90. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1972/73

im künftigen Schu laufbau wird der Weg des Gymnasiasten in einer konti- nuierl ichen Abstufung immer entschiedener von der Allgemeinbildung hin zur Spezialb i ldung führen: In der Grundschule begegnet ihm ein undifferenziertes Allgemeinwissen. Dann erfolgt die er,ste Teilung in die drei großen Schul- gattungen . Von der Mittelstufe ab differenziert sich auch das Gymnasium, indem es die Akzente entweder mehr auf die alten Sprachen, auf die neuen Sprachen oder auf Mathematik und Naturwissenschaften legt. Die Kollegstufe schließlich bietet neben einem immer noch breiten Orientierungswissen bereits eine deutliche Spezialisierung in den Leistungskursen, und auf der Univer- sität dominiert schließlich das Fachwissen, alles andere ist dort der freiwil ligen Liebhaberei überlassen. Die alte aristokratisch-ästhetische Vorstellung von einer zweckfreien Bildung findet - man mag es bedauern - beim modernen Menschen kein Verständn is mehr. Bi ldung hat ihren Zweck und der Schüler soll ihn erkennen. Die mo- derne Curriculumforschung aber wird Lernziele erarbeiten, die den Zweck der einzelnen Stoffe sichtbar machen . Autorität Und nun erlauben Sie mir ein Schlußkapitel über die Autorität. Nichts zeigt deutlicher, wie unsicher wir geworden sind, als das Schlagwort von der antiautoritären Erziehung. Hier findet eine Verunsicherung der Begriffe statt, die einer rationalen Durchleuchtung bedarf. Die deutsche Sprache unterscheidet zwischen Amtsgewalt und Au torität, der Römer sprach von potestas und auctoritas . Amtsgewalt ist die von der Gesellschaft verliehene Funktion der Obrigkeit, des Vorgesetzten, des Leh- rers; Autorität dagegen ist das in dieser Rolle erworbene Vertrauen . Der Lehrer wird eingesetzt, seine Amtsgewalt ist verordnet; seine Autorität bildet sich erst, z. B. durch überlegenes Wissen, durch Verständlichkeit des Unter- richts, durch Kontaktfähigkeit, durch die Kunst zwangloser Führung , aber oft genug auch durch unwägbare Kräfte der Persönlichkeit. Autorität hat der Lehrer, der in se iner Rolle glaubwürdig geworden ist, denn diese Glaubwür- digkeit erzeugt das Vertrauen. Umgekehrt verlieren Lehrer - aber auch Väter und Mütter - an Autorität, wenn sie in ihrer Führungsrolle unglaub- würdig werden. Autorität läßt sich nicht erzwingen, sie kann auch dem Amts- träger nicht verliehen werden, ,sondern man muß sie, wie jedes Vertrauen, Tag für Tag erwerben. Wie steht es nun mit dem Eigenschaftswort „autoritär"? Es ist zwar von Autorität abgeleitet, bezeichnet aber ein abwegiges Verhältnis zur Autorität. „Autor itär " 1st nicht derjenige, der Autorität hat, sondern derjenige, der sie beansprucht ohne das Vertrauen zu bes itzen. Das Mißverständnis um den In- halt des Begriffs autoritär hat zu der Polarisierung der Meinungen geführt, die uns heute so empfindlich schmerzt. Wir wissen, daß der Anspruch der Amtsgewalt derart übersteigert werden kann, daß er Machtinstinkte freisetzt und den Geführten im Gefühl des Aus- ge liefertseins verkümmern läßt ; das gilt auch für das Verhältnis von Lehrer und Schüler. Aber gerade dadurch wird die Chance der Autorität verscherzt. Das geht soweit, daß die Jugend - einmal mißtrauisch geworden - sich we ithin auch der echten Autor ität ver-sagt. Und nun wendet sich der Begriff ,,antiautoritär" gegen die Autor ität an sich. Wer Autor ität gewinnen will, wird alles daran setzen, nicht autoritär zu sein. Wer aber antiautoritäre Erziehung verlangt, kämpft gegen das ein- wandfre i Gute, nämlich gegen das Vertrauen. Nicht Autorität ist abzulehnen, sondern der Mißbrauch der Autorität. Vor kurzem erschien in Amerika eine Statistik über die jugendlichen Aus- brecher, die run aways. 500.000 Jugend liche unter 18 Jahren verlassen danach 87

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