Christliche Kunstblätter, 92. Jg., 1954, Heft 1

sprach über „Die Malerei der Gegenwart" mit einem ernsten und klaren Satz den „richtung weisenden" Abschluß zu geben vermochte. Gerade ein Mann der Wissenschaft, der sich der Aufgabe widmet, ein unverfälschtes Bild der Grundurkunde des „A11 e n Wahren" zu gewinnen, konnte dem Suchen der modernen Kunst die eigent liche „Essenz" abgewinnen, indem er das Ringen des Künstlers unserer Zeit einordnete in das große Suchen, das vom Physischen zum Metaphysischen strebt. Wie wach das Interesse für die Fragen der Ge genwartskunst ist, zeigte sich schon daran, daß der große Festsaal der Grazer Handelsakademie, in den der Steirische Akademikerverband zu klären der Aussprache eingeladen hatte, überfüllt war. Prof. Dr. Reint haier konnte in seinem Gruß wort darauf hinweisen, daß dies schon die zehnte der Analyse der geistigen Situation unserer Zeit gewidmete Veranstaltung ist. Hofrat Univ.-Prof. Dr. Coudenhove grenzte die Möglichkeiten einer Diskussion klug dahin ab, daß es darum gehe, die Standpunkte darzulegen und von verschie denen Gesichtswinkeln aus zu beleuchten, um da mit die Anregung zum Nachdenken zu geben. Es ging dann im wesentlichen um Sinn und Berechti gung „abstrakter" Malerei. Als „Konservativer" im Sinne des Bewahrens dessen, was bewahrenswert ist, eröffnete Hofrat Dr. Semetkowski, Konservator durch Be rufung und Beruf, das Rundgespräch mit kunst geschichtlicher Rückschau und Erinnerungen an eigene „erschreckende" erste Begegnungen mit mo derner Kunst. In gescheiter Kennzeichnung der' Situation nacli den zwei großen Zusammenbrüchen unserer Zeit, wies er besonders darauf hin, daß sich für uns die Tragödie des Versagens bewährter Lebens- und Arbeitsformen ergeben hat und längst auch der einstige feste Zusammenhang zwischen Künstler und Auftraggeber zerbrochen ist, so daß sich eine Beziehungslosigkeit ergeben mußte, die dazu führte, daß die Kunst heute „Marktware" und eine Bilderausstellung eine „Kunstbörse" ge worden ist. Bezeichnendes Symptom ist für ihn die Zerstörung des Menschenbildes: die Körperteile werden neben- und hintereinander ausgebreitet. Statt des Abbildes der Natur wird ein Farbenund Formenspiel gegeben. Es geht die Fähigkeit verloren, das ,,Wirkliche" zu gestalten. ■ Und es ergibt sich die Frage, ob bei so vielen Erschei nungen der modernen Malerei noch die Würde des Menschen berücksichtigt wird. Dem „Laudator temporis acti" gab als Schaf fender Prof. Fritz Silberbauer zu bedenken, daß es die Würde des Menschen und des Künst lers sei, das Schöpferische in seinen verschiede nen Arten zu erkennen und sich ihm zu „stellen". Das ,,Abstrakte" in der Malerei sei keineswegs „chaotisch", es werde das Organische nicht zer stört, sondern mit der Auflösung in die Grund formen durchforscht. Losgelöst von „Stimmungen" suche der Künstler das Wesen zu erkennen und zu klarer Disposition des Gestaltens zu gelangen. Denen, die den Standpunkt des Beharrens nicht preisgeben möchten, wurde entgegengehalten, daß die Kunst ein Lebendes sei, und der Künstler ein Recht habe, seinerseits die Frage zu stellen: ,,Wie steht es mit dem Beschauer?" Da der Künstler Grenzbe-zirke abtaste, könne der Beschauer nicht erwarten, daß es ihm ,,prima vista" möglich sein müsse, zu folgen; der Künstler könne nicht den Menschen entgegengehen, sondern nur seinem Ziel. Uberraschende Einsichten in das Wesen der Krise des künstlerischen Schaffens unserer Zeit vermochte Universitätsprofessor Dr. Sas-Zaloz i e c k y zu geben, als er nachwies, daß es parallele ,.Umbrüche" schon in früheren Stadien der Ge schichte gegeben hat. Er erinnerte an die Krise des anthropozentrischen Individualismus: an die Überwindung des menschbezogenen antiken Welt bildes durch ein universales gottbezogenes Welt bild. Hier gewann das Rimdgespräch sein festes geistiges Format und sein Schwergewicht. Es wurde an Bildern sakraler Kunst geradezu frap pierend deutlich, wie sich aus der radikalen Ab lehnung des individuell- und zeitbedingten „Ge genständlichen" schon in den ersten christlichen Jahrhunderten die Auflösung ins Flächig-Orna mentale ergibt: die Abkehr von der anthropomorphen Form, die Verneinung des SinnlichAnthropozentrischen und die Hinwendung zu einer universal-sakralen Kunstsprache, die auch das „Abstrakte" sucht. Als ein „Zertrümmerer" er scheint in diesem Sinne der große Origines, aber er bringt auch das große Neue: das über den Din gen stehende Weltbild. Aus dieser Schau konnte echte Erkenntnis ge wonnen werden: das ,.Abstrakte" kann nicht ohne weiteres als ..entartet" betrachtet werden und auf der anderen Seite kann die „sinnliche" Kunst nicht das Privilegium der Alleingültigkeit für sich in Anspruch nehmen. Es vollzieht sich heute ein ganz ähnlicher Prozeß wie einst: Altes wird zerschla gen, aber auch der Weg für Neues geöffnet. Zer trümmert wird die „naturbezogene" subjektive Kunst des 19. Jahrhunderts, aber es tut sich auf die Pforte für die geistige Wiedergewinnung objekti ver Werte, die — und dies ist das Bleibende — noch immer aus dem Christentum kommen. Einen festen Boden fand nach diesen Darlegun gen Prof. S z y s k o w i t z, als er nun wieder un ter den Aspekten des schaffenden Künstlers von dem Suchen dessen, der sich „nicht sattsehen" kann, nach dem „Sinn-Bild" sprach, das ihm mehr ist als das „Abbild". Aus dem „Gesetzten" schrei tet der Künstler fort in ein ,,neu zu Setzendes", es geht ihm um den „Durchbruch", nicht um den „Bestand". Er drängt zu den Grenzen des „nicht Normalen". Nicht aber will der heutige Künstler zerstören, sondern zerlegend zu einer neuen Ord nung gelangen. Und auch das „Ärgernis" ist ihm treibende Kraft. Schönste und treffendste Illustra tion zum Rundgespräch wurde Prof. Wagulas Film „Reflexe", in dem das Spiel der Lichter die Klein welt der Natur hintergründig beleuchtete. Die Diskussion konnte, wie zu erwarten war, die Kluft zwischen den Standpunkten derer, die Kunst nur genießend empfangen wollen, und jener, die sich der Kunst zu ,,stellen" bereit sind, nicht über brücken. Aber es wurde — und das ist von höch ster Bedeutung — zum Nachdenken aufgerufen. .Kleine Zeitung", Graz, 1954, Nr. 19. 7. Jahrgang. E. C. 31

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2