\ i -•W' CHRISTLICHE KUNSTBLÄTTER 92. JAHR 19 5 4 HEFT 1
CHRISTLICHE KUNSTBLÄTTER Inhalt SEITE Der Christ und die Kunst Doz. Dr. Leonhard Küppers, Düsseldorf 1 Wiedergeburt der Glasmalerei Prof. A. Stifter, Linz ^ Kreuz über Schlangen Dr. Robert Braun, Upsala 6 Die Flechtbandplatten zu St. Martin in Linz Prof. E. Schaffran, Wien 10 Der Stuckmeister der Lambacher Stiftskirche Dr. Walter Luger, Lambach 14 Die Himberger Pfarrkirche Dr. Franziska Schmid, Wien 17 DieSeckauer„Nikopoia" Dr. P. Benno Roth, O. S. B., Seckau 21 DasForum Gedanken aus den Vorträgen der Salzburger Hochsdiulwochen 1953 zur Lage im modernen Kirdienbau . 27 Kunstdiskussion auf den Salzburger Hochsdiulwochen 29 Um die Problematik der Kunst unserer Zeit 30 Wir stellen vor 32 Berichte Die jüngsten frühchristlichen und frühmittelalterlichen Ausgrabungen in Bisdiofshofen und Klosterneuburg 32 Kunstchronik aus Deutschland 33 Kunstnachrichten aus Italien 35 Nachrichten aus allerWelt 35 Zuschriften an die Redaktion Handwerk und wir 38 Buchbesprechungen 38 92. Jahr 1954 Heft I CHRISTLICHE KÜNSTBLÄTTER, Eigentümer, Verleger und Herausgeber: Diözesan-Kunstverein, Linz a.d.D., Herrenstraße 19. — Postscheckkonto Wien 26.090.— Der Jahrgang besteht aus 4 Heften. —Schriftleiter: Prof. Dr. Norbert Miko, Linz, Petrinum. — Druck: Jos. Feichtingers Erben, Linz, Hauptplatz 18. — Klischees: Franz Krammer, Linz. Bezugspreis für den ganzen Jahrgang: 40 S, für das deutsche Bundesgebiet 8 DM, für das übrige Ausland 2 $.
Der Christ und die Kunst Von Doz. Dr. eonh ard Kii ppe r,s, Düsseldorf (Dazu die Abbildung i) Warum Kunst? Vor dem Schaufenster einer modernen Galerie stehen zwei Frauen. Sie betrachten Bilder des französischen Malers Signac. „Eigentlich ganz schön", sagte die eine. ,,Sicher", sagte die andere, „aber was ver stehen wir schon davon! Dafür sind wir zu dumm. Und außerdem, wer kann sich so etwas kaufen! Das ist nichts für unsereinenDas ist etwas für Leute mit Geld. Komm!" Sie gehen weiter und stehen dann lange vor dem Schaufenster eines Damenkonfektions ladens. Ich betrachte weiter die Gemälde von Signac und mache mir meine Gedanken. Daß da etwas Besonderes ist, vielleicht sogar, daß da in den Bildern von Signac Kunst ist, mochten die beiden Frauen geahnt haben. Aber ist es wirklich so, daß Kunst nur eine Angelegenheit für die Rei chen ist oder für eine bestimmte Sorte gei stiger Feinschmecker? Die Ansicht ist so sehr verbreitet, daß breite Schichten des Volkes geradezu eine Scheu davor haben, echte Kunst in die Zimmer zu hängen. Es ist im Grunde eine Scheu davor, sich damit über die andern zu stellen, etwas Beson deres sein zu wollen. Und so bleiben sie beim billigen Kunstersatz, beim Kitsch. Eine andere sehr weitverbreitete' Auffas sung ist die, daß Kunst nichts anderes sei, als eine Verschönerung des Le bens, wobei es dem einzelnen überlassen bleibt, davon Gebrauch zu machen oder nicht. daß sich „Fachleute" finden, die eine ebenso große Liebe wie Geduld aufbringen, die Kinder des Volkes zur Kunst hinzuführen, ihnen gleichsam die Augen zu öffnen. Daß weite Kreise des Volkes, auch des christ lichen Volkes, keine blasse Ahnung von Kunst haben, beweist keineswegs ohne wei teres eine mangelnde Intelligenz. Wie sollte ein Arbeiter, dessen Tag randvoll mit Ar beit und Sorgen um das tägliche Brot aus gefüllt ist, schließlich von selber noch zur Beschäftigung mit Kunst kommen! Es liegt vielmehr daran, daß man ihm etwas vorenthält, was andern von der Gunst ihrer Verhältnisse her leichter zugängig ist, auf das aber auch e r ein echtes Anrecht hat; denn Kunst gehört — als ein ganz bestimm ter geistiger Bereich — zum Leben. So lange es Menschen gibt, gibt es auch schon Kunst, mag sie in den Anfängen auch viel von der rührenden Unbeholfenheit der Kin dermalereien an sich gehabt haben. Der Mensch ist ja auch nicht immer das voll kommene Gebilde gewesen, als das wir ihn heute kennen. Hier sind zwei böse Irrtümer. Es gibt keine „Kunst für die Massen", aber es gibt sehr wohl eine „Kunst dem Volke", besser eine Kunst für das Volk. Gewiß ist Kunst nichts Leichtes. Man muß sich schon ein wenig dabei anstrengen. Aber wo in aller Welt steht geschrieben, daß Volk gleich Dummköpfe wäre, daß nicht vielmehr bis in alle Schichten und Kreise des Volkes hinein soviel geistige Fähigkeit wäre, daß nicht auch etwas von echter Kunst begrif fen werden könnte. Es kommt darauf an, Kunst also ist keine bloße „Verschöne rung des Lebens", kein privater Luxus also. Sie ist vielmehr so etwas wie eine Notwen digkeit. Das aber heißt ganz klar Wende der Not. Man denke sich einen Menschen, der gleichsam „Hirn und Herz" voller Ge danken hätte, aber weder sprechen noch schreiben könnte, um diese Gedanken aus zudrücken! Wäre der nicht wirklich in Not, in einer Not, die gleichsam nach einer Wende schrie! Wäre hier die Sprache nicht eine klare Not-Wendigkeit? Ähnlich ist es bei der Kunst. Auch sie ist eine Notwendig keit! Zunächst für den Künstler. Er hat keineswegs die Aufgabe, die Natur in einem Gemälde oder in einer Holz-, Marmor-, Bronze- oder Tonfigur so wiederzugeben wie sie jeder sehen kann. Das wäre wie eine Photographie; und Kunst hat mit der Photographie nichts zu tun. Das meinen zwar sehr viele, weshalb sie sich von vorn herein von solchen Werken abwenden, die 1 1 .-.ri riv .ii
nicht „naturgetreu" sind. Kunst darf nicht naturgetreu sein. Vielmehr: je naturgetreuer das Werk eines Künstlers ist, ein Porträt zum Beispiel, desto weiter ist es von: echter Kunst entfernt. Kunst will nicht die Welt wiedergeben, wie sie ins Auge fällt,, sondern wie der Künstler sie sieht. Der aber hat von Gott eine besondere Berufung bekommen, das heißt auch einen b e s o nderenBlick. Dadurch sieht er mehr als ein Nichtkünstler. Er sieht gleichsam hinter die Dinge. Er sieht die „Seele" der Dinge und sucht sie in seinem Werk zu gestalten. Ahmte er nun nur die Natur nach wie eine einfache Photographie, dann wäre nichts Besonderes geschehen. Ebensowenig, wie ein Mensch durch sein Gesicht schon die' hinter dem Gesicht liegende Seele zeigt, verrät auch die Natur schon in dem, was jeder sieht, ihre Seele. Der Künstler aber sucht und sieht sie. Wenn er sie nun ge staltet, so muß er vieles, was sich dem ein fachen Auge in der Natur bietet, weglassen. Dadurch kommt es, daß Kunstwerke nicht auch „naturgetreue" Werke sein können. Was nun der echte Künstler im Geiste ge schaut, das quält ihn so lange, bis er es in einem Werk, einem Kunstwerk, wieder gegeben hat. Hier also ist eine echte Not, die nach einer Wende verlangt. Aber auch für denjenigen Menschen, der nicht selber Künstler ist, ist Kunst eine Notwendigkeit. Kunst kommt von Können. Wichtiger aber ist es, zu begreifen, daß jedes echte Kunstwerk etwas künden will, nein, nicht etwas, sondern letztlich Gott. Wenn wir Kunst sagen, meinen wir immer zunächst das Schöne. Alles Schöne weist auf ein ewiges Schöne hin, also auf Gott; denn Gott ist nicht nur die ewige Wahrheit und Güte, sondern auch die ewige Schönheit. So meint es doch wohl das Lied; „Schönster Herr Jesus" mit den Worten „Alle die Schönheit Himmels und der Erde ist vereint in Dir allein". So also ist Kunst nicht mehr und nicht weniger als ein WegzuGott. Jeder aber weiß es, wie schwer es ist, im Gelärme des alltäglichen Lebens Gott n i c h t zu verlie ren. Da kann ein echtes Kunstwerk, das die Schönheit ausstrahlt, an dem man sich freut, eine Wohltat bedeuten, insofern es einen auf Gott, die ewige und unveränder liche Schönheit, den Ursprung alles Schönen, hinlenkt. Ja, es kann bisweilen ein Kunstwerk in diesem Zusammenhang wichtiger sein als die gescheiteste Predigt, einfach deshalb, weil es manchmal leichter ist, durch ein Kunstwerk als „Bild und Gleichnis" zu den göttlichen Wahrheiten vorzustoßen als durch eine Fülle von Be griffen in einer gelehrten Predigt. Es ist doch so, daß den Hörern eine bildhafte Predigt mehr zu geben vermag als eine Begriffspredigt. Deshalb predigte der Herr auch selber vorzüglich in „Bildern und Gleichnissen". Weil die echten Kunstwerke Predigten in Bild und Gleichn i s sind. Kündungen der göttlichen Wahr heiten gleichsam im Kleid der Schönheit, deshalb sind sie auch für den Nichtkünstler eine Notwendigkeit. Deshalb lohnt es sich also auch, sich eingehender mit der Kunst zu beschäftigen. In einer Reihe von Artikeln wollen wir an dieser Stelle den Versuch machen, eine breitere Schicht mit der Kunst der ver schiedenen Zeitepochen bekannt zu machen. Es kommt uns dabei nicht auf ein erschöp fendes Bild an, sondern auf einige grund legende Gesichtspunkte. I. Die Kunst der frühen Christen Dionysius Aeropagita schreibt: ,,Wenn der Entschlafene das gottgefällige Leben mit Seele und Leib geführt hat, so wird auch der Leib zugleich mit der Seele ein Gegenstand der Verehrung sein, weil er gemeinsam mit ihr im heiligen Kampf mit gestritten hat. Deshalb gewährt ihr der ge rechte Gott im Verein mit ihrem Leibe die ihr entsprechende Vergeltung, nach dem er mit ihr den Weg des heiligen oder auch des entgegengesetzten Lebens gewandelt ist und sich mit ihr daran beteiligt hat." Aus diesen Worten eines frühchristlichen Heiligen geht hervor, wie sehr auch der Leib des Men schen, und zwar als das Gefäß der Seele, den ersten Christen als verehrungswürdig galt. Am Leib ja vollzieht die Kirche sinn bildhaft segnend und saltend, was an gött licher Gnade der Seele zuteil wird. Die Lei ber netzt das reinigende Wasser der Taufe zum Zeichen dafür, daß die Seele entsündet ist, und das heilige Öl erfahren sie vielfach als Stärkung der Seele zum Kampf für Gott. In sinnvoller Feier und in ernsten Gebeten übergibt daher auch die Kirche die Leiber der Toten der bergenden Erde, daß sie langsam und ohne Menschengewalt wie-
der werden, was sie im Ursprung waren, .Staub. Es ist auch seit jeher Wunisch der Kirche, daß die Lebenden die Stätte der Toten sorgsam behüten. Das und die natür liche Sehnsucht der Menschen, die Bande' der Liebe über den Tod hinaus zu erhalten, führten in allen Zeiten dazu, die Gräber der Toten zu schmücken. So war es auch bei den früheren Christen. Ihre Kunst ist vorzüglich G r a b k u n s t, und da sich die Gräljer der Verstorbenen in der christ lichen Frühzeit, vor allem in der Zeit der Christenverfolgung, in den Katakomben befanden, sprechen wir von K a t a k o mb e n k u n s t. Es handelt sich dabei um Wandgemälde in jenen unterirdischen Gän gen in Rom, in Syrakus, in Neapel, in Nordafrika und an manchen anderen Stel len, die bisweilen viele Kilometer lang waren. So mißt allein schon die kleine Ka takombe bei der Kirche der heiligen Agnes in Rom 1600 Meter und enthält 5763 Gräber. Die Gänge erweiterten sich oft zu größeren Kapellen, in denen sich außer rechteckigen Nischengräbern und quadra tischen Schiebegräbern die sogenannten Bogengräber befanden. Die Wände der Gänge, der Kapellen, die Verschlußplatten der Gräber und die Bogenfelder boten reich lich Gelegenheit zur Bemalunig. Dabei wurde der grobe Tuffboden vorher mit einem Vorputz von Marmorstaubmörtel überzogen. Auf den frischen Mörtel wur den die Farben aufgetragen. So kommt es, daß sie sich bis heute in ihrer Schönheit erhalten haben. Daß dabei die Farbe eine stärkere Rolle spielte als die Linie, ja daß die Malerei mit breitem PinseLstrich aus geführt wurde, wobei die Farben oft stark zerflossen, hängt zum Teil damit zus.ammen, daß die Maler für gewöhnlich Gehilfen der Totengräber, bei künstlichem und sehr schwachem Licht von öllämpchen arbeiten mußten. So kommt es auch, daß man heute manchmal an Gemälden vorbeigeht, weil das Auge sich nicht gleich zurechtfindet im Dunkel der langen Gänge. Jeder, der einmal in Rom die Katakomben besucht hat, kann, es feststellen. Die Kunst der frühen Christen kannte noch keinen sogenannten eigenen Stil. Man übernahm vielmehr den Stil der Zeit, wie er bis zum heutigen Tage noch erhalten ist an den Wänden der Fläuser des durch den Vesuvausbruch im Jahre 79 nach Christus zerstörten Pompeji bei Neapel. Von beson derem Interesse ist dabei der Gegens*t a n d, der dargestellt ist. Für die erste Zeit läßt sich mühelos fest stellen, daß die Christen die Katakomben gänge, die Grabkammern und Gräber mit den gleichen Gegenständen bemalten, die auch die heidnische Malerei der gleichen Zeit kannte. So finden wir Darstellungen der Jahres zeiten, der Traubenlese, der Obsternte und vor allem von Vögeln, Enten, Tauben, Pferden im Gerank von Blumen- und Blät tergirlanden. Man geht gewiß nicht fehl, wenn man annimmt, daß sich hier das christliche Bewußtsein von Gott als dem Urheber der gesamten Schöpfung und von Jesus Christus als dem Erlöser aller Krea tur künstlerisch ausdrückt. Als sich das Gebäude des christlichen Glaubens im drit ten Jahrhundert zu befestigen begann, zeigte sich das auch im den Gegenständen, die die Kunst darstellte. Aus dieser Zeit stammt die schöne Darstellung der Gottes mutter, die sich in der Katakombe der hei ligen Priszilla in Rom befindet. Maria ist in priesterlicher Flaltung und in priester lichem Gewand dargestellt, den Blick in die Ferne gerichtet, auf die Menschen hin, denen sie Mutter wurde, indem sie den Er löser gebar. Es handelt sich also hier um eine der frühesten wahrhaft großartigen Mariendarstellungen, die nichts ungesund Gefühlsbetontes hat, die Maria in ihrer großen Sendung auf das Menschen geschlecht hin. wiedergibt. Nun l>egann man auch Christus darzustellen, und zwar Chri stus direkt, in der machtvollen Herrlichkeit oder als Redner, der den Menschen die ewigen Wahrheiten verkündet. Das ist ein auffallender Fortschritt, wenn man bedenkt, daß bis zu dieser Zeit zwar auch biblische Szenen dargestellt wurden, vorzüglichst aus dem alten Testament, nicht aber der Flerr selber; höchstens Vorbilder für ihn, z. B. der heidnische Sänger Orpheus, der mit seinem schönen Gesang die wilden Tiere bezwang und der darauf hinweisen soll, daß Christus gleichsam mit dem Lied seiner erbarmenden Liebe, Sünde und Tod über wand. Als die Kirche noch einen weiteren Schritt hinein im die Welt tat, war auch das in den Gegenständen frühchristlicher Kunst zu spüren. Das geschah, als Kaiser Kon stantin der Große im Jahre 31^ dem Christentum die Freiheit gab. Damals erweiterte sich der Inhalt der in der Kunst
dargestellten Dinge dergestalt, daß man nicht mehr das Religiöse darstellte, sondern auch das Weltlich-Diesseitige. Man wandte das Interesse den Toten sel ber zu und stellte dar, was weltlich und ver gänglich an ihnen war, z. B. ihren Starud und ihren Beruf, ja schließlich sie selber, zunächst als Betende mit ausgebreiteten Armen, dann aber auch als Porträt. Es läßt sich hier eine wichtige Erkenntnis von der frühchristlichen Kunst her gewinnen, und die heißt so: je näher die Christen noch der leiblichen Gegenwart Christi auf Erden waren, desto klarer herrschten in der Kunst jene Themen vor, die an Christus erinner ten. Je mehr aber die Kirche Christi Sicher heit und Stärke in der Welt gewann, desto mehr kreisten die Themen der Kunst um den Menschen und um das Irdische. Das ist gleichsam ein Gesetz, das sich in allen Jahrhunderten und zu allen Epochen der Kunst wiederholen wird. Wiedergeburt der Glasmalerei Von Prof. A. Stifter, Linz (Dazu die Abbildungen 2, 3, 4) Den Kindern war es immer ein Fest, zum Oberlichtfenster der Flaustüre hinaufzu klettern und einen Blick durch die bunten Scheiben, in denen es nach altmodischer Manier verglast war, zu tun. Welche be glückende Verzauberung farbigen Lichtes wurde einem da doch zu teil! Da brannte auf einmal der benachbarte Garten in leuchtender Glut, sank, durchs andere Glasstück besehen, ins winterlich kalte Blau, blitzte dann wiederum im Son nenschein goldigen Lichtes, blühte in einem unvorstellbar dichtem Grün, um schließlich, durch das letzte Glasfeld betrachtet, im düsteren Violett zu liegen wie vor einem drohenden Gewittersturni. Und dabei war die Stunde dieses Spieles vielleicht ein trau riger, grauer Novembertag, der die bunte Fülle der Jahreszeiten, Feuersbrunst und Gewittersturm wunderbar vorüberziehen ließ. Dieses elementare Erlebnis intensiven far bigen Lichtes war einmal einer Zeit Anlaß einer ganz besonderen Kunstpflege ge worden. Leuchtende, transparente Mosaikfelder bunter Glasflächen, in Bleiruten bild- oder auch nur ornamentartig zusammengefaßt, schlössen die gewaltigen Fensteröffnungen ab, die der konstruktive Baugedanke des Ilochmittelalters an den Kathedralen er möglicht hatte. Wer einmal diese leuchtenden Tepptehe in französischen oder deutschen Domen ge sehen hat, wird diese Wunderwerke farbi gen Lichtes nicht mehr vergessen. Mit wel cher Intensität ist doch in diesen glühenden, jubelnden Farben von der Heilgeschichte berichtet worden! Nur bescheidene Splitter sind uns im Ver gleich daneben in der Fleimat erhalten ge blieben. Vom ältesten, dem winzigen Fen ster aus Weitersfeld in Kärnten, der Mar gareten-Legende, einst hinter dem Hoch altar der Stiftskirche zu Ardagger verbor gen und nun frei gemacht, den Folgen des Klosterneuburger Kreuzganges bis zu den Welser und Tamsweger Beständen, um nur einiges zu nennen. Die künstlerische Kraft dieser farben sprühenden Mosaikfelder mußte aber schwinden, sobald man die Gewalt und den Ausdruckswert der heraldischen Farbe in ihrer symbolischen Wirkung nicht mehr ein zusetzen wußte, weil der Blick nun unver wandt auf die Realistik des Gegenstandes gerichtet war. Es entsprach den Renais sancemenschen, mit aller Leidenschaft Wirklichkeitsnähe und Wirklichkeitstreue im Bilde zu suchen. Noch war es üblich, die Fenster der Dome und Kirchen bildhaft zu gestalten, doch drang in diese Tradition im mer ungestümer jener Weltgeist, dem sich die Natur großartig öffnete, gleichzeitig aber der Sinn für da.s wirkliche Kultbild immer mehr verschloß. Das Festhalten am kirchlichen Bildfen ster war nun nicht mehr ein Segen, was im Wesen künstlerisch aufgegeben war, konnte nur immer mehr verblassen, ja verkommen. Es blieb nur mehr die künstlerisch richtige Entscheidung offen, auf das bunte Fenster 4
in den Kiilträunien grundsatzlich zu ver zichten, wie es die Barockzeit getan hat. Die letzten Figufalfenster die entstanden, waren hingst blasse und stumpfe Glasflächen ge worden, durch reichliche Schummertöne blind gemacht. Nun paßte wirklich der sonst unzutreffende und irreführende Name „Glasmalerei", wo es sich doch in der Blüte zeit farbiger Fensterabschlüsse um eine echte Mosaikkunst mit transparentem Ma terial gehandelt hat, auf dem nur mit dem sogenannten Schwarzlot, einer undurch sichtigen Konturfarbe, sparsame Innen zeichnung aufgetragen wurde. Die Begeisterung für die mittelalterliche Kultur, die mit der Romantik einsetzte, suchte auch die Technik der figuralen und ornamentalen Glasfenster für den Sakral bau wieder lebendig zu machen. Es war eine echte Renaissance mittelalterlicher Kunst, die nun anhob. Ein Goethe spricht Worte höchsten Lobes über die Randzeichnungen im Gebetbuche des Kaisers Maximilian, und gerade über die weniger klassischen Züge, noch im i8. Jahrhundert, zwischen 1777 und 1793 hatte sein Jugendfreund Lerse an Grünewalds Isenheimer Altar Interesse ge funden, Fürst Pückler-Muskau, Freiheits kämpfer, Schöpfer eines neuen Gartenstiles und Weltreisender, entdeckt 1835 Grüne walds Erasmus und Mauritius. Napoleon hat Altorfers Alexanderschlacht nach Paris entführt, wo es Friedrich Schlegel 1803 im Restaurierungssaal des Louvre begeistert sieht. Es kommt die Zeit, da man in Wels aus echter Liebe zu dieser alten Kunst die Glasfenster der Stadtpfarrkirche allzu gründlich reinigt und erneuert. Um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts war das gewesen. Dieser Wille einer künstlerischen Wie dergeburt aus mittelalterlicher Wurzel, an alten Vorbildern, wo sie sich geboten haben, eifrig geschult, wurde aber höchst nach teilig durch die naturalistische Tendenz der Epoche durchsetzt. Das kaum zum Leben wiedererwachte Verständnis für den Sym bolgehalt der alten Glasfenster und ihren künstlerischen Stil wurde durch diesen Zug der Zeit gehemmt, der Weg zu einer Ent faltung dieses Kunstzweiges versperrt. Erst der Expressionismus mit seinem tie feren Erfassen früher, ausdrucksstarker Kunst half allmählich den sinnwidrigen Naturalismus der Glasmalerei des 19. und 20. Jahrhunderts überwinden, in der nun .sogar wie auf den gleichzeitigen Porzellan pfeifenköpfen das Photobildnis eingedrun gen war. Man wurde sich des Widersinnes trans parenter, naturgetreuer Bilder bewußt, bei denen das künstlerisch schönste Mittel, die elementare Leuchtkraft, der farbigen Glas tafeln unerwünscht sein mußte. Man fand nun perspektivische Tiefe der Bilder und jeden Versuch illusionistischer Malerei bei Glasfenstern für völlig unangebracht, wo doch die technisch notwendige Bleirute je der derartigen Versuche spottet, und wirk lich im Detail mühsam errungene Natur nähe brutal durchschneidet. Aber wie vieles leichter zu begründen ist als wieder abzuschaffen und die Verharrungstendenz oft an völlig sinnentleerten Formeln festhalten läßt, so blieb auch der Weg zu einer echten Wiedergeburt der alten Glasfenstertechnik beschwerlich ge nug. Unkritisch wurden vielfach hartnäckig bei der nun einmal gebildeten falschen An sicht über dieses Gebiet verharrt und die Fehlentwicklung nicht als solche empfun den. Die Besinnung eines Glasmalers auf die Blütezeit der mittelalterlichen Kunst, sosehr man diese auch anerkennen wollte, als Lehrmeisterin, wirkte geradezu als revo lutionär. Die Berufung nämlich auf das unnatura listische Prinzip früh- und hochmittelalter licher Bildkunst, die heraldische Farbe, die ornamentale Flächenhaftigkeit der Kompo sition, alle diese vom späteren Realismus verachteten Züge, glänzende künstlerische Mittel für die streng dem architektonischen Rahmen eingefügten Fensterbilder. Die platte Abbildungstendenz im natura listischen Sinne in der Kunst war aber nun doch seit dem Expressionismus endgültig erschüttert, die Wünsche nach einer un künstlerischen, völlig naturgetreuen Bild wiedergabe effüllte nun auch auf seine Art vorzüglich das Lichtbild. Nun konnte sich auch eine echte Erneuerung des künstleri schen Glasfensters wirklich durchsetzen. Auch machte sich zusehends eine ausge sprochene Vorliebe für das Ursprungsnahe, Elementare, Primitive aber Ausdrucks starke früher Formen allgemein geltend und eine zunehmende positive Wertung des Bildschaffens der Volkskunst, der Natur völker, der Sonntagsmaler und Kinder wurde .sichtbar.
Man kann die erste Hälfte unseres Jahr hunderts mit gutem Recht als eine Epoche einer Renaissance des Archaiischen und Primitiven bezeichnen, gewissermaßen als geistiges Gegengewicht gegen die unheim liche technische Verfeinerung unserer Zivi lisation. Diese „Wiedergeburt" reicht wohl über weite Strecken mehr oder weniger naiven Formgutes und gewellter Reduktion auf die Urelemente bis zur völligen Atomisierung im Dadaismus, in die Traumwelt des Surrealismus, bis zum Aufbau einer gegenstandsfreien, sogenannten abstrakten Bildwelt. Nicht nur manchen Psychologen erscheint allerdings diese gewaltige Aktivierung von Primitivschichten und des Unterbewußten im Menschen bedenklich. Daß derartige Kräfte auf-, und wenn man will, ausgebro chen sind, steht aber außer Zweifel. Sie einfach insgesamt als dämonisch ban nen und vernichten zu wollen, für manche verlockend und nicht zuletzt für solche, die die Welt nach ihrem bequemen Schema zu rechtfrisiert haben möchten, verbietet die Mahnung des Gleichnisses vom Unkraut und Weizen. So bleibt die Aufgabe der Scheidung und Sichtung der Kräfte und Geister. Es mag erstaunlich erscheinen, daß der Historismus der kirchlichen Kunst des I9und 20. Jahrhunderts gar nicht im kirch lichen Boden wurzelt, es handelt sich viel mehr um einen Einbruch der „Welt" in den kirchlichen Raum. Umgekehrt ist vieles an der neueren Kunst, die oft unberechtigt und ungestüm an die Pforte der Kirche zu po chen scheint, in der Wurzel christlicher als der leere Formenapparat des Historismus. Die neue Glasmalerei ist nun seit einem Menschenalter eine nicht zu übersehende Tatsache geworden — analog dazu steht ein wachsendes vertieftes Verständnis der alten Werke in dieser Zeit. Das monumen tale Glasbild ist dem Umfang nach wenig stens, wenn nicht an künstlerischer Bedeu tung der Bildschmuck neuer Kirchen und erneuerter alter Kirchen, wie ein Kenner der Situation im mitteleuropäischen Räume, das gleiche dürfte auch für Westeuropa gelten, bei den letzten Salzburger Hochschulwochen hervorgehoben hat. So mag es berechtigt erscheinen, dieser Entwicklung im einzelnen noch genauer nachzugehen. Kreuz über Schlangen Von Dr. Robert Braun, Upsala (Dazu die Abbildungen S, 6) Es gehört zum Zauber einer Wanderung durch Schweden, daß man unvermutet einem mit Runen beschriebenen und reich lich verzierten Stein begegnet. Einsam steht er an der Landstraße oder mitten im Acker oder am Waldrand: sein bläulich schim mernder, vorn zur Fläche zubehauener Granit ist überflogen von Schatten der Bir ken- und Eschenblätter, umstanden vom Dunkel des Nadelwaldes, — immer einbe zogen im die mütterliche Landschaft des Nordens. Trotz großer Variationen ist es immer ein gleiches Bild: die Vorderseite erfüllt von den Schlingen eines Ornaments, einer oder vieler Schlangenleiber, an denen man Köpfe mit mandelförmigen Augen, hervor gestreckte Füße mit Klauen oder einen auf gestellten Schwanz unterscheiden kann, in welchen ein Drachenmaul hirueinbeißt. Das Bild, das ohne Schwierigkeit eine gesetz liche Ordnung im Aufbau erkennen läßt, erweist sich entweder als Rahmen oder Träger des Spruchbandes: zwischen zwei Linien verläuft es mit den Haken, Blit zen, Sternen, Pfeilen, Kreuzchen, Galgen kreuzen der Runeninschrift. Die Schlingen verteilen sich rhythmisch, manchmal symmetrisch, meist unsymme trisch. Oft scheint es, als ob der Meister einen geradezu verzweifelten Versuch machte, diese Verwicklung zu lösen, manch mal wieder beschwingt eine barocke Leich tigkeit das Ganze, die aus dem Vollen zu schöpfen scheint. Merkwürdig sind die Tiere und Tierelemente, die für das Orna ment verwendet werden. Man findet oft eine einzige Gestalt, das „Runensteintier", wie ein hohes Trojanisches Pferd eingeflochten in wildwucherndes Rankenwerk, wie auf
/ dem Stein von Sala, dann wieder verwen det das Ranjkenwerk seinerseits souverän Tierelemente für den eigenen Aufbau. Sie erfüllen dort eine ästhetische Funktion: diese rhythmisch verteilten Schnauzen, Klauen, spiralförmigen Ansätze von Schen kelknochen, die sich zu Vorder- und Hin terbeinen verlängern. Ein dynamischer Zug geht über das unübersichtliche Geflecht. Es gibt nichts Unähnlicheres als etwa das Muster eines persischen Teppichs, das mit Symmetrie und Wiederholung arbeitet und dabei das Bild eines in sich ruhenden Zustandes erzeugt. Hier aber ist alles Be wegung, ja Aufbruch, und manchmal glaubt man angesichts dieser wilden Ornamentik vor einem Schlangennest zu stehen, aus dem, wie durch einen absichtlichen Tritt gereizt, die Reptilien von allen Seiten her vorschießen. Innerhalb dieses Durcheinander findet sich nur eine einzige Stelle der Ruhe, ein einziges Zeichen, das rmberührt über dem Gewoge schwebt wie der Stern des Meeres: das Kreuz. Es hat freilich eine ungewöhn lich ungefüge Eorm. Am nächsten kommt ihm vielleicht die Kombination des Johanniterkreuzes mit einem das Zentrum um rahmenden vierblättrigen Kleeblatt, das die unteren Teile der nach außen sich verbrei ternden Kreuzbalken miteinander ver bindet. Die meisten Inschriften sind entziffert und bedeuten, daß es sich um Grabmonu mente handelt. Ein Joger oder Efrid, ein Gunner, Ingjald, Illuge haten ihre Steine zur Erinnerung an einen verstorbenen Sigger oder Osten, Gunnars Mann oder Rodälfs Bruder, errichten lassen. An den kur zen Bericht schließt sich oft die Bitte „Gott möge seiner Seele helfen". Und dann folgt die Signierung des Meisters, der sich mit einem einleitenden „Aber" ausweist: „Aber Asmund hat den Stein bemeißelt." Statt Asmund geben sich auch andere zu erken nen: ödbärn etwa oder Värmunid, Gylle, Arbjörn, Torfast, Askill, Ulfkell oder die berühmten Livsten und öpir. Es gibt un gefähr 150 Namen dieser Kunst im Schwe den des elften Jahrhunderts. Einen Stein hat errichtet, der stehen kann, Balle, der rote, über dem Bruder ^ lautet eine der stolzen Inschriften, und der Rörebrostein von Smäland ist ein Zeugnis von rührender Sohnestreue: Dies Denkmal schuf Assar seinem Vater önd zu Ehren. Von allen war er am wenigsten Erevler. Gab den Armen, vergaß den Haß. An seinen Gott der Gute glaubte. Man darf sich durch die Runenschrift nicht verleiten lassen, den Runenstein als etwas Urgermanisches anzusehen. Er stellt eine späte Einrichtung dar. Zwar war es im Norden seit Jahrhunderten Brauch, steinerne Male über Gräbern zu errichten, aber sie waren Eelsenstücke ohne Inschrift; die „Bautasteine". Erst vom Beginn des elften Jahrhunderts an entwickelt sich die Sitte, ein großes, beschriebenes und verzier tes Monument zu setzen, das den Menschen überragt. Sie dauert doch nur bis zum Ende des Jahrhunderts, weil sie dann der von der Kirche eingeführte Friedhof entbehrlich macht. Es gibt etwa zweitausend solcher Steine in Schweden, davon ungefähr die Hälfte in Uppland, der Provinz, deren Hauptstadt Upsala ist. Die Kultur des Sveareiches hatte sich hier um das Heiligtum des Heiden tempels von Gamla Upsala versammelt. Man pilgerte aus ganz Skandivanien dort hin, um die Blutfeste zu feiern. Die hölzer nen Götterbilder von Odin, Tor und Frö, die in der Halle standen, wurden dann mit Blut bestrichen, und Priester sprengten aus Eimern Blut auf das Volk. In der Nähe die ses uralten Kultbodens verdichten sich auch die Runensteine. Es ist immer noch unenträtselt, was sich im Ornament des Runensteins verbirgt: man kann viele Elemente und viele Ein flüsse in ihm auffinden. Trotzdem bleibt die bestimmte Art der Anordnung, die Kon tur des Ganzen, etwas für den schwedischen Norden Typisches, das sich mit nichts an derem vergleichen läßt und auch trotz vie ler Variationen bei verschiedenen Meistern auf eine einheitliche Urform hinweist. Daß es sich dabei nicht um zufällige Aus schmückung handelt, sondern um eine Art kultische Mitteilung, kann kaum bestritten werden. Es kommt hinzu, daß Runensteine als Grabmonumente gedacht waren, die man
gern mit Symbolen ausschmückte. Schließ lich ist zu bedenken, daß die Kunst des Nordens zu die.ser Zeit allein auf das Orna ment beschränkt war und also in ihm die einzige Gelegenheit fand, sich auszuspre chen. Die Schlange, die hier eine so große Rolle spielt, erscheint bei vielen Völkern als Sym bol der Fruchtbarkeit, des Lebens und der Lebenskraft: oft im phallischen Sinn, oft als Symbol der Gesundheit und Wiederher stellung wie in der Schlange, die sich um den Stab des Äskulap oder der Hygieia windet. Auch bei den nordischen Völkern bedeu tet die Schlange Symbol der Fruchtbarkeit und des Lebens: der Archäologe Oskar Almgren hat dies unzweifelhaft bei schwe dischen Felsenzeichnungen nachgewiesen. Da die Runenschrift einem Grabstein galt, und meistens eine Bitte enthielt, so mag das Rahmenwerk eines solchen Spruchbandes ähnliches ausgedrückt haben: eine Art Le bensbeschwörung mit dem Geschlinge und der Bemalung von roten und schwarzen Farben. * Die Runenstein-Kultur hängt mit einem historischen Ereignis zusammen, das ,,Wikingertum" heißt. Im neunten Jahrhundert sammeln sich in Dänemark, Schweden und Norwegen Organisationen von Freibeutern, die die Küsten Hollands, Englands, Irlands, Frankreichs überfallen und verheeren und im Süden bis Gibraltar und Afrika, im Osten bis Nowgorod, an die Wolga und bis in das Kaiserreich Byzanz dringen. Der Anstoß zu dieser spätesten Völkerwande rung Europas, vor welcher die christlichen Völker der Küstenstriche erzitterten, mö gen Armut und Isolierung der nordischen Bauernkultur gewesen sein. Das Wikingertum ist ein verzweifelter Versuch, dem ge schichtlosen Zustand zu entrinnen, der den Nordmenschen zwar an eine mütterliche Natur band, aber vom übrigen Europa fern hielt. Etwas von diesem Ringen wetter leuchtet noch in Peer Gynts und Brands Kampf gegen ihre Mütter oder in Strindbergs verzweifelter Gegenwehr gegen müt terliche Übermacht, obgleich Ibsen und •Strindberg zugleich Dichter der Mutter sehnsucht sind. Immerhin: das aus Lust nach Beute sich entwickelte Großpiratentum der Wikinger, das Gewalttaten von unerhör8 tem Maß auslÖ.ste — wahre Rasereien"von Mord und Schändung — gehört zu den antimütterlichen Manifestationen, zu den Orgien der Männlichkeit in der Welt geschichte. Der Runenstein scheint nun in gewisser Hinsicht damit zusammenzuhängen. Vor seinem Auftauchen gab es ja im Norden nichts, was sich auf das Dasein außerhalb des täglichen Lebens bezog: keine Schrift, die Geschichte in Büchern aufzeichnete, keine Kunst, keine Plastik oder Architek tur, die Denkmäler von Stein der Nach welt hinterlassen konnte, sondern nur ein gewisses Kunsthandwerk, das sich in der Ornamentierung von Waffen, Schiffen, Ge brauchsdingen erschöpfte. Das Hauptmate rial war das Holz. Es war der Zustand von Naturbarbaren, deren Stämme und groß bäuerliche Fürsten einander bekämpften, ohne jemals die Einheit eines Reiches er reichen zu können. In dem neuen künstlerischen Ausdruck und Willen, zu überdauern, der sich im Runenstein kundgibt, manifestiert sich nun ein ähnliches Erwachen wie im Aufbruch der Wikinger Skandinaviens. Beider Er scheinungen hängen unzweifelhaft mitein ander zusammen. Die Schlangen und Dra chen der Ornamente entsprechen den Dra chen der Wikingerschiffe, und es ist auch kein Zufall, daß das berühmte Osebergschiff, das 1903 in der Nähe von Oslo aus gegraben wurde und dessen herrliche Schnitzereien an die Tierornamentik der Runensteine erinnern, einer Wikingerköni gin gehört hat. Zum erstenmal geschieht es im Norden des ersten Jahrtausends, daß man das An denken an Gefallene mit kurzen, aber feier lichen Worten dem Gedächtnis der Nach welt übergibt. So weisen manche Inschriften von schwedischen Bauerndörfern in große Historie. Der Stein von Kimstad erwähnt, einen Justen, der sich wahrscheinlich an der Wikingerflotte von Gudmund Stigitanson und Olav Tryggvasson beteiligt hat, die 991 in die Themse eingelaufen ist. Der Stein von Lyhundra berichtet von einem Sven, der in Jütland starb, ehe er die Flotte von Knut dem Großen von Dänemark 1015 nach England folgen konnte; der große Triumph der Wikinger, über das Inselreich zu herr schen, war dem schwedischen Bauernfürsten also nicht vergönnt. Der Stein von Ulunda erwähnt einen Horse, dessen Namen
man auch in der Runeninschrift des PiräusLöwen vermutet. Er steht heute vor dem Arsenal Venedigs. Oft läßt die Inschrift künftige Geschlech ter wissen, daß man für die Rettung der abgeschiedenen Seele einen Weg hat an legen, eine dauerhafte Brücke hat bauen lassen. Diese Botschaften an die Nachwelt, die der Römer in klarer Antiqua in Mar mor gemeißelt hat, übergibt der zur Ge schichte erwachte Nordländer .seinem Gra nit und stattet sie mit dem Geschlinge sei ner Schlangen und Drachen aus. Der Runenstein enthält aber auch die Spuren des zweiten Aktes in diesem histo rischen Drama. Die Schildmauern der wikingischen Drachenschiffe mögen wohl für die heranschwirrenden Pfeile der Ver teidiger undurchdringbar, die zuhauenden Schwerter der Invasionsheere unwidersteh lich und von einer solchen Schlagkraft ge wesen sein, daß jede Gegenwehr schnell er liegen mußte. Die Sieger konnten dann wohl die Klöster Irlands oder der englischen Inseln plündern, die Mönche morden, die Nonnen schänden und sie dann ins Feuer werfen, schließlich dem Land vernichtende Steuern auflegen. Aber: es waren doch nur Pj'rrhussiege, die diese weißblonden und rothaarigen Berserker errangen. Mit dem Raubgut schlich sich etwas für sie selbst Gefährliches in ihre eigenen Reihen ein. Das kam schon darin zum Ausdruck, daß die Be herrscher des Augenblicks ratlos wurden, wenn es galt, ihre Taten im Gedächtnis der Menschheit zu bewahren, sie Geschichte werden zu lassen. Die Runensteinmei.ster, die vor der neuen Aufgabe standen, gefal lenen Wikingern ein Denkmal zu setzen, mußten sich erst nach Vorbildern umsehen, um die Inschrift mit dem würdigen Dekor zu versehen. Und diese Vorbilder fanden sie in den von Mönchen gemalten Blättern der Evangelienbücher, die von den Räubern mitgebracht worden waren. Wir sehen in der Tat auf vielen Runensteinen Entspre chungen der Ornamente mit denen von Initialen und Randleisten, womit die hei ligen Evangelisten Matthäus, Johannes oder deren Symbole eingerahmt waren. Besonders der Codex aureaus, der offenbar von Wi kingern entführt, am Ende des neunten Jahrhunderts aber an Herzog Aelfred wie der verkauft und von diesem und seiner Ge mahlin der Kathedrale von Canterbury gc-- stiftet worden war, scheint als Vorbild ge dient zu haben. Eine Art Vignette des Codex — das Blatt befindet sich in der kö niglichen Bibliothek zu Stockholm — zeigt zwei von Ranken umflochtene Tiere. Das war aber nur der Anfang der großen Wandlung. Als Nächstes folgte die An nahme des Kreuzes, das die Räuber ausge rottet wähnten und doch nicht länger um gehen konnten, ohne sich selbst hoffnungs los von der gesamten Umwelt zu isolieren. Die Enkel der Piraten kehrten als Christen zurück, und manche Runenstein-Inschrift meldet rühmend, daß der Tote „in Tauf kleidern" gestorben sei. Wikingerfürsten werden christliche Fürsten. Der Norweger Olaf Tryggvasson, ein Held der Sage, der sein Land missionieren wollte und starb, ohne sein Ziel erreicht zu haben — er sprang ins Meer, als er sich bei Svolder von feind lichen Schiffen umgeben sah — hatte als Wikinger begonnen. Olaf Haraldson — der Heilige —, der mit größerem Erfolg den Bekehrungsversuch wiederholte und als der erste christliche König und Märtyrer Nor wegens starb, hatte seine Jugend an einem englischen Wikingerhof verbracht. Die irischen und englischen Missionäre folgen dieser politischen Strömung und scheinen sich auch um die Meister des Nor dens bemüht zu haben, wenn sie nicht sogar selbst die Arbeit der Einmeißelung besorg ten. So sind die Runensteine des elften Jahrhunderts schon voll von Kreuzen, die in einer Art unberührten Zone oberhalb oder innerhalb des Schlangengetümmels schwe ben, als ob sie im Abstand von der alten ungebändigten Natur wären. Wir finden dort das Kreuz, das an die Johanniterform erinnert, und ein kleineres, das sich an der Linterseite zu einem Stiel verlängert und sich somit als Prozessionskreuz ausweist. So vollzieht sich die geheimnisvolle Umkehr des großen Aufbruches: der Norden, der seine Wälder und Steinküsten verließ, kehrt mit dem Kreuz zurück. .Der Järfstastein, den man auf 1050 datiert, enthält neben der Bitte an Christus auch eine an die Mutter Gottes für die Seele des toten Tjudmund: eine früheste Spur der Madonnenverehrung in Schweden. Übensetzungen vom Artikel-Verfasser.
Die Flechtbandpktten zu St. Martin in Linz Von Prof. E. Schaff r a n, Wien (Dazu die Abbildungen lo, ii) Die beiden Flechtbandplatten im Inneren von St. Martin zu Linz sind die bisher ein zig bekannten Stücke dieser Art in Österreich nördlich des Alpenkammes. Wenn auch die Datierung der Reliefs im allgemeinen fast einheitlich in das frühe neunte Jahrhundert erfolgt, so bestehen hinsichtlich der kunstgeschichtlich-stilisti schen Einordnung erhebliche Unterschiede in der Auffassung. Franz Stroh hat in der ausgezeichneten Publikation von Franz Juraschek und Wil helm Jenny „Die Martinskirche in Linz . . ." (Linz, 1949), ohne mein 1941 erschienenes Buch „Die Kunst der Langobarden in Italien" zu erwähnen, die Linzer Flecht bandreliefs richtig dem langobardischen Kunstkreis gegeben und sich hiebei auf die nach mir erschienenen Arbeiten von R. Kautzsch^) und L. Franz^) bezogen. Karl Ginhart hingegen sieht in seiner zusam menfassenden Studie über die „karolingischen Flechtbandsteine in, Kärnten"^) der artige Reliefplatten als „karolingisch" an, wobei er sogar gelegentlich von einer ,,karolingischen Reichskunst volkstümli cher Richtung" .spricht. Da die derzeit an mehreren Orten des nördlichen Alpenvorlandes in Österreich und zum Teil auch in den nördlichen Kalk alpen laufenden Ausgrabungen möglicher weise auch auf Denkmäler der ausgehenden Völkerwanderungszeit stoßen könnten (und dieser gehören die Linzer Platten als Spät linge an), soll hier der Versuch unternom men werden, diese, erstmalig 1939 durch Franz Stroh kritisch publizierten Kunstwerl<«^) auf ihre stilkundliche Zugehörig keit zu untersuchen, also die Frage klären 9 Rudolf Kautzsch, Die langobardische Schmuck kunst in Oberitalien (Wien, 1941). 9 L. Franz, Die Germanenfunde von Civezzano ... (Veröffentl. des Museum Ferdinandeum Innsbruck, 1939, erschienen später, 1944). K. Ginhart, Die karolingischen Flechtwerk steine in Kärnten, in Egger Festschrift „Aus dem römischen und germanischen Kärnten" (Klagen furt, 1942). 9 F. Stroh, Ein langobardischer Flechtbandstein aus Linz (Jhb. d. Ver. f. Ldskde. und Heimat pflege, Linz, 1939). ZU helfen, ob hier ein langobardisches oder ein karolingisches Denkmal vorliegt. Das Flechtband als dekoratives und wahrscheinlich auch sinnbildliches Motiv ist nicht nur im Bereich der langobardi schen und nachlangobardischen Kunst in Italien, den Südteilen der Alpen und in Dalmatien zu finden, sondern kommt auch in der ganzen merowingischen und karolin gischen und oft noch in der süd- und mit teldeutschen spätromanischen Kunst vor®). Jedoch als wohlorganisierter Schmuck von Platten besonderer Bestimmung ist das Flechtband doch nur (aber einzig für die sen Zweck) im Bereich der langobardischen und postlangobardischen Kunst zu finden, und treten derartige Flechtbandplatten außerhalb dieses Gebietes auf, so sind sie Importe, vertragene Stücke. Dieser spe ziellen Gruppe zuzuteilen sind u. a. die meisten dreistreifigen Flechtbandplatten im Landesmuseum Klagenfurt (auf ähnliche andere Denkmäler in Kärnten kann hier augenblicklich nicht eingegangen werden), die Sandsteinplatte aus Lauterach (Museum Bregenz)") und die beiden Linzer Flecht bandplatten. Ferner stammen aus der glei chen, sofort näher zu lokalisierenden Kunstprovinz, die beiden in Wien gefun denen, derzeit im Stift Seitenstetten auf bewahrten Kapitelle, obwohl sie ohne Flechtbanddekor sind; Diese Kunstprovinz ist nun das langobardische Oberitalien und im besonderen Friaul, wo die langobar dische Pierzogstadt Cividale noch weit über das Jahr 774 hinaus (Fall von Pavia und Ende des Langobarden reiches) Steinmetz werkstätten besaß, die ohne tiefreichende stilistische Veränderungen ihre Ornamente und besonders ihre Flechtbandplatten in der herkömmlichen Art des achten Jahr hunderts herstellten und exportierten^). •'') Wilhelm Holmquist, Kunstprobleme der Merowingerzeit (Stockholm, 1939). ") Siehe meine Publikation darüber in Zeit schrift für Schweizer Archäologie und Kunst geschichte, 1939, Heft 4. ') Darüber E. Schaffran, Die Kunst der Lango barden in Italien (Jena, 1941) und der gleiche, Langobardische und nacblangobardische Kunst in den deutschen Ostalpen, „Mannus", 1939, Heft 3. 10
In Italien wurde bisher meines Wissens kein einziger Grabfund des achten und neunten Jahrhunderts mit fränkischen Stilzeichen gemacht, ebenso fehlt dort eine nennenswerte fränkische (karolingische) Baukunst, denn Großbauten, wie zum Bei spiel St. Johann zu Münster (Graubünclen), St. Benedikt in Mals und San Vittore Genga blieben Ausnahmen und ohne Wei terwirkung. Die Worte Chiappellis®) — „im Gegensatz zu den Langobarden schufen weder Karl der Große noch seine Nachfol ger, weder die sächsischen Kaiser und auch nicht Friedrich Barbarossa in Italien be achtenswerte Kunstdenkmäler. Es ist not wendig, bis zu Friedrich II., dem Flohenstaufen, heraufzugehen, um großartige Werke der Baukunst (wieder) zu finden, die von Germanen auf italienischem Boden errichtet worden sind" — gelten in ihrer apodiktischen Form nicht nur für die Bau kunst, sondern auch für die germanisch be einflußte ornamentale Plastik. Zu diesem Aufsatz sind nun einige, von mir aufgenommene Flechtbandplatten ab gebildet, die fast durchwegs dem späten achten Jahrhundert angehören und moti visch mit den Linzer Stücken deutlich ver wandt sind. Ein darunter befindliches Bei spiel aus Rom (eines unter vielen!) zeigt ferner, wie dieses im Grund doch wenig varierte Flechtbandrelief in seiner fast monotonen Verwendung für Altar-(Chor-) schranken (Cancelli) als modisches Re quisit sich sogar im langobardenfeind lichen Rom vielfach nachweisen läßt, wo gegen dort von karolingischer Kunst, dar unter auch von karolingischer Ornamentik vor 900 keine Spuren vorhanden sind. Zum weiteren bildlichen Vergleich mit den Lin zer Platten sei noch auf folgende Denk mäler verwiesen; a) abgebildet bei Rudolf Kautzsch, Die langobardische Schmuck kunst in Oberitalien (Wien, 1941)- Abb. 6, Bobbio, S. Colombano, vor 750; Abb. 20, Aquileja, Randstücke einer Schran kenplatte, Ende achtes Jahrhundert; Abb. 27/28, Bobbio, S. Columbano, Platten reste, spätes achtes Jahrhundert; Abb. 30, Bo logna, Sto Stefano, Plattenbruchstück; Abb. 38, Mailand, Castellmuseum, Ambo, um 780; Abb. 42, Pavia, Museo civico', Grabplatte, um 750, und Abb. 35, Grado, Dom, Patriarchenstuhl, um 780/790; b) ab gebildet in meinem Buch „Die Kunst der Langobarden in Italien" (Jena, Diederichs, 1941); Abb. 13c, Bardolino, S. Severo, um 760; Abb. isc, Verona, S. Lorenzo, um 780; Abb. i8b, Verona, S. Lorenzo, um 780; Abb. 22a, Ventimiglia, Ende achtes Jahr hundert u. a. m. Der Großteil dieser, mit den Linzer Reliefs auf das engste verwand ten Beispiele stammt aus einer Zeit, in der für Oberitalien von einer karolingischen Kunst nicht gesprochen werden kann, und auch nach dem Fall von Pavia 744 ist dies nicht der Fall, da Karl der Große sogar organisatorisch das alte Gefüge intakt ließ®) und nur personelle Veränderungen vorpahm; auch von einer Änderung der kul turellen Lage ist nichts vorerst zu bemer ken, wohl aber standen bei Karl und sei nen Nachfolgern die langobardischen Künstler in hohem Ansehen. Diese Situa tion bedingt, daß wir mit Recht, wenig stens für die Ostalpen (und natürlich auch für Oberitalien), von einer nach langobar dischen Kunst sprechen können^®). Auch die Linzer Platten dienten, wie dies Franz Stroh überzeugend bewiesen hat^^) seinerzeit als Chorschrankenbelag, also der herkömmlichsten und beliebtesten Verwen dung. Ihr Material ist Marmor aus Südkärnten; derselbe Marmor kommt aber auch in der Carnia, zum Beispiel in Zuglio, vor, und von dort bezogen die friulaner Steinmetzwerkstätten der Langobarden das Material; die langobardischen und nachlangobardischen reliefierten Platten in Cividale, Grado, Aquileja, Sesto al Reghena ®) Memorie stör, forotgiuksi (Udine, 1923). Fa,st die ganze nicht cuvinistische Wissenschaft Italiens folgt dieser Meinung, der sich u. a. im großen auch einer der besten Kenner der Völker wanderungszeit in Italien, Carlo Cecchelli, anschloß. ") Ludo Hartmann, Geschichte Italiens im Mit telalter, Bd. II/2 (Gotha, 1903) und E. Schaffran, Geschichte der Langobarden (Leipzig, 1938). Siehe meine einschlägigen Aufsätze in „Mannus", a. a. O., ferner in ,,Berichte und Mitteilun gen der deutschen Akademie München" (München, 1940, Heft I u. 2). Erst die Anerkeniiung des lan- . gen Nachwirkens einer postlangobardischen Kunst in der ostalpinen Früh- und Hochromanik könnte manche ihrer Erscheinungsformen klären, und auch die stilistische Zuschreibung der Linzer Platten hängt damit zusammen. ") In „Juraschek und Jenny, Die Martinskirche in Linz", a. a. O., S. 64. Über Form, Dauer und Verbreitung von Chorschranken (Cancelli), die mit Reliefplatten bedeckt sind, müßte einmal eine mo derne Untersuchung vorgenommen werden. 11
Li. a. m. bestehen somit aus dem gleichen Stein, wie jene in Linz und natürlich auch wie jene in Klagenfurt (Museum). Nun ist wenigstens bis heute in Südkärnten keine Steinmetzwerkstätte des achten und neun ten Jahrhunderts bekannt geworden, die derartige Reliefplatten gearbeitet hätte. Wohl aber kennen wir in Oberitalien bisher wenigstens zwei Orte, die solche Werkstät ten mit einem umfangreichen, auch auf Ex port eingerichteten Betrieb besaßen, näm lich in Como und besonders in Cividale. Wenn auch Dokumentationen dafür in der Form von schriftlichen Aufträgen und Ab rechnungen fehlen — in dieser Zeit nur zu begreiflich —, so bildeten sich an beiden Orten stilistisch stark ähnliche Denkmäler gruppen, in welche hinein sich die vielen anderen Flechtbandplatten,, soweit sie für Chorschranken, Cancelli, bestimmt waren, ohne viel Mühe einpassen lassen. Como wie Cividale, belegbar, arbeitend seit ungefähr 650/80, verfolgten, darin ähnlich allen an deren Werkstätten, die einmal erreichte sti listische Gestaltung mit ihren byzantini schen Beimengungen hartnäckig noch durch fast zwei Jahrhunderte; es war langobardische Art, in der Kunst starr und ohne wesentliche Änderungen an der Tradition so lange festzuhalten, bis die schließlich neuen Verwendungsmöglichkeiten diese Tradition von selbst ad absurdum führten^^). Natürlich rmterlag auch das Flecht bandmotiv auf den Cancelli zeitgebundenen Veränderungen, die in erster Linie eine formale Bereicherung waren, die Verflech tungen wurden komplizierter. Schlingen und Knoten, bereits von spätantiken Denk mälern her bekannt, werden neuerlich hin zugefügt und die wachsende Byzantinisierung der ganzen kulturellen Lage im langobardischen Reich ist auch motivisch bemerkbar. Dennoch bleibt der formal ornamentale Charakter im Grunde beste hen, der leer gehaltene Fond spielt bei den Chorschrankenplatten (und n u r diese kom men hier in Betracht, da die übrigen Flecht bandverwendungen meist ganz anderen Stilgesetzen folgten) stets die gleiche Rolle, es sind Variationen über ein hartnäckig bei behaltenes Thema. Fs besteht keine Möglichkeit, die Her stellung der Linzer Platten irgendwo in '-) E. Schaffran, Die Kunst der Langobarden in Ttrdien, n. a. O., besond. Kap. IV/I und V/b. Südkärnten zu lokalisieren, auch bei den gleichartigen Klagenfurter Stücken gelingt dies nicht. Die Zeit um 800 war in den deutschen Ostalpen dafür nicht geeignet. Dagegen ist der lebhafte Handelsverjcehr von ganz Kärnten mit Friaul bekannt. Die Klagenfurter Platten aus Moosburg stim men nun formal und materialmäßig mit den Stücken aus Friaul vollkommen über ein, die gleiche Übereinstimmung besteht zwischen den Linzer Flechtbandplatten mit den Klagenfurt-Moosburgern und damit auch im wreiteren Verfolg mit den Friulanern. Den Herstellungsort der Linzer Platten je archivalisch zu fixieren, wird bei der ganzen Sachlage kaum möglich wer den, es gelingt dies nicht einmal für Ober italien. Aber die stilistischen Übereinstim mungen lassen den Schluß zu, auch die Linzer Reliefplatten seien in Oberitalien — am ehesten in Cividale — gearbeitet und von dort an die Donau als Exportwäre ver bracht worden. Hätten wir an der öster reichischen Donau mehr Baudenkmäler der Zeit um 800, als bisher nur St. Martin in Linz, SO! wäre nicht daran zu zweifeln, daß noch andere solcher exportierter friulaner Schrankenplatten zum Vorschein kommen müßten. Auf Linz bezogen heißt dies; Der Bau von St. Martin trägt in seiner Nischenbil dung etc. unverkennbare karolingische Kennzeichen, dies ist bei dem Fehlen einer anderen christlichen Bautradition begreif lich, frühchristliche Architekturraomeiite waren nicht mehr wirksam. Von St. Mar tins damaliger Einrichtung hat sich hin gegen nichts — stilistisch — Karolingisches erhalten, denn die beiden Flecht bandplatten und damit auch die formal ähnlichen Klagenfurter Werke haben mit einer karolingischen Kunst gar nichts zu tun, wie dies Ginhart 1942 meinte, sondern nur mit der langobardischen. Denn es kön nen von-diesen Plattenrdiefs jede Einzel heit und natürlich auch das Gesamtbild, in dem großen spät- und nachlangobardischen Denkmälerbestand Oberitaliens nachgewie sen werden. Grundlos ist auch Ginharts Ikonstruktion einer karolingischen Reichs kunst volkstümlicher Prägung^^). Mag eine \olkstümliche Richtung bei dem bedenk lichen Partikularismus mancher langobardischer Herzöge vielleicht vorgekommen '•') In Eggcr Ee.st,Schrift, a. a. O., S. 2,30, 12
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