Bundesgewerbeschule Steyr 1954-1963
Ennskraftwerk Großraming Techniker und Menschenführer Deutsd1 Die Bauzeit mit ihrem unaufhörlichen Ansturm von Ereignissen war vorbei. Fertig waren Wehranlage und Krafthaus, diet Turbinen und Genera- toren eingebaut, die Schalt- und Transformatorenanlagen eingerichtet, die Masse der Arbeiter fortgezogen. Noch einmal gab es aufregende Tage: die Inbetriebsetzung und die feierliche! Einweihung. Nun ist es still geworden in dem Großkraftwerk an der Enns, das einem der tüchtigsten Ingenieure, die an der Montage mitgewirkt hatten, unserem Absolventen S. anvertraut ist. Nur der Dauerton, erzeugt von den kreisenden Läufern der Generatoren, ist gedämpft zu hören. Jeder ist auf seinem Posten. Der eine hat schwere Außen- arbeit, der andere sd1reibt, redmet. Jede wiederkehrende Arbeit wird schließ- lich Routine, beim Arbeiter, beim Angestellten, beim Betriebsleiter. Zur Stadt ist es weit, wenn die Schicht zu Ende ist, und der nächstgelegene Ort hat nur Wirtshausgeselligkeit zu bieten. Wollte unser Ingenieur verhindern, daß die Leute hinter dem Bierglas versumpften, dann mußte er ihnen als Ausgleich nach des Tages Arbeit irgend eine andere amegende Beschäftigung bieten. Und wenn er s e l b s t fachlich und mensd1lich in Form bleiben wollte, so war es nötig, daß er sich eine Freizeitbesd1äftigung suchte, die seinen Geist belebte. Wenn er, vom B er u f ermüdet, sich ihr hingab, kamen ihm neue Ideen für seine Berufsarbeit. Wo wäre geistige Nahrung besser zu finden gewesen als in Büchern? Unser Ingenieur richtete also eine Werksbücherei ein und mußte von Ginzkey, Waggerl und Bergengruen, von Dostojewsky, Camus und Heming- way etwas wissen, um mit ihren Werken die Bücherei für Anspruchsvolle bereid1ern zu körmen. An den langen Abenden brachte das Fernsehen manchmal das Stück eines klassischen oder eines zeitgenössisd1en Dramatikers. Die Leute er- warteten vom Vorgesetzten, daß er Schillers „Don Carlos" , Goethes ,,Egmont" oder Schönherrs „Erde" in großen Zügen ka1mte, und sie rechne- ten es ihm hod1 an, wenn er mit ihnen ü'ber ein Stück im Fernsehen oder über ein Hörspiel diskutieren konnte. Oft waren es Probleme, die in wenig veränderter Form sie selbst brennend interessierten. 14
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2