91. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1973/74
lärwissenschaftliche Abhandlung über die faszinierenden und alle Teile der Gesellschaft direkt betreffenden Erkenntnisse z. 8. der modernen Genetik zu verstehen? Hat hier nicht C. P. Snow ( ,.The Two Cultures and the Scientific Revolution " ) recht, wenn er sagt, daß sich die Repräsentanten des geistigen Lebens der gesamten westlichen Welt immer mehr in gegensätzliche Gruppen spalten, in grober Vereinfachung in die literarisch Gebildeten und in die naturwissen- schaftlich Gebildeten , zwischen denen in zunehmendem Maß Kommunikations- schwierigkeiten auftreten. Wobei auf der einen Seite Unkenntnis und Unver- ständnis naturwissenschaftlicher Tatbestände und zusammenhänge - aus der Orientierung an der Vergangenheit verständlich - zum „Kavaliers- delikt" erklärt werden, das „ Elite " auszeichnet. Ist nicht auch in Österreich die Spaltung der Intellektuellen und die Dominanz der Geisteswissenschaften im Bewußtsein der Gesellschaft evident? In den Allgemeinbildenden Höheren Schulen kann man beobachten, daß natur- wissenschaftlich hochbegabte Kinder von schlecht beratenen Eltern nicht an Naturwissenschaftliche Realgymnasien geschickt werden , und zwar auch dann nicht, wenn kein Wechsel in der Anstalt notwendig wäre. Man hat den Ein- druck, als werde ein subtiler Druck ausgeübt: Naturwissenschaft vermittle keine Bildung, sondern nur Ausbildung! Als Folge gehen Maturanten mit oft ungenügenden Vorkenntnissen an das Studium der naturwissenschaftlichen Fächer heran und versagen in erschreckendem Ausmaß. Dabei kann keine Rede sein, die humanen Gesichtspunkte aus der Schule hinauszuwerfen! Im Gegenteil, das Anliegen ist, sie wirksam in die Schule, in das gesellschaftliche und politische Geschehen einzubauen. Die tradierten Methoden humanistischer Bildung allein scheinen dazu unzureichend. Sie kön- nen selbstverständlich nur einen Aspekt des Menschen darstellen und daher nur ein einseitiges Bild zeichnen. Die biologische Existenz des Menschen ist ein anderer Aspekt. Er muß deutlich charakterisiert werden, nicht in einer Antistellung gegen geisteswissenschaftliche Disziplinen, sondern in dem Be- mühen , einen Dialog mit ihnen zu fördern . Denn das fatalistische Abfinden mit der gespaltenen Kultur kann nur Nachteile für die Gesellschaft bringen und ist daher abzulehnen. Soll eine gemeinsame Sprache gefunden werden, kommt dem naturwissen- schaftlichen Unterricht an den AHS eine zentrale Bedeutung zu . Ebenso wird eine grundlegende Wandlung in der Einstellung zur klassischen Bildung notwendig sein, etwa im Sinne 0 . Reverdins (Humanist): ,.Die klassische Bil- dung in den Gymnasien hat bis heute zu stark auf der Kenntnis der alten Sprachen basiert . . . wegen einiger direkter Kontakte mit den großen Werken der Antike werden viele hundert Stunden sträflich verschwendet, um Parad igma zu beherrschen, um die Konjugation der unregelmäßigen Verben auswendig zu lernen . . . solchen Mißständen müssen wir ein Ende bereiten, wir n:iüssen ~ie klassischen Studien aus der Zwangsjacke der Grammatiker befreien ... Die Integration der Naturwissenschaf_ten _in die Allgeme_inbildung blieb~ ab~r wirkungslos, wenn nicht das Verstandnis der Naturwissenschaftler fu~ die Geisteswissenschaften und das Engagement für die Gesellschaft entscheidend verbessert würden. Hier zeigen sich in den Aktivitäten zum Umweltschutz gute Ansätze. Da darüber hinaus von der Biologie nicht nur wesentliche Voraussetzungen für das Verständnis geisteswissenschaftlicher Zuammen- hänge geliefert we rden, sondern in ihr auch die Ergebnisse und z. T. auch die Methoden einer ganzen Reihe benachbarter Wissenschaften (Physik, Chemie, Meteorologie, Geologie ...) zur Erforschung von Lebenserscheinun- gen zusammengefaßt werden, wird sie mit Recht als Synthesewissenschaft 5
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