wird, daß die frappanten äußeren Züge der modernen Mathematik -Allgemeinheit, axiomatische Begründung, formaler Aufbau, Strenge - ihr allmähliches Zustandekommeninicht einer Laune der Mathematiker, sondern organischen Notwendigkeiten verdanken, die dem begrenzten Erfahrungsbereich des Gymnasiasten größtenteils fremd bleiben müssen. Aus dem historischen und sachlichen Zusammenhang dieser Notwendigkeiten gerissen, werden sie aber sinnlos, und damit durch und durch unmathematisch. . . . . . In der höheren Mathematik werden jene-Begriffe und Methoden nicht um ihrer selbst willen eingeführt, sondern weil sie mathematisch etwas leisten - sie dienen dazu, neuartige mathematische Erkenntnisse zu gewinnen. Wäre dem nicht so, so würde sich kein schöpferischer Mathematiker dazu hergeben, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Am Gymnasium leisten sie aber charakteristischerweise nichts. Sie bleiben Selbstzweck - und damit Unsinn." WITTENBERG stellt also die wissenschaftliche Mathematik in der von BOURBAKI geschaffenen Form nicht in Frage, möchte sie aber als mit dem genetischen Prinzip unvere:inbarvon der Schule fernhalten. Für den Unterricht empfielil.t er einfache "klassische" Stoffgebiete, an denen das Werden mathematischer F.rkemtnisse erfahrbar zu machen ist. Sogar die seit Jahrzehnten e.ingeführte lnfinitesimalrechnung sollte aus den Lehrplänen verbannt werden. WITTENBERG forderte also eine Reform des Mathematikunterrichts nach rein pädagogischen Gesichtspunkten. Wenn man bedenkt, wie weit die Modernisierungsbewegung 1963 ihre Ziele schon vorangetrieben hatte und welche Unterstützung sie gen.oß, dann wird der geringe Einfluß, den WITTENBERG mit seinem extremen Gegenstandpunkt auf die F.ntwicklung nehmen konnte, verständlich. Die ausgezeichnete Darstellung eines pädagogisch konzipierten Mathematikunterrichts in seinem Buch ist aber doch nicht ganz wirkungslos geblieben. So haben in der Folge mehrere Reformer versucht, eine Verbindung zwischen genetischem Lehren und moderner Mathematik herzustellen. In diesem Zusammenhang ist vor allem H.G.STEINER zu nennen, der in verschiedenen Aufsätzen genetische Versuche in moderner Richtung publiziert hat. 38
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