Der bayrische Kanonist Anton Michl (1753 - 1813)294 möge mit seinem 1809 veröffentlichten Kirchenrecht295 in diesem pointilistisch gearbeiteten Bild den Schluß bilden. Dieses „mit Hinsicht auf den Code Napoleon und die baierischen Landesgesetze" verfaßte Kirchenrecht zeigt, wie einheitlich das staatshörige kanonistische Denken im süddeutschen und österreichischen Raum ausgerichtet war. In der Brutalität des Ausdrucks, in der inneren Langeweile, mit der er das Kirchenrecht traktiert, ja im kalten Zynismus ist hier ein absoluter Tiefpunkt aufgeklärter Kanonistik erreicht. Es verstehe sich von selbst, daß die rechtlichen Prinzipien der Kirche als einer Partialgesellschaft im Staat sich nach den rechtlichen Prinzipien des Staates, als der Totalität, und nicht diese nach jenem richten müssen. Die Kirche ist bei Mich[ eine dem Staat subordinierte Gesellschaft. Hingegen bleibe das, was eigentlich Religion heiße, nämlich die religiöse Aufklärung und Überzeugung der Kirchenindividuen über ihr Verhältnis zu Gott immer vom Staat unabhängig. Die Kirche ist aber unter der Staatsgewalt, ,,ein Staat im Staate ist ein Unding." (S. 3). Auch Mich[ will, wie die Josephiner allesamt und deren Vorläufer, dem „alten" Kirchenrecht huldigen. Am Beginn der Kirchengeschichte sei es „höchst einfach" gewesen: Vernunft, Bibel, besonders das Neue Testament, und einige durch Umstände notwendig gewordene Verordnungen einzelner Kirchen seien „beinahe die einzigen Quellen" gewesen (S. 9). Mit Febronius hält er es zumindest teilweise, doch versteht er sich als Autor, dessen Blick umfassender ist. Bei den Katholiken, so stellt Michl fest, sei es noch lange nicht ausgemacht, wem die eigentliche Kirchengewalt ausschließlich zukomme und was sie umfasse (S. 49). Er unterscheidet zwischen dem römischen und „reinkatholischen" System (S. 51), wobei er heftig gegen das erstere Stellung bezieht (S. 51 - 56). Daran fügt er eine Zusammenstellung febronianischer Kernlehren (S. 56 - 61), wobei er zwei Mängel feststellt. Einmal lehne er, Michl, die „bischöfliche Aristokratie" ab; die Gewalt der Priester sei von Febronius nicht berücksichtigt worden (S. 61 - 64). Michl meint, es sei im wesentlichen kein Unterschied zwischen einem Bischof und Priester; das sage schon der hl. Hieronymus (S. 62). Außerdem habe Febronius die gesellschaftlichen Bezüge zwischen Kirche und Staat in seinem System nicht berührt (S. 64 f.) . Mich! schließt daran eine Darstellung des Verhältnisses zwischen den beiden Mächten, wie sie Heinrich Stephani 1802 in seinem Werk über die absolute Einheit der Kirche und des Staates versucht hatte, doch lehnt er immerhin dessen radikale Konsequenz ab. Stephani hatte die Kirche absolut und in allem der 294 Nicht in 2LThK. Hurter-Nomenclator I/2, bearb. M. Brand! (in Vorbereitung), (Lit.). 295 A. Mich!, Kirchenrecht für Katholiken und Protestanten . . . München: Joseph Lentner 1809. X+485 S. 99
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