96. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1978/79
PFLICHT UND NEIGUNG Ein una ngenehmer, lauter, sch.r ill er Ton dringt in mein Bewußtsein, holt mich aus dem La n 1 d ,der Träume, dem Zustand des Vergessens, dem Sd1laf, zurück in die Realität. Mein Ich wehrt sich, ,sträubt sid1 ·d·agegen , dod1 erbarmungs los und unaUJfhaltsam hat der Trab d es Alltags bego nnen . Meine red,te Hand versucht ,die bleiern e Müdi gkeit des Schla fes abzuschüt- teln und sucht in Richtung jen es Gerä tes , das di esen cLurchdringenen Ton verursacht. Ein Geni e, ,das die Uhr erh111den hat, aiber ei n Sadist, der da s Lä,utwerk ,dazu g.ab . S 1 ieben Uhr! Höd1,ste Zeit zum Aufstehen, idl müßte meine D ecke wegwerfen, aus dem Bett springen, Vorhänge wegziehen, den neuen T,ag be,grüßen. Nichts d,erg leichen. Wie mit sd1weren Eiisenketten bin ich ,gefesselt, in meinem Inner,sten sträubt es sich dagegen , die angenehme Wärme des Bettes zu verlassen, um .sdrntzlos in ,der Kälte des Tages zu sbehen. Ich verspüre ,den Wur11 1 sch, die Sehn-s ucht in mir, mich der wieder- kehrend en, mich vergessen mad1enden Schläfrigkeit hin zugeben . Doch id1 weiß , es geht nicht. Des.harlb gebe ich mir den Befehl auf- zustehen. Es is,t kalt, und fröstefod greife i d1 nach mein em Morgenma.ntel. Ein schäb,iges Stück, alt; idl muß mir einen neuen kaufen . Idl ziehe di e Vorhänge zurück und find.e meine Erwartun g voll und ganz erfüllt. Kein freundlicher blauer Hinrmerl begrüßt mid1 , kei n Sonnenstrahl treirbt mir den Res t des Sd1laJes a'LIS den Au gen, nein , kalt un 1 d düster i,st es ·draußen u.nd n.aß. Es paßt zu mei,ner Stimmung - sehr gut •sogar. ld1 schleppe 111rid1 in,s Bad , versud1e nid1t in den Spiege l zu blicken , in dem id1, wie jeden Tag, ein mir verhaßtes Gesicht sehen würde , und verrichte wie j,eden Tag mit dens elben Hand,griffen und Bewegun gen das, was die Gesellschaft Morgen- wäs che nennt . In der Küche siedet das Wa.sse r, und schon ba ld kann id1 mich den leiblid1en Genü,ssen eines Frühstücks hingeben. Kaffee, Kipferl mit Bu,tter, Wurst imd weiche Eier, ein wahrhaft göttliches Sprungbrett in den Allta,g. ld1 mag meine Küche, hat mir auch gen 1 ug gekostet. Alis Jung- gesell e braud1t man so etwas . K,e,ine einz ige Frau wür,de ich in meirne Küd1 e la9sen. Es ist Z eit - Mantel , Hut, T.asd1e un1d meinen Schirm. Damit bewaffnet trete ich aus dem Haus, dem unfreu111dlichen nassen Wetter entgegen. Ich muß mich beeilen , um die Straßenbahn zu e rreid1en . Id1 hasse di e Gebundenh ei t , dies e immer wiederkehrende Mahnung an Pünktlidlkeit. In mir ist ,der Wun1sch , mein Leben z,u verlangsamen, doch id1 besdu euruige, forci ere meinen Sd1ritt - - - ,da kommt auch schon die Bahn . .. Grüß Gott, ja -danke, ebenfal1s , viel zu tun " . .. imm er wieder, j eden Tag dasselbe . Ich möd1te wissen, ob die Leute da,s glauben, was sie sagen, oder ob sie dies nur sagen, wei l ,sie glauben, es sagen zu müssen. Viell eicht wird es ihnen ga r nicht bewußt, wie sie ihre Floskeln , Redensarten herunrerl eiem? Mid1 quält es , ,dies jeden Tag zu hören, diese Leute zu sehen, die anschei nend ge rn zur Arbeit fahren , sonst könnten sie 11id1t lachen und scherzen - um 7.30 am Mo~gen. Wenn ich a:us dem Fenster sehe, steigert si ch mein Haß , meine Wut ge 1 ge11 di ese v•erdamonte Umgebung, diese grnuen Häwser, di,esen Schmutz, gegen alrles in dies er Sadt, in d•er id1 gefangen bin . Ich, wer bin ich eigent- lich? Ich hab e einen Namen, einen Bernf. verschiedene Nummern, dries alles 58
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