90. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1972/73

Erfahrung erst lehren muß. Vor Absch luß der Versuche wäre es nicht zu verantworten, das bestehende System unter einem immensen Kraftaufwand in ein neues umzugliedern , das vielleicht gar nicht hält, was man von ihm erwartet. In diesen Wettbewerb muß allerdings eine Schulform e,jnbezogen wer- den, die bisher zu wenig gefördert wurde: die „kooperative" Gesamtschule, die alle drei Schultypen zur Zusammenarbeit unter einem Dach vereinigt, ohne daß die Schulgattungen aufgegeben und Klassengemeinschaften in Kurse getrennt werden . In England ist man neuerdings mit dem Modell des „ comprehensive campus" auf dem gleichen Weg. Kooperation ist besser als Integration, weil Kooperation auf gegenseitiges Verständnis und auf Zusam- menarbeit abzielt, während Integration einen Prozeß der gewaltsamen Egali- sierung einleitet, der den Bedürfnissen des einzelnen zu wenig gerecht wird. Elite Man hat gegen das Gymnasium den Vorwurf erhoben, es sei eine elitäre Schule für wenige Auserwählte . Gleichzeitig wird von anderer Seite getadelt , daß das Gymnasium heute zu viele Schüler aufnehme, um noch die notwen- digen Ansprüche stellen zu können . Beide Vorwürfe sind so konträr, daß sie einander aufheben. Der Anteil der Zehn- und Elfjährigen, die ins Gymnasium übertreten, beträgt heute in Bayern fast 25 Prozent, so daß es schon im Hin- blick auf die Zahl nicht möglich ist, von einer Elite zu sprechen. Unter Eliten versteht die Soziologie die kleinen Gruppen von Spitzenkönnern in Wissen- schaft, Kunst, Politik, Wirtschaft usw., die auf Grund ihrer überragenden Fähig- keiten Einfluß auf das Ganze gewinnen. Aus lese dieser Art ist ein natürlicher Lebensvorgang und die Gesellschaft hat in ihren El iten einen wertvollen Besitz. Aber Eliten entstehen durch Leistung im gesellschaftlichen Prozeß , und die Menschen , die ihnen angehören, sind vor ihrer Bewährung in diesem Prozeß nicht zu ermitteln. Fragwürdig wäre es solche Eliten züchten zu wol- len. Wie sollte ein junger Mensch mit dem Bewußtsein , einer Elite anzu- gehören , innerlich fertig werden? Frankreich hat diese Gefahr nicht gescheut. Es gibt dort die bekannten Grandes Ecoles fü r Technik, Landwirtschaft, Lehrberufe, Verwaltung , kurz für jedes Sachgebiet jeweils eine Schule im ganzen Land . Und jeder der wenigen Bewerber wird einem schwierigen Wettbewerb unterzogen , auf den er sich oft jahrelang vorbereitet. Wer aber eine Grande Ecole mit Erfolg durch- laufen hat, trägt diese Auszeichnung durch sein ganzes Leben mit und ist sicher, einmal in eine Spitzenstellung aufzurücken. Solche Eliteschulen sind dem deutschen Schulwesen - abgesehen vom Drit- ten Reich - von jeher fremd gewesen und wir waren stolz darauf . Wenn man dem Gymnasium schon deshalb, weil es nur unter bestimmten Vorausset- zungen besucht werden kann , elitäre Züge nachweisen wollte , dann müßte das auch für Realschulen und Fachschulen gelten, kurz für jede Schule, die gehobene Kenntnisse voraussetzt. Das Gymnasium ist keine Eliteschule und wird sich auch davor hüten müssen, etwas Ähnliches zu werden. Das Wort Elite wird hier zu Unrecht angewendet. Leistung Ähnlichen Mißverständnissen ist der Begriff Leistung ausgesetzt. Auch hier hält die Zahl derer, die den ständigen Rückgang an Leistung beklagen und höhere Leistungen fordern, der Zahl derer, d ie den Leistungsbegriff über- haupt aus der Schule verbannen wollen, die Waage. Während man noch vor wenigen Jahrzehnten Leistung für etwas absolut Positives hielt, ist das Ver- hältnis des modernen Menschen zum Leistungsbegriff empfindlich gestört worden . Woher kommen die schreckhaften Wortbilder wie Leistungsdruck, 83

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