90. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1972/73

gung schlagen bis nach Deutschland. lllich verlangt nicht weniger als die Ab- schaffung der Schulpflicht - man bedenke: Er rührt damit an ein Gut, um das die Menschheit mehr als ein Jahrhundert gekämpft hat. Ferner verlangt er die Abkehr von verordneten Lehrplänen, die Beseitigung des Unterrichtsmo- nopols, ja die Befreiung des Kindes von der Schu le (H. v. Hentig) . Deschoo- ling heißt die Forderung dieser Bewegung, zu deutsch: Entschulung. Ihre Anhänger träumen von einer Gesellschaft ohne Schule. Es wird des gesunden Menschenverstandes bedürfen, um aus der Ver- stiegenheit solcher Ideen wieder zurückzufinden in die Realität des Lebens, und ich könnte mi r vorstellen, daß es gerade die Eltern se in werden, die ihre Kinder nicht an extreme Tendenzen ausl iefern wollen . Wir werden ständig an der Verbesserung unserer Schule arbeiten müssen - nennen Sie es Re- formen! - , aber wir sollten uns weder einem Prozeß völliger Verschulung aussetzen, noch sollten wir uns auf die Vorstellung einlassen, als könnte man Schule im heutigen Sinn überhaupt beseitigen. Wir sind nicht gezwungen, ganz von vorne anzufangen, wie es heute in völligem Pessimismus manchmal ver- langt wird, sondern wir sind vor die Aufgabe gestellt dort weiterzubauen , wo sich die Schule im Augenblick befindet. Allerdings werden wir das rich- tige Augenmaß dafür haben müssen, wieviel Schule im Leben nötig und wie- viel Schule erträglich ist, damit sie dem Menschen nicht verleidet wird. Es ist eine Versuchung der Planer, die Jugend vorauszuprogrammieren auf das Jahr 2000. Und doch wird sich erweisen, daß jede Gesellschaft der Jugend nur das Rüstzeug mit auf den Weg geben kann, über das sie selber verfügt. Ich bin überzeugt, die Generation des Jahres 2000 will ihren Weg selber planen. Uns aber wird man einmal fragen, ob wir unsere Gegenwart richtig geplant haben. Die Jugend will gar nicht in vorgeplante Verhältnisse einrücken, sie will in jeder Generation ihr Leben selbst gestalten. Gesamtschule Noch ,stärker in die aktuelle Auseinandersetzung kommen wir, wenn wir uns der Alternative „ gegliedertes Schulwesen oder Gesamtschule?" zuwenden. Es geht bei dieser Frage nicht mehr um die Schule schlechthin, sondern um die Existenz des Gymnasiums. Seit dem Hamburger Abkommen gliedert sich das Schulwesen nach der Grundschule in drei Gattungen: Hauptschule, Real- schule, Gymnasium. Die integrierte Gesamtschule will diese Dreiteilung auf- heben und die drei Gattungen zu einer organisatorischen Einheit verschmelzen ; große Schulkörper von 1.500 bis 2.000 Schülern sollen entstehen; die äußere Differenzierung nach Schulgattungen soll durch eine Binnendifferenzierung nach Kursen ersetzt werden. Es soll Kern- und Kursunterrfcht geben: Im Kernunterricht ,sitzen alle Schüler ohne Rücksicht auf ihre Begabung in einer Klasse. Im Kursunterricht ist der Altersjahrgang je nach Leistung in Niveau- Kurse A B C aufgegliedert. Die Unterscheidung der zwei großen Schulsysteme ist in den letzten Jahren zu einer Frage erster Ordnung hochgespielt worden und hat zu einer poli- tischen Polarisierung geführt, von der es scheinbar kein Zurück mehr gibt. Und doch kann nur eine sachliche Abwägung die richtige Entscheidung her- beiführen. Die experimentelle Pädagogik hat heute ein reiches Instrumen- tarium zur Verfügung, um durch Messungen die Auswirkung eines Systems zu überprüfen. Diese Überprüfung ist im Gang. Man muß sich bei solchem Testverfahren fragen, was die integrierte Ge- samtschule anstrebt; e,s sind die zwei Ziele: Chancengleichheit für alle Schüler und soziale Integration. Was hat nun die bisherige Begleituntersuchung für diese beiden Ziele ergeben? Die ersten kritischen Auskünfte sind über- raschend: Auch in den neu gebildeten Kursen hohen Niveaus, d. h. in den A-Kursen, 81

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2