Christliche Kunstblätter, 92. Jg., 1954, Heft 1

nicht „naturgetreu" sind. Kunst darf nicht naturgetreu sein. Vielmehr: je naturgetreuer das Werk eines Künstlers ist, ein Porträt zum Beispiel, desto weiter ist es von: echter Kunst entfernt. Kunst will nicht die Welt wiedergeben, wie sie ins Auge fällt,, sondern wie der Künstler sie sieht. Der aber hat von Gott eine besondere Berufung bekommen, das heißt auch einen b e s o nderenBlick. Dadurch sieht er mehr als ein Nichtkünstler. Er sieht gleichsam hinter die Dinge. Er sieht die „Seele" der Dinge und sucht sie in seinem Werk zu gestalten. Ahmte er nun nur die Natur nach wie eine einfache Photographie, dann wäre nichts Besonderes geschehen. Ebensowenig, wie ein Mensch durch sein Gesicht schon die' hinter dem Gesicht liegende Seele zeigt, verrät auch die Natur schon in dem, was jeder sieht, ihre Seele. Der Künstler aber sucht und sieht sie. Wenn er sie nun ge staltet, so muß er vieles, was sich dem ein fachen Auge in der Natur bietet, weglassen. Dadurch kommt es, daß Kunstwerke nicht auch „naturgetreue" Werke sein können. Was nun der echte Künstler im Geiste ge schaut, das quält ihn so lange, bis er es in einem Werk, einem Kunstwerk, wieder gegeben hat. Hier also ist eine echte Not, die nach einer Wende verlangt. Aber auch für denjenigen Menschen, der nicht selber Künstler ist, ist Kunst eine Notwendigkeit. Kunst kommt von Können. Wichtiger aber ist es, zu begreifen, daß jedes echte Kunstwerk etwas künden will, nein, nicht etwas, sondern letztlich Gott. Wenn wir Kunst sagen, meinen wir immer zunächst das Schöne. Alles Schöne weist auf ein ewiges Schöne hin, also auf Gott; denn Gott ist nicht nur die ewige Wahrheit und Güte, sondern auch die ewige Schönheit. So meint es doch wohl das Lied; „Schönster Herr Jesus" mit den Worten „Alle die Schönheit Himmels und der Erde ist vereint in Dir allein". So also ist Kunst nicht mehr und nicht weniger als ein WegzuGott. Jeder aber weiß es, wie schwer es ist, im Gelärme des alltäglichen Lebens Gott n i c h t zu verlie ren. Da kann ein echtes Kunstwerk, das die Schönheit ausstrahlt, an dem man sich freut, eine Wohltat bedeuten, insofern es einen auf Gott, die ewige und unveränder liche Schönheit, den Ursprung alles Schönen, hinlenkt. Ja, es kann bisweilen ein Kunstwerk in diesem Zusammenhang wichtiger sein als die gescheiteste Predigt, einfach deshalb, weil es manchmal leichter ist, durch ein Kunstwerk als „Bild und Gleichnis" zu den göttlichen Wahrheiten vorzustoßen als durch eine Fülle von Be griffen in einer gelehrten Predigt. Es ist doch so, daß den Hörern eine bildhafte Predigt mehr zu geben vermag als eine Begriffspredigt. Deshalb predigte der Herr auch selber vorzüglich in „Bildern und Gleichnissen". Weil die echten Kunstwerke Predigten in Bild und Gleichn i s sind. Kündungen der göttlichen Wahr heiten gleichsam im Kleid der Schönheit, deshalb sind sie auch für den Nichtkünstler eine Notwendigkeit. Deshalb lohnt es sich also auch, sich eingehender mit der Kunst zu beschäftigen. In einer Reihe von Artikeln wollen wir an dieser Stelle den Versuch machen, eine breitere Schicht mit der Kunst der ver schiedenen Zeitepochen bekannt zu machen. Es kommt uns dabei nicht auf ein erschöp fendes Bild an, sondern auf einige grund legende Gesichtspunkte. I. Die Kunst der frühen Christen Dionysius Aeropagita schreibt: ,,Wenn der Entschlafene das gottgefällige Leben mit Seele und Leib geführt hat, so wird auch der Leib zugleich mit der Seele ein Gegenstand der Verehrung sein, weil er gemeinsam mit ihr im heiligen Kampf mit gestritten hat. Deshalb gewährt ihr der ge rechte Gott im Verein mit ihrem Leibe die ihr entsprechende Vergeltung, nach dem er mit ihr den Weg des heiligen oder auch des entgegengesetzten Lebens gewandelt ist und sich mit ihr daran beteiligt hat." Aus diesen Worten eines frühchristlichen Heiligen geht hervor, wie sehr auch der Leib des Men schen, und zwar als das Gefäß der Seele, den ersten Christen als verehrungswürdig galt. Am Leib ja vollzieht die Kirche sinn bildhaft segnend und saltend, was an gött licher Gnade der Seele zuteil wird. Die Lei ber netzt das reinigende Wasser der Taufe zum Zeichen dafür, daß die Seele entsündet ist, und das heilige Öl erfahren sie vielfach als Stärkung der Seele zum Kampf für Gott. In sinnvoller Feier und in ernsten Gebeten übergibt daher auch die Kirche die Leiber der Toten der bergenden Erde, daß sie langsam und ohne Menschengewalt wie-

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