Vom Boom zum Bürgerkrieg

sich regelmäßig angesprochen, für die Winterhilfsaktion in Steyr Geld und Sachspenden aufzubringen. Die Steyr-Werke verlautbaren im Juli 1932, dass bis Ende des Jahres nur noch an 65 Tagen gearbeitet wird. Von der Betriebseinschränkung sind nochmals 700 Arbeiter betroffen. Die Gesamtzahl der Mitarbeiter in den Steyr-Werken steht Mitte 1932 bei knapp über 1.500, zehn Jahre zuvor waren es noch 7.900 , die in der „Bude" Arbeit fanden. Erstmals taucht das Gerücht von einer kompletten Stilllegung der Fabrik auf. Im Magistrat zieht man ebenfalls die Notbremse und entlässt weitere Beamte, sodass der Mitarbeiterstand der Hoheitsverwaltung auf das Minimum von 61 sinkt. Mit Beginn des Jahres 1933 erlässt die Regierung Dollfuß Richtlinien über die Kürzung der Sozialhilfemittel. Durch die Region geht ein Beben . Ende Jänner findet in Steyr erstmals seit langer Zeit eine Konferenz der Bürgermeister aus Steyr und dem Bezirk statt, an der auch die Vertreter der Region für den Landtag und den Nationalrat teilnehmen. In seltener Einigkeit wird der Regierung mitgeteilt, dass sich die Kommunen nicht in der Lage sehen, die beschlossene Einschränkung der Arbeitslosen- und Notstandsunterstützung zu ersetzen. Sollte es zu keiner Aufhebung des Erlasses kommen, werde die Not ins Uferlose anwachsen. Am 10. Februar bricht eine Delegation bestehend aus allen Bürgermeistern der Region und der Stadt Steyr sowie den Nationalräten Födermayr und Witzany nach Wien auf, um Sozialminister Resch zum Einlenken zu bewegen. Dieser bleibt unnachgiebig und verspricht lediglich einen Aufschub der Kürzungsfrist.3 1 Am 20. Februar versucht Ex-Minister Födermayr nochmals alleine sein Glück und wird in Wien mit einem Betrag von 20.000 Schilling als außerordentliche Zuwendung zur Winterhilfe endgültig abgespeist. Im Koh lerevier Wolfsegg solidarisieren sich die Bergleute mit der Not leidenden Bevölkerung und fördern in dutzenden Freischichten 440 Tonnen Kohle, die anschließend von der Landesregierung zum Materialpreis gekauft und für den Großraum Steyr gespendet wird. Aus dem Schoß der katholischen Kirche sprudeln in diesen Notjahren noch immer genügend finanzielle Mittel , um die Stadtpfarrkirche, die Margarethenkapelle und die Michaelerkirche restaurieren zu können. Zusätzlich wird zunächst mit dem provisorischen Bau der RudigierPrivatschule begonnen und schließlich das neue Schulgebäude am 25. September 1932 feierlich eröffnet. Viele Arbeitslose und Sozialdemokraten sehen in diesen Investitionen eine Provokation, auch wenn von kirchlicher Sei te immer wieder betont wird, dass ein Großteil des Geldes aus Spenden kommt. Das Jahr 1934 bildet einen der ti efsten Einschnitte in der jüngeren Geschichte der Stadt. Unmittelbar nach Beendigung der „Februarkämpfe" wird in Steyr der Gemeinderat aufgelöst und Polizeirat Alfred Edelmayr an Stelle von Bürgermeister Sichlrader als Stadtoberhaupt eingesetzt. Bereits am 22. Februar 1934 empfängt Edelmayr den Sicherheitsdirektor von Oberösterreich Baron Hammerstein, der in einer pathetischen Ansprache dem Bundesheer, der Polizei , der Gendarmerie, dem Heimwehr-Schutzkorps sowie den freiwilligen Schutzformationen den besten Dank für die „treuen und tapferen Dienste, die sie der schwer bedrängten Stadt in den gefahrvollen Tagen der bolschewikischmarxistischen Revolte geleistet haben"ausspricht.32Dass die Revoltierenden gerade einmal aus ein paar Dutzend halbverhungerten und schlecht bewaffneten „Schutzbündlern" bestanden haben , übergeht er geflissentlich. Einen Höhepunkt erreichen die Spannungen nach dem Verbot der sozialdemokrat ischen Partei im Frühjahr 1934. Nachdem zuerst ein Plan für einen Kirchenneubau auf der Ennsleite vorgelegt wird, entschließt sich die Diözese aus Kostengründen, im mittlerweile verwaisten Zentrum sozialistischer Gesinnungsbildung, dem „Kinderfreundeheim", eine Notkirche einzurichten . Mit der Lesung der ersten heiligen Messe am 10. Juni 1934 durch Stadtpfarrer Bamberger wi rd die Niederwerfung und Ausschaltung des politischen Gegners regelrecht zelebriert. 33 Bei der Wiener Frühjahrsmesse 1934 zeigt sich erstmals wieder ein steigendes Interesse an den Automobi len aus den Steyr-Werken. Mit dem neuen Chefingenieur Karl Jentschke hat nicht nur ein erfahrener sondern auch ein wirtschaftlich versierter Konstrukteur das Ruder in die Hand genommen. Der von ihm konzipierte so genannte „Steyrer Typ 100" hat alle Neuheiten der Technik involviert und ist billig im Betrieb und der Anschaffung. Im Sommer 1934 kommt es außerdem zur endgültigen Fusion mit den Daimler-Werken aus Wiener Neustadt. Der Zusammenschluss bewirkt einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit in Steyr und eine Steigerung der Belegschaft auf 2.500 Mitarbeiter.34 Mit einer groß angelegten und publikumswirksam inszenierten Maifeier versucht die politische Führung den Menschen in Steyr ein neues, sicheres und starkes Österreich vorzugaukeln und zur Tagesordnung überzugehen. ,, In Steyr wurde der 1. Mai 1934 als Festtag des gesamten schaffenden Volkes in Österreich und als Geburtstag der neuen ständischen Verfassung festlich begangen . (. .. ) Die schöne, alte Stadt bot im reichen Flaggenschmuck ein bezauberndes Bild . (... ) Ein Festgottesdienst im herrlichen Steyrer Münster (...) leitete die Feier ein. Vor der Kirche hatte eine Ehrenkompagnie des Alpenjäger-Bataillons 111/7 Aufstellung genommen. (.. .) Nach dem Festgottesdienst erfolgte ein Aufmarsch am Stadtplatz vor dem Rathaus, von dessen Balkon der Kreisführer der vaterländischen Front die Festrede hielt (...) und mit einem Treuebekenntnis zum Vaterland schloss. (.. .)Zu Mittag wurde eine große Fürsorgeaktion- die Ausgabe von 6.000 Portionen Schweinegulasch( ...) an Notleidende und Bedürftige (...) durchgeführt". 35 Das altbewährte Rezept „Brot und Spiele" sollte wieder einmal die Menschenmassen vergessen lassen, in welch trister Situation sie sich befanden. 31StK 1934, S 323ft. 32 StK. 1935, S. 294 33 StK. 1935, S. 323 34 StK. 1935, S. 324 35 StK. 1935, S. 311 19

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