Kirchenarchi tektur noch der barocke Sinn für helle Räume, dem die Abgabe mittelalterlicher l'ensterreste gar nicht schwer fallen konnte. Für das kaiserliche Tmstschloß Laxenburg holt man sich sO' auch aus den Kirchen des Landes mittelalterliche Fensterteile und man erhält so viel zur Verfügung gestellt, daß man einen beträchtlichen Teil wieder zurückschicken kann. Wie sehr das alte Material nur vom Standpunkt der Dekora tion im Sinne einer romantischen Lieb haberei gewertet wurde, läßt sich daraus er kennen, daß man versäumte, den Ursprungs ort der Stücke zu vermerken. So hat die Stadtpfarrkirche Steyr, die auch „geliefert" hatte, schließlich Scheiben zurückerhalten, die gar nicht aus ihrem Bestand waren. 1840 ist das Interesse an mittelalterlicher Kunst in ganz anderer Weise wach. Die Be mühungen der Kapläne der Welser Stadtpfarrkirche und anderer Kunstfreunde um die alten Fenster dieser Kirche zeigt nicht nur eine leidenschaftliche Zuneigung zu den alten Werken und eine in weiterer Folge unglückliche Sucht nach Säuberung und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes, sondern auch das Fehlen einer Werkstätte, die über die herkömmlichen Reparaturarbeiten hinaus auf den ganz be stimmten Wunsch der Wiederentdecker der Welser Fenster hätte eingehen können. Die radikale Säuberung der Gläser von der unerwünschten Patina — man denke dabei an die malerisch harten und klaren Far ben der Nazarener als Ideal! — muß ten so jene Kunstfreunde mit Scheide wasser und Schabersinn auf Kosten der Schwarzlotzeichnung selbst durchführen. Bei der Ergänzung half der Frankenburger Glasmaler und ,,Privatier" F. v. Pausinger und nur für die Verbleiung werden zünf tige Flandwerker herbeigeholt. Auch für die farblosen Fensterabschlüsse war ja stets diese Arbeit notwendig geblieben. Erst für spätere Restaurierungsarbeiten in Wels in den Jahren 1888—1890 steht dann die äl teste Glasmalereiwerkstätte des 19. Jahr hunderts in Österreich, Geyling in Wien, zur Verfügung. Die Gründung solcher Linternehmen fand durcli den Wunsch nach Stilreinheit, und dazu gehörten nun für die alten gotischen Kirchenräume auch wieder bunte Glasfenster, eine starke Eörderung. Für uns heute hat sich dieses Programm der Stilechtheit und Stilreinheit als eine offenkundig kunstfeindliche Parole erwie sen. Wertvolle nichtgotische Bestände wur den zerstört und dafür nur ein sehr schwa cher unkünstlerischer aber „stilreiner" Er satz geschaffen. Wo vordem künstlerische Qualität und Einheit in stilistischer Vielfalt l^estand, ro manische Portale, gotische Gewölbe und barocke Altäre einen künstlerischen Kos mos ergaben, beherbergte nun stark überarbeitete, hart und steif gemachte mit telalterliche Architektur ein neugotisches Altarmagazin. Damit soll der Eindruck charakterisiert sein, der sich dem für wirk liche künstlerische Werte empfänglichen Auge leider vielfach nun bot: Unharmo nisch in den Raum gestellte Altäre und Kan zeln, selbst wieder nur sinnlos aufgetürmte und zusammengeklitterte gotische Architek turelemente, dazugehörige Beichtstühle und Bänke füllen die Räume. „Steingrau" war dabei ein Lieblingston oder wo man far biger wurde, man wußte sehr wohl wie die Welser Bemühungen um die Jahrhundert mitte beweisen, von der heraldischen Far benfreudigkeit des Mittelalters, geriet man unversehens in eine seltsam farbig-nüch terne Tonreihe, die dann noch neben dem üblichen Grau und branstigen Braun für Holz fremd und unerquicklich steht. Uns überrascht bei allen Erneuerungs und Wiederherstellungsarbeiten dieser Zeit der Mangel an künstlerischem Einfühlungs vermögen, wobei man Ergänzungen im .Sinne der Denkmalpflege jener Zeit mög lichst täuschend vornehmen wollte. Daß eine manieristische Zeit, wie die Neugotik 45

an alten Vorbildern gerade die manieristischen Züge und ausgeschriebenen Formeln sich suchte und aufgriff, ist verständlich. Was konnte aus dieser Einstellung, die wir eingehender schildern mußten, zusam men mit dem Unternehmergeist der Grün derzeit schließlich für eine echte Wieder geburt des Glasfensters gewonnen werden? Umfangreiche Regotisierungen, gewaltige Programme zur Fertigstellung alter Dome und schließlich großzügige Neubauten in mittelalterlichen Stilen benötigten einen lei stungsfähigen Apparat, dem Tempo der neuen Epoche entsprechend. Wenn man bei den vielen nun gegründeten Glasmalerei werkstätten von „kirchlichen Kunstanstal ten" und „Fabriken" sprach, so hatte das durchaus seine Berechtigung. Eine strenge Arbeitsteilung beschäftigte eine häufig weit über hundert gehende Schar von Ent werfern, Glaszuschneidern, Bordüre-, Tep pich-Ornament-Architektur- und Figuren malern gegen eine, einem Fabrikbetrieb dieser Zeit auch entsprechende karge Entlöhnung. Jahrelang mußte man Bandorna mente malen, bis man in die nächst höhere Kategorie der Teppichmustermaler auf rücken konnte. Nicht zufällig hieß in einem westdeutschen Betrieb diese unterste Abtei lung bei den Malern „Sibirien". Mußten doch oft bis zwanzigtausend Stück des glei chen Motives hergestellt werden. Daß dabei auch Umdruckverfahren und Schablonieren üblich waren, konnte die Wirkung kaum noch verschlechtern. Einen einmal in dieser Richtung einge spielten Betrieb auf eine künstlerisch frucht barere Arbeitsweise umzustellen, wie es bei spielsweise Dr. Oidtmann bei seiner Werk stätte in Linnich schon 1900 vermöchte, mußte auf den Widerstand der auf diesen Fabriksbetrieb gedrillten älteren Arbeits kräfte stoßen. Von den, im Vergleich zu den barocken Mäzenen etwa, einseitig intellektualistisch erzogenen Auftraggebern war M'ohl auch kein tieferes künstlerisches Ver ständnis zu erwarten! Wie allein schon dieses Beispiel beweist, hat es nicht an Selbstkritik der Glasmaler gefehlt und an Versuchen, die unfruchtbare Situation zu überwinden. Insbesondere der intensive Umgang mit alten Werken hatte den Blick immer mehr geschult und das Ungenügen der eigenen Leistungen erken nen lassen. Nun waren aber einmal diese Großunternehmen aufgebaut und mußten sich Aufträge sichern. Man sah sich viel leicht weniger den Angestellten gegenüber verpflichtet, als dem kaufmännischen Prin zip verbunden und verspürte wenig Lust, einem Ideal zuliebe Opfer zu bringen. Große Aufträge aus Amerika, ganz in der her kömmlichen Schablone bestellt, wirkten als böse Versuchung, ein sich festigendes künstlerisches Gewissen, sobald es sich regte, zu überhören, je mehr altmodische — man kann nicht anders sagen — Aufträge aus Übersee für die Aufrechterhaltung eines Glasmalereibetriebes in größerem Um fange lebensnotwendig wurden. Insbeson dere nach dem Ersten Weltkrieg wirkten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse im verarmten Europa so aus, während gleich zeitig die ersten kräftigen Zeichen einer sich wirklich erneuernden Glasmalerei sicht bar wurden. Der zwiespältige Zustand sollte aber noch Jahre fortdauern. Menschlich begreiflich auch, da man sich doch nicht so leicht ein gestehen wollte, bei dem bisher verfolgten Wege, der sich wirtschaftlich günstig er wiesen hatte und auch jetzt noch, und nicht nur vom Ausland her, seinen Mann er nährte, einen Irrweg gegangen zu sein. Auch eine konservative Haltung in der Heimat, die meinte, es müßte der Einheit lichkeit zuliebe — die alte Parole: Stilrein heit! — ein künstlerisch einst höchst un glücklich begonnenes Programm konsequent weiter künstlerisch schlecht fortgesetzt wer den, wirkte nicht unmaßgeblich mit, schwere Hindernisse einer echten Wiedergeburt ent gegenzustellen. Noch vor dem Ersten Weltkriege hatten große Ausstellungen, wie in Karlsruhe und Berlin, bei denen auch Fensterkopien nach alten Werken gezeigt worden waren, ganz wesentlich zu einer Besinnung auf die eigentlichen künstlerischen Werte im Glas fenster beigetragen. Es soll nicht vergessen werden, jener jüngeren Kräfte in fabriks mäßig betriebenen Glasmalereiwerkstätten zu gedenken, die aus gesundem natürlichen Empfinden dem damals üblichen Arbeits gang unbefriedigend gegenüberstanden und sich schon als Lehrjungen dachten, man müßte eigentlich mit dem Glase ganz anders umgehen, als man es damals machte, da man so lange daraufpinselte, überzog und wischte, bis man eine gleichmäßig öde Fläche gewonnen hatte. Denn diese Leute stellten später der Idee des künstlerischen 46

Fensters, als seine Zeit gekommen war, als erste ihre Kräfte zur Verfügung. Es mußte ja Helfer geben, die dem Rufe, der von außen an die Werkstätten erging, mit Ver ständnis folgen konnten, und sie waren da! Kein Zufall auch, wenn sich nun in der Behandlung des überlieferten Denkmal bestandes an Glasfenstern ein grundsätz licher Wandel vollzog. Nach der Mißachtung der bunten Fenster in der Barockzeit hat die romantische Be geisterung einen Idealzustand ursprüng licher Reinheit, frei von den Zeichen ehr würdigen Alters gesucht, das klassische Beispiel war uns Wels dafür, und .es bleibt auch für die weitere Entwicklung so cha rakteristisch, daß sich darin der Wandel der Auffassung bestens erkennen läßt. Wir können hier nur auf die vorzügliche Be schreibung hinweisen, die anläßlich der Wiedereinsetzung 1951*) erschienen ist und daraus hervorheben, daß nach der Rei nigung und Wiederherstellung der ur sprünglichen Farbigkeit frei von Patina man später teilweise die verlorengegangene Zeichnung naiv nachzumalen versuchte, was nur ebenso unbeholfen gelingen konnte, wie wenn man die Schriftzüge einer frem den Hand zu fälschen versucht. Da die Fenster einem Kultraum angehören, in dem man keine ruinenhafte Museumsstücke wollte, waren diese denkmalpfleglich un glücklichen Bemühungen verständlich. Fleute hat man aber endlich zu einem gesunden, sauberen Verhalten gefunden, das den Abstand zu den Werken aller Kunst respektiert und wahrt, weil man diese in ihrem Wesen besser zu erkennen und schätzen gelernt hat. Bei der jüngsten Instandsetzung der Welser Fenster sind alle imitierenden Ein griffe vermieden, die sich gerade beim *) „Die Welser Glasfenster", herausgegeben von der Stadtpfarre Wels, mit Beiträgen von Franz Korger, Kurt Holter, P. Petrus Raukamp. Glasfenster, wie sich zeigt, ganz erübrigen. Der Bestand ist geblieben, wie er einmal mehr oder weniger gut erhalten war. Durch Darüberlegen entsprechender getönter Glas scheiben über die durch die verschiedenen Erneuerungen farbig ungünstig geratenen Stücke wurden die in der Farbe komposi tioneil störenden Elemente überwunden und eine geschlossene Gesamtwirkung er zielt. So konnte F. Petrus Raukamp in der Schlierbacher Werkstätte ein durch Alter und gewaltsame Eingriffe geschädigtes monumentales Werk, ohne seine historisch bedingte, bruchstückhafte Form im Wesen anzutasten, als würdigen Schmuck der Welser Stadtpfarrkirche zurückgeben. Ein musealer, fragmentarischer Zustand kann für Sakralräume als vorbildlicher Schmuck erhalten werden. Und wie eines das andere bedingt, und nicht die Zeit für eine künstlerische Erneue rung aus der Wurzel gekommen ist, so lange auf dem Gebiet der Denkmalpflege der Kunstfälscher der eigentlich willkom mene Helfer ist, sollte durch diese Hin weise noch hervorgehoben werden. Es paßt dazu, wenn bis in die Zwanzigerjahre eine offenkundige plumpe Fälschung im Linzer Landesmuseum als originale mittelalter liche Scheibe gelten konnte, weil dafür irgend ein schriftlicher Nachweis seiner Herkunft vorhanden ist. Und der Zeitpunkt der Feststellung die ser Fälschung, von Kieslinger veröffent licht, dem wir die erste kunstgeschichtliche Erfassung des alten heimischen Glasfen sterbestandes zu verdanken haben, fällt genau zusammen mit dem Augenblick, da, von vereinzelten früheren mutigen Ver suchen abgesehen, denen leider eine stär kere Auswirkung versagt blieb, von den ersten deutlichen Zeichen einer Wieder geburt der Glasmalerei gesprochen werden kann. (Fortsetzung folgt.) Die Kirchenfassaden des römischen Spätbarocks Von Renate Rieger, Wien (Dazu die Abbildungen 16, 17, 18, 19) Die große Zeit der Architektur des römi-' Fontana, der in seinen Bauten noch einmtil sehen Hochbarocks ging in den Achtziger- zusammenzufassen suchte, was Bernirii, jähren des 17. Jh. zur Neige. Mit Carlo Borromini und Cortona an neuen Ideen 47

hervorgebracht hatten, schloß die Reihe jener genialen Barockbaumeister, welche die römische Architektur an die Spitze der abendländischen Baukunst gestellt hatten. Gleichzeitig damit ging die Verbreitung der von ihnen geprägten Formen einher, denn aus allen Kunstlandschaften Europas ström ten Lernende nach Rom, um hier Anregun gen zu empfangen, die sie später, eigenem künstlerischen Empfinden angepaßt, in den Kunstzentreni des transalpinen Raumes verwerten sollten. Sie suchten die große Architektur des römischen Hctchbarocks und auch für sie war Carlo Fontana deren letzter Vertreter; von ihm und von den Arbeiten seiner genialen Vorgänger gin gen sie aus, ohne besonders zu beachten, was nach Fontana in Rom noch gebaut wurde. Dies war zunächst auch recht bescheiden. Schon rein zahlenmäßig ging in Rom die Bautätigkeit stark zurück. Schuld daran hatte einerseits das Schwinden der Vor machtstellung des Papstes, dessen Ausein andersetzungen mit der französischen Krone zu manch schwerem Prestigeverlust führte, anderseits aber schienen auch die großen Bauaufgaben weitgehend erschöpft. In den vorangegangenen Generationen hat ten nicht nur die Künstler, sondern auch die Bauherren gründliche Arbeit geleistet. Mit dem Rückgang der Bauaufgaben; schwand auch der Anreiz für die großen Künstler, in Rom zu arbeiten. Schon Guarino Guarini (1624—1683), aus Modena gebürtig, war nicht mehr, wie so viele Ober italiener vor ihm, in der Ewigen Stadt ge blieben, sondern schuf, nachdem er Borrominis Anregungen in fruchtbarster Weise in sich aufgenommen hatte, seine bedeu tendsten Bauten in Piemont. Dort entfal tete auch Filippo Juvarra (1676—1736) seine Haupttätigkeit. So wurde das künst lerische Zentrum Rom vor allem im Bezug auf die Architektur von Piemont abgelöst, wie sich überhaupt das Schwergewicht an die Randgebiete Italiens verlagerte; so sollte im Süden auch noch Neapel eine nicht unwesentliche Bedeutung zukommen, das, seit 1734 von den Bourbonen beherrscht, auch künstlerisch im Kontakt mit Frank reich stand. Die geringe Wertschätzung, welche schon die Zeitgenossen der römischen Architek tur des 18. Jahrhunderts entgegengebracht hatten, hielt lange an. Die Haltung des Klassizismus^) und die von ihm geprägte Kunstanschauung hat die längste Zeit für alles, was nach der Renaissance gebaut wurde, nur ein abschätziges Werturteil ge kannt und erst im ausgehenden 19. Jahr hundert wurden die hohen Leistungen der römischen Barockarchitektur für die Kunst geschichte wieder entdeckt. Zuerst standen naturgemäß die bahnbrechenden Werke des 17. Jahrhunderts im Mittelpunkte des In teresses und es hat noch weitere Jahrzehnte gedauert, ehe mani auch die Architektur des 18. Jahrhunderts einer näheren Betrach tung für Wert erachtete^). Bis dahin be schränkten sich die Handbücher im wesent lichen auf die Fassaden der drei großen römischen Pilgerkirchen von S. Giovanni in Laterano, Sta. Maria Maggiore und Sta. Croce; während man auf Grund der beiden erstgenannten den Terminus vom ,,römi schen Klassizismus des 18. Jahrhunderts" prägte, mußte die Fassade von S. Croce, welche sich dieser Einordnung nur schwer fügen wollte, manch scharfe Kritik über sich ergehen lassen. Dabei übersah man je doch, daß diese Bauten durchaus keine iso liert stehenden Einzelleistungen waren, son dern von einer, zahlenmäßig nicht unbedeu tenden Bautätigkeit getragen wurden, die seit den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts in Rom wieder eingesetzt und besonders an In der Kimstgeschichtschreibung, etwa bei Bellori, wurden die klassizistischen Tendenzen schon im 17. Jahrhundert vorbereitet. -) Alois Riegl, Die Entstehung der Barockkunst in Rom, herausgegeben von A. Burda und M. Dvorak, Wien 1908, und H. Wölfflin, Renaissance und Barock, erste Auflage 1888, stehen am Beginn der Erforschung der Barockarchitektur. Das Inter esse für das 18. Jahrhundert wurde erst um 19,30 wach. Vorläufer sind Arbeiten über die römische Stadtbaukunst dieser Zeit, wie E. Hempel, Die spanische Treppe, Ein Beitrag zur Geschichte der römischen Stadtbaukunst, Festschrift für H. Wölfflin zum 60. Geburtstag, München 1924, S. 27.3, später E. Coudenhove-Erthal, Römisches Stadtbaudenken zu Ende des Secento, Festschrift für H. Egger, Graz 1933, S. 95 ff., aufbauend vor allem auf H. Egger, Römische Veduten, Wien 1931 bis 1932. Außer den später noch zu nennenden monographischen Arbeiten siehe Josef Weingartner. Römische Barockkirchen, klünchen o. J. T. H. Fokker, Roman Baroque Art, Oxford-London 1938. Aldo de Rinaldis, L'arte in Roma dal Seicento al Novecento, Storia di Roma, Vol. XXX., Bologna 1948. L. Bruhns, Die Kunst der Stadt Rom, Wien 1951, V. Golzio, Spiriti e forme nell'- architettura romana nel Settecento, l'Urbe 1938. A. Neppi, Aspetti deirarchitettura del Settecento a Roma, Dedalo 1933. 48

Kirchenfassaden recht beachtliche Denk mäler hervorgebracht hat. Es steht wohl außer Zweifel, daß diese Werke des römischen Spätbarocks an Origi nalität, Bedeutung und Auswirkung jenen des vorangegangenen Jahrhunderts nach stehen; trotzdem muß aber auch diese Ar chitektur ein gewisses Interesse beanspru chen. Sie ging von den gleichen Voraus setzungen aus wie die Barockarchitektur anderer, abendländischer Bauzentren der gleichen Zeit, nämlich vom römischen Hochbarock. Während dieser aber dort nur einen, wenn auch sehr wesentlichem Ein fluß bedeutete, der sich mit zahlreichen an deren Komponenten, vor allem mit einem ganz andersartigen künstlerischen Verhal ten der jeweiligen Kunstlandschaft ausein anderzusetzen hatte, blieb dieser bedeut same Faktor für den römischen Spätbarockunverändert. Dieses Gleichbleiben der loka len Konstante räumt aber der römischen Baukunst gegenüber anderen Parallelentv.ückluiigen eine Sonderstellung ein, welche die Funktion eines Gradmessers überneh men könnte: und zwar gerade im Bezug auf Veränderungen, welchen die Anregungen aus der Architektur des römischen Hoch barocks in anderen Kunstlandschaften un terworfen waren. So verspräche es etwa nicht unbedeutende Aufschlüsse, wollte man versuchen, den Ablauf des römischen Spät barocks mit dem eines beliebigen, anderen europäischen Bauzentrums derselben Zeit zu vergleichen, um dessen lokale Spielart noch schärfer präzisieren zu können, als dies ohne eine solche Vergleichsbasis mög lich ist. Voraussetzung eines solchen Beginnens ist es jedoch, den Stilablauf der römischen Architektur im Spätbarock selbst zu klären. Hiezu einen Beitrag zu liefern, soll Ziel vorliegender Arbeit sein. Sie beschränkt sich auf die stilistische Untersuchung von Kir chenfassaden des fraglichen Zeitraumes, wobei die Wahl des Themas mehrere Gründe für sich hat. Die Kirchenfassade erfuhr im Laufe des Barocks eine so weit gehende Verselbständigung, daß sie in künstlerischer Hinsicht ein vom übrigen Bau oft unabhängiges Eigenleben zu füh ren vermochte; durch ihre gesonderte Be trachtung entsteht so kaum die Gefahr, da mit den Teil eines Gesamtkunstwerkes aus dem Zusammenhang zu reißen, in dem er vom Künstler eingefügt worden war. Fer ner sind die Fassaden in Entwurf und Aus führung meist viel einheitlicher als der üb rige Bau und schließlich bieten die römi schen Kirchenfassaden eine geschlossene Beispielreihe, wie sie für eine solche stili stische Untersuchung wünschenswert und notwendig erscheint. Obwohl es für eine Spätzeit wie den Spätbarock näher liegt, die Probleme zu nächst von der Persönlichkeit der Finzelkünstler her aufzurollen, scheint es doch auch nützlich, gleichzeitig von einer anderen Richtung her den Denkmälerkomplex zu betrachten. Es soll hier versucht werden, durch chronologische Ordnung der erhal tenen Werke (wobei naturgemäß gelegent lich auch nicht ausgeführte Entwürfe zu be rücksichtigen sind), die einzelnen, aufein anderfolgenden Phasen des Stilablaufes her auszuarbeiten, ohne auf den persönlichen Stil der einzelnen Architekten gesondert einzugehen. Die Gefahr, den Stil einp Künstlers als für .seine ganze Zeit gültig zu erachten, scheint dabei leichter umgan gen werden zu können als bei der Be trachtungsweise, die monographisch vor geht. Es darf nicht verschwiegen werden, daß sich in die auf Grund der Entwicklung der römischen Kirchenfassaden feststellbaren Stilphasen andersartige Bauaufgaben der römischen Architektur nicht immer ohne w-eiteres einreihen lassen. Scheint dies zu nächst den Wert des ganzen Unternehmens bedeutend zu schmälern, so muß doch da gegen hervorgehoben werden, daß die er staunliche Logik, welche gerade die Ent wicklung der römischen Kirchenfassade im Barock auszeichnete, erkennen läßt, welche führende Rolle gerade der Kirchenfassade im Rahmen der künstlerischem Aufgaben zufiel. Beweglicher in den Möglichkeiten der künstleri.schen Ausgestaltung als der viel typen- und zweckgebundenere Kirchen raum konnte sie auf feinste stilistische Ver änderungen unmittelbarer reagieren und übertraf in dieser Hinsicht natürlich auch noch den viel konservativeren Profanbau. So scheint sich an den Kirchenfassaden der durchgehende Zug der Entwicklung am klarsten feststellen zu lassen, der dann auch für die übrigen Bauaufgaben bei weit gehendster Berücksichtigung des „noch" und „schon" Geltung besitzt. Eine chronologische Untersuchung hat den hier zu behandelnden Zeitraum zwi49

sehen 1600—1770 in folgende große Kreise zu unterteilen. Auszugehen ist von der Stil phase des „strengen Barocks", der sich seit zirka 1580 gegen den Manierismus abge setzt hat und bis zirka 1630 währt. Die um diesen Zeitpunkt einsetzende Steigerung aller barocken Formqualitäten berechtigt zur Herausstellung der Stilphase des „Hochbarocks", der gegen 1670 zu Ende zu gehen scheint, jedoch in den Achtzigerjah ren noch ein kurzes, aber intensives Nach spiel erlebt. Die nun folgende Zäsur trennt die genannten Barockphasen des 17. Jahr hunderts vom Spätbarock des 18. Jahrhun derts, der nach 1700 einsetzt und gegen T750 ausklingt und von einer, bereits als klassizistisch anzusprechenden Epoche ge folgt wird. Um die römische Architektur des 18. Jahrhunderts in der angedeuteten Weise untersuchen zu können, hat es sich als not wendig erwiesen, auch die vorangegangene Baukunst in den Kreis der Betrachtung einzubeziehen. Es ist notwendig, die Ent wicklungsbahnen zu kennen, in denen sich die römische Architektur des 17. Jahrhun derts bewegte, also den Ablauf der Stil phasen, welche für die Beurteilung der Ar chitektur des 18. Jahrhunderts die Grund lage bilden. Das 17. Jahrhundert Die Kirchenfassade hat in Rom seit dem 15. Jahrhundert eine Entwicklung durch gemacht, deren Gesetzmäßigkeit in der Literatur schon mehrfach gewürdigt wurde. Es muß genügen, hier auf jene Werke zu verweisen, welche die Linie, welche zur Fassade von B Gesü hinführt, untersuchen und auch den Stilwandel vom Manierismus zum strengen Barock klarlegen-'). Dieser Stil hat an der Kirchenfassade um zirka 1600 mit kräftiger, durchaus plastischer In strumentierung und sehr reicher, schwerformiger Dekoration den Sieg über die flächigen spannungsreichen Wandgliede rungen und das fast zeichnungshafte Li nienspiel der manieristischen Architektur davongetragen. Mit der Fassade von Sta. Susanna von Carlo Maderna (1603)^) (Abb. 16) trat die römische Kirchenfassade in ein neues Stadium. Klarer als die viel umstrittene Fassade von S. Peter kann diese kleinere, einheitlichere und im sich ge schlossene Front die neuen Formprinzipien verdeutlichen, denen es darauf ankam, in reicher, ja üppiger Fülle die kräftigen For men von Gliederung und Dekoration so mit der Schauwand zu verbinden, als seien sie 50 der Wand nicht aufgelegt, sondern aus ihr von Innen heraus entwickelt. Nicht überall ist dieses Stilideal so rein verwirklicht worden, nicht an jeder Fassade dieser Epoche hat die plastische Belebung den ganzen Fassadenspiegel so zu durch setzen vermocht. Relikte aus älteren Peri oden scheinen etwa am Obergeschoß der Fassade von S. Maria in Vallicalla (1605)°) nachzuwirken, deren zarte, etwas auseinan dergerückte Pilaster so viel von der glat ten Wandfläche freigeben. Solche, im Manierismus wurzelnde Ge staltungsweisen treten dann im zweiten und dritten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts in weit größerem Umfange hervor, wo si'e — innerhalb des strengen Barocks — eine Phase der Reaktion auf dessen plastische Durchpulsung der Wand bilden. Recht inSiehe hiezu Wölfflin, a. a. O., G. Giovannoni, Chiese della seconda metä det Cinquecento in Roma, L'Arte 1912, S. 401, u. 1913, S. 19, 81. Neuerlich abgedruckt in Saggi sulla Architettura del Rinascimento, Milano 1935, S. 177 ff. Hans Hoffmann, Hochrenaissance, Manierismus, Früh barock, Die italienische Kunst des 16. Jahrhun derts, Leipzig 1938. T. H. Fokker, The First Baroque Church in Rome, The Art Bulletin XV, 1933, S. 230 f. ') Nina Caflisch, Carlo Maderno, München 1934, S. 10 ff. struktiv ist dazu ein Vergleich der beiden, in unmittelbarer Nachbarschaft stehenden Fassaden von Sta. Susanna (1603) (Abb. 16) mit Sta. Maria d. Vittoria (1626)®) (Abb. 17) deren Schöpfer Giov. Batt. Soria sich im Aufbau des Fassadenspiegels dem der älte ren Kirche anpassen mußte. Die Unter schiede betreffen einerseits die Proportio nen, die nun gestreckter und zarter gewor den sind, anderseits liegen sie in der Art von Gliederung und Ornamentik. Während Sta. Susanna im Untergeschoß mit Drei viertelsäulen instrumentiert wurde und im '") Die Autorschaft dieser Fassade ist nicht rest los geklärt. Sie wird für Martino Longhi d. Ä. und Fausto Rughesi in Anspruch genommen. — Fokker, S. 56, Abb. 60. °) Thieme-Becker, Bd. 31, S. 294.

Obergeschoß kräftige Pilaster aufweist, zwischen denen reich gerahmte Nischen mit Figuren Platz finden, beschränkt sich Soria ausschließlich auf die Verwendung flacher Pilaster, zwischen denen verhältnismäßig viel von der ungegliederten Wand sichtbar bleibt. Die Fassade ist strenger geworden und dies verbindet sie nicht nur mit ande ren Fassaden Sorias, wie mit Sta. Caterina da Siena von 1628/30 (mit einbezogener, offener Vorhalle)'), sondern auch mit den Werken anderer Meister aus dem gleichen Jahrzehnt, wie mit der hochaufragenden, ganz flach gehaltenen Fassade von SS. Do menico e Sisto (1623 f.) (Abb. 18)®) oder rnit Sta. Francesca Romana von 1615. Bei dieser tritt die in Rom an Kirchenfassaden verhältnismäßig selten verwendete Riesen ordnung in der Mittelachse hervor, die auf Einwirkungen aus dem Bereich der ober italienischen Architektur hinweist, ein Kon takt, der durch ihren Erbauer Carlo Lombardo hergestellt worden war"). Es mag nicht zu verwundern, daß palladianische Formen gerade in dem Augenblick in Rom Eingang gefunden haben, als man sich hier auch sonst einer etwas kühleren, weniger plastischen Strukturierung der Fassaden befleißigte. Dieser Stilrichtung schloß sich dann auch der junge Bernini an mit der Fassade von Sta. Bibiana (1627)^"). Sie be zieht wieder die alte, offene Vorhalle ein, wurde mit ganz flach gehaltenen Pilastern instrumentiert und besitzt zart profilierte Gesimse. Das sich dabei ergebende orthogo nale. Linienspiel erinnert an I^ösungen des 16. Jahrhunderts und dem Nachleben manieristischer Formen ist auch die Durch bildung der Mittelachse des Obergeschosses verpflichtet. Dort wurde in ganz untekto- ') Die in die Fassade einbezogene Vorhalle war in diesen Jahrzehnten sehr beliebt. Das Motiv ist abhängig von der alten römischen Fassade mit Portikus, die damals häufig barockisiert wurde (S. Sehastiano 1612, Sta. Francesca Romana 1615, S. Bartolommeo dell'Isola 1624, Sta. Bibiana 1627). Damit hat sich auch schon das 16. Jahrhundert be- ■schäftigt (D. Fontanas Querhausfassade von S. Giovanni in Laterano, Sta. Maria in Domenico) und diese damals gefundenen Lösungen haben auf alle späteren Ausgestaltungen von Vorhallenfassaden eine gewisse Ingherenz ausgeübt. D Weingartner, S. 65. Fassade ist von Vincenzo della Greca. ") Weingartner, S. 69, Abb. 23. ") R. Pane, Bernini architetto, Venedig i953> S. 13. nischer Weise über dem Gesims ein Stück aus der Mauer so herausgenommen, daß eine rechteckige Nische für das Mittelfen ster entstand^^). Die manieristischen Formelemente, wel che der strenge Barock in dieser Zeitspanne aufnahm, übten auf ihn eine ernüchternde und abkühlende Wirkung aus; sie unter strichen das „Strenge" dieser Phase und verliehen ihr eine klassizistische Note. In den folgenden Jahrzehnten der Drei ßiger- und Vierzigerjahre setzt sich als Reaktion darauf neuerlich eine barock be lebte Strömung durch, die nun nicht allein auf die reichen plastischen Formen des strengen Barocks um 1600 zurückgreift, son dern diese darüber hinaus noch durch die neuartige Schwingung der Wand zu be reichern weiß. Musterbei.spiel ist die üppige, gedrängt dekorierte und von inneren Kräf ten bewegte Front von S. Martina e Luca, die der Maler Pietro de Cortona schuf (1634 beg.)^-) (Abb. 19). Geballte Energie scheint in diesem Bau zu wohnen, die nur mit Mühe gebändigt zu werden vermag. Dazu kommt noch ein stark malerisches Moment, das sich alle aus der Fassaden schwingung ergebenden Licht- und Schat teneffekte dienstbar zu machen wußte. Von einem solchen Standpunkt aus wird nun auch das im Manierismus geprägte Fa.ssadenschema der Kirche II Gesü in die Sprache des Hochbarocks umgesetzt, etwa an der Front von S. Ignazio, deren Entwurf zwischen 1643—1645 anzusetzen isH"). Stei gerung in der Plastizität der Strukturglie der, also Auswechslung der Pilaster durch Säulen, ferner Kontraktion von zwei Pi lastern zu eng gestellten Pilasterpaaren, Er höhung des dekorativen Reichtums unter scheiden diese Schauwand von ihrem typen mäßigen Vorbild"). (Fortsetzung folgt.) ^') Dieses untektonische Motiv besitzt eine innere . Verwandtschaft mit den herabrutschenden Schluß steinen von Giulio Romanos Palazzo del Te bei Mantua. '9 Vittorio Moschini, L'architettura di Pietro da Cortona, l'Arte, 1921, S. 189; Fokker, S. 166; Weingartner, S. 82. ^®) Dagobert Frey, Beiträge zur Geschichte der römischen Barockarchitektur, Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 1924, III., S. 25. Durch die gleichen. Merkmale unterscheidet sie sich auch von der Fassade von Sta. Annunziata in Genua, die Frey (siehe Fußnote 12) als Vorbild heranzieht. 51

A. Gaudi und die Kirche zur HL Familie (Sagrada Familia) in Barcelona (Dazu die Abbildungen 20, 21, 22) Von M. J. C o 1 o m, Barcelona Barcelona ist vielleicht als die Wiege des „Ju gendstiles" zu bezeichnen. Der geniale A. Gaudi hat dieser Stadt .sein Gepräge gegeben. Seine For menwelt, Produkt moderner technischer Mittel, tropisch wuchernd, wild und bizarr, aber auch lebendig glühend, ausdruckstark und fesselnd, birgt Elemente maurischer, gotischer und RenaissanceKunst, neben sehr viel Persönlichstem. Sie ergreift Straßenzüge, Parkanlagen, Villen und gipfelt in dem wahrhaft grandiosen Traum-Fragment der Kirche der Fleiligen Familie. Betritt man Barcelona, sei es von der Seeseite her oder vom Osten, so kann man inmitten des Häusermeeres dieser glänzen den Stadt sofort die vier Türme der Kirche •Sagrada Familia ausnehmen. Sie erheben sich gleich vier Zypressen, schlank und hoch, als ob sie unsere Erde mit dem klaren Himmel verbinden wollten, als ob sie den Himmel durchstoßen und aufschlitzen woll ten, um so uniser Gebet noch besser zu über mitteln. Der Beginn des Baues der Sühnekirche zur Heiligen Familie geht in das Jahr 1882 zurück, auf die Initiative von D. Jose Ma. Bocabella. Die Ausführung wurde dem Architekten Francisco de Villar übertragen, der einen Plan im gotischen Stil entwarf, wie es dem Geschmacke seiner Zeit ent sprach. Er begann mit dem Bau der Krypta. Ein Jahr später wurde Villar seiner Steile enthoben und die Aufgabe an An tonio Gäudi übertragen. Er war damals noch jung (30 Jahre), doch sehr geistreich und von solch künstlerischen und ästhe tischen Auffassungen, daß seine Genialität sofort aus diesem Werke offenbar wurde. Gaudi beendete die Krypta, aber schon mit vorteilhaften Abänderungen des ur sprünglichen Planes, mit größerer Höhe, besserer Durchlüftung. Es folgten die Ar beiten an den sieben Kapellen der Apsis, und obwohl sie sich so glücklich an den gotischen Stil anschließen, daß wir sagen könnten, die Apsis ist allein nach gotischen Prinzipien gebaut, so ist der Entwurf sei nem Wesen nach doch ganz persönlich. Gaudi kommt mit dem Fortschreiten seiner Studien und Projekte schließlich zu einem vollständig originellen Stil. Er ersinnt eine gewaltige Kirche, so groß, daß er es selbst einsehen mußte, daß er seinen Bau nicht mehr vollendet sehen würde, auch nicht die nachfolgende Generation, aber das hinderte ihn nicht, sein Werk aufzunehmen. Gaudi kennt alle großen Kathedralen Europas gründlich, ihre Schönheit, ihre Geschichte, ihre Wechselfälle, aber er be gnügt sich nicht mit dien Lösungen, die für bestimmte Stile im Laufe der Zeit gültig waren. Er bewundert ihre Geschicklichkeit, aber er trifft auch auf die schwachen Stel len dieser Lösunigen, die er zu überwinden trachtet. Bei allem Sinnen auf neue For men, neue Lösungen, die seinem großen künstlerischen Konzept entsprechen, sucht er vor allem nach der mathematischen For mel, die allem zugrunde liegt. Er kommt auf diese Weise zu eigenartigen Formen mit parabolischen und hyperbolischen Ober flächen, zu einer besonderen Art, Strebe bögen und Mauern zu unterdrücken, um der Kirche mehr Helligkeit zu verleihen, Teile des Baues unabhängig voneinander zu machen aus Vorsicht vor möglichen Be schädigungen. Er konzentriert alle Lasten, z. B. die Gewölbe, nicht auf die äußeren Mauern, sondern auf die Säulen im Innern, die die Kraftlinien sammeln mittels Rip pen, ähnlich den Ästen der Bäume, aber ihre gesammelte Kraft so gut lokalisieren, daß die Säulen (die leicht geneigt stehen) schlank und dünn sein können. Um eine Vorstellung davon zu geben, sei bemerkt, daß die Säulen der Vierung, die die Mittelkuppel zu tragen haben, ein Ge wicht von 4028 Tonnen aushalten müssen, bei einem Durchmesser von 1.8 Meter. Alle diese architektonischen und mechanischen Fortschritte waren, wie wir schon gesagt haben, schon vorher erdacht und so gelang es ihm, uns ein Werk zu schenken, das wir auch heute noch als modern betrachten und als Grundlage eines zukünftigen Stiles. Gaudi konstruiert keine flachen Fassa den, sondern er baut so, daß die Massen sich im Räume, in den drei Dimensionen vereinigen. Nach ihm ist eine architekto nische Schöpfung nur dann schön, wenn die Vollkommenheit in der Lage, im Räume 52

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