91. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1973/74

BIOLOGIE, EIN SCHWERPUNKT IM NATURWISSENSCHAFTLICHEN REALGYMNASIUM PROFESSOR HORST MAISSER ,. Naturwissenschaft und Technik prägen unsere Zeit stärker als jeder andere Faktor. Viele neue Fachbereiche sind entstanden, so die Biochemie, die Biokybernetik, die Biomathematik und -elektronik, deren Ergebnisse bereits jetzt Perspektiven eröffnen, von denen man vor 30 Jahren nicht einmal zu träumen wagte. Die Molekularbiologie hob die ehemals strenge Scheidung zwischen belebter und unbelebter Natur auf und lehrte uns, Lebensläufe als physikalische Vorgänge, als chemische Reaktionen und Strukturen zu ver- stehen, von denen Veranlagungen und Antriebe abhängen. Die vergleichende Verhaltensforschung deckte auch für den Menschen gültige psychologische Grundstrukturen auf, und die Kybernetik zeigte uns Mechanismen des indi- viduellen Verhaltens, des Gruppenverhaltens und Formen des logischen Schließens. Daher ist die Biologie zu einer der Schlüsselwissenschaften der Zukunft geworden . Sie liefert Fakten und Ideen nicht nur für die phantasti- schen Argumente der Futurologen , sondern vor allem für die handfesten Pläne von Soziologen, Politikern und Landschaftsplanern. Man sollte daraus schließen, daß die- Einsicht in die Dynamik des Lebensgeschehens und in die Bedingungen dieser Dynamik jungen Menschen ebenso vermittelt werden müßte, wie man die Vermittlung klassischen Bildungsgutes früher für unumgänglich hielt. Umso über- raschender ist die Tatsache, daß naturwissenschaftliche Bildung in un- serem Schulsystem einen Raum einnimmt, der diesen Neuerungen in keiner Weise Rechnung trägt. Ja man hat in völliger Verkennung der dringenden Bedürfnisse sogar den Biologieunterricht in den gymnasialen Oberstufenformen gekürzt. Lediglich das Nw Rg stellt hier eine Ausnahme dar! Wie aber soll sich ein junger Mensch für das Studium der Biologie, der Physik oder der Chemie entscheiden, wenn er nur Grundkenntnisse erwerben und nicht einmal die Probleme erkennen kann! Noch wichtiger wäre eine Einsicht in die modernen Denkweisen der Naturwissenschaften für die zu- künftigen Politiker, Erzieher, Richter usw. Diese haben heute ihre Entschei- dungen nicht nur rechtlich, sozial und wirtschaftlich sondern auch biolo- gisch" und „ökologisch" zu verantworten, d. h. sie ,;,,erden daraus di~ Ver- pflichtung erkennen müssen, daß es auch heute noch ein Wert ist der näch- sten Generation einen menschenwürdigen Lebensraum zu bewahr~n. Die Tatsache, daß die Entwicklung der Biologie sich mehr und mehr mit gesellschaftlich relevanten Problemen verflicht, kann auch von der Schul- biologie nicht übersehen werden. Mit veralteten Lehrplänen, eng begrenzten Stundenzahlen, mit „ Geschichten von der Natur", mit dem Zählen von Staubgefäßen kann man dem nicht Rechnung tragen . Nicht Einzelheiten sind wesentlich, sondern Einblicke in die Denkprozesse und Arbeitsmethoden der Biologie müssen vermittelt werden. Der Schwierigkeitsgrad vieler Unter- richtseinhe iten müßte dadurch angehoben wenden, denn er liegt heute vielfach unter dem, was der jeweiligen Altersstufe angemessen wäre. Hier ist Bescheidenheit fehl am Platz. Denn der Glaube, daß biologische Wissens- gebiete unterhalb eines modernen „ Kulturniveaus" seien und man daher am leichtesten darauf verzichten könne, ist überholt. Auch Gespräche mit Medizinern zeigen, daß sogar manche Akademiker noch immer groteske Vorstellungen über die Funktion des menschlichen Körpers haben. Huma- nistisch gebildet sein, hieße aber Kenntnisse über den Menschen zu be- sitzen . Wieviele „ Gebildete " sind jedoch in der Lage , auch nur eine popu- 4

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