Bundesgewerbeschule Steyr 1954-1963

gestaltung. Der Schüler wird also vorerst hauptsächlich im Material auspro- bieren und improvisieren und dabei auch das Werkzeug kennenlernen. Da- bei muß zunächst nichts Endgültiges und Verwend'bares herauskommen; es ist schon ein Erfolg, wenn er gleich anfangs einsieht, wie wenig deutlich man sich etwas „aus eigener Phantasie" vorstellt und wieviele Anregungen für das eigene Vorstellungsvermögen man von den Versuchen im Material erhält. Aber nicht nur das Edle von Gold und Silber, auch die Schönheit edler Steine mit ihrem Feuer, ihre1\ Farben! und Formen, muß. vom Schüler erlebe werden können, da oft auch ein Stein in seiner Eigenart zum Ausgangspunkt einer Gestaltung wird. Genauso wichtig wie das Kennenlernen des Mate- rials und der Technik ist bei der Formgebung die Bezugnahme auf die Funk- tion des Schmuckes oder des Gerätes. Ganz gleich, ob es sich um einen Ring. Armreif, Halskette, Clip, Brosche oder Kelch, Ziborium und Monstranz han- Die Frage nach Wesen und Funktion des Schmuckes ist zu überdenken delt - der Schüler muß lernen, die Frage nach Wesen und Funktion des zu schaffenden Schmuckes oder Gerätes zu stellen und jedesmal neu zu über- denken. Sicher I Wir bilden Goldschmiede zunächst als Handwerker heran, und der Weg vom Mögen zum Können ist ein langwieriger. Dennoch liegt die Verantwortung des Lehrers tiefer. Er muß versuchen, das schöpferische For- men seiner Schüler zu entfalten. Er wird daher an Beispielen das Gültige aufzeigen, zur Ehrfurcht vor dem geleisteten Großen und zur Kritik dem Eigenen gegenüber erziehen. Dem jungen deutschen Dichter Rainer Maria Rilke nannte de.r greise Bildhauer Rodin drei Stufen eines inneren Wachstums als Geheimnis seines Schaffens: ,,Erleben, überdenken, Formen". Dies sind wohl auch echte Wachs- tumsstufen in der Ausbildung eines Gold- und Silberschmiedes. H, Angerbauer 84

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