Man kann die erste Hälfte unseres Jahr hunderts mit gutem Recht als eine Epoche einer Renaissance des Archaiischen und Primitiven bezeichnen, gewissermaßen als geistiges Gegengewicht gegen die unheim liche technische Verfeinerung unserer Zivi lisation. Diese „Wiedergeburt" reicht wohl über weite Strecken mehr oder weniger naiven Formgutes und gewellter Reduktion auf die Urelemente bis zur völligen Atomisierung im Dadaismus, in die Traumwelt des Surrealismus, bis zum Aufbau einer gegenstandsfreien, sogenannten abstrakten Bildwelt. Nicht nur manchen Psychologen erscheint allerdings diese gewaltige Aktivierung von Primitivschichten und des Unterbewußten im Menschen bedenklich. Daß derartige Kräfte auf-, und wenn man will, ausgebro chen sind, steht aber außer Zweifel. Sie einfach insgesamt als dämonisch ban nen und vernichten zu wollen, für manche verlockend und nicht zuletzt für solche, die die Welt nach ihrem bequemen Schema zu rechtfrisiert haben möchten, verbietet die Mahnung des Gleichnisses vom Unkraut und Weizen. So bleibt die Aufgabe der Scheidung und Sichtung der Kräfte und Geister. Es mag erstaunlich erscheinen, daß der Historismus der kirchlichen Kunst des I9und 20. Jahrhunderts gar nicht im kirch lichen Boden wurzelt, es handelt sich viel mehr um einen Einbruch der „Welt" in den kirchlichen Raum. Umgekehrt ist vieles an der neueren Kunst, die oft unberechtigt und ungestüm an die Pforte der Kirche zu po chen scheint, in der Wurzel christlicher als der leere Formenapparat des Historismus. Die neue Glasmalerei ist nun seit einem Menschenalter eine nicht zu übersehende Tatsache geworden — analog dazu steht ein wachsendes vertieftes Verständnis der alten Werke in dieser Zeit. Das monumen tale Glasbild ist dem Umfang nach wenig stens, wenn nicht an künstlerischer Bedeu tung der Bildschmuck neuer Kirchen und erneuerter alter Kirchen, wie ein Kenner der Situation im mitteleuropäischen Räume, das gleiche dürfte auch für Westeuropa gelten, bei den letzten Salzburger Hochschulwochen hervorgehoben hat. So mag es berechtigt erscheinen, dieser Entwicklung im einzelnen noch genauer nachzugehen. Kreuz über Schlangen Von Dr. Robert Braun, Upsala (Dazu die Abbildungen S, 6) Es gehört zum Zauber einer Wanderung durch Schweden, daß man unvermutet einem mit Runen beschriebenen und reich lich verzierten Stein begegnet. Einsam steht er an der Landstraße oder mitten im Acker oder am Waldrand: sein bläulich schim mernder, vorn zur Fläche zubehauener Granit ist überflogen von Schatten der Bir ken- und Eschenblätter, umstanden vom Dunkel des Nadelwaldes, — immer einbe zogen im die mütterliche Landschaft des Nordens. Trotz großer Variationen ist es immer ein gleiches Bild: die Vorderseite erfüllt von den Schlingen eines Ornaments, einer oder vieler Schlangenleiber, an denen man Köpfe mit mandelförmigen Augen, hervor gestreckte Füße mit Klauen oder einen auf gestellten Schwanz unterscheiden kann, in welchen ein Drachenmaul hirueinbeißt. Das Bild, das ohne Schwierigkeit eine gesetz liche Ordnung im Aufbau erkennen läßt, erweist sich entweder als Rahmen oder Träger des Spruchbandes: zwischen zwei Linien verläuft es mit den Haken, Blit zen, Sternen, Pfeilen, Kreuzchen, Galgen kreuzen der Runeninschrift. Die Schlingen verteilen sich rhythmisch, manchmal symmetrisch, meist unsymme trisch. Oft scheint es, als ob der Meister einen geradezu verzweifelten Versuch machte, diese Verwicklung zu lösen, manch mal wieder beschwingt eine barocke Leich tigkeit das Ganze, die aus dem Vollen zu schöpfen scheint. Merkwürdig sind die Tiere und Tierelemente, die für das Orna ment verwendet werden. Man findet oft eine einzige Gestalt, das „Runensteintier", wie ein hohes Trojanisches Pferd eingeflochten in wildwucherndes Rankenwerk, wie auf
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