85. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1967/68

Regotisierung der Steyrer Stadtpfarrkirche ein Beispiel für die Gesinnung ihrer Zeit Von Univ.-Ass . Dr. Manfred Brand/ 1. VORBEMERKUNGEN Tiefer noch, als die geschichtlichen Änderungen der mensd1weltliche11 Wirklichkeiten am Fortschritt von Technik und Naturwissenschaften ablesbar sind, erfährt man den raschen Wechsel der Epochen an dem Aufeinander künstlerischer, menschwissenschaftlicher, ,. geistes"wissenschaftlicher Gedanken, Leistungen, Systeme, also am Aufeinander kultureller Leistungen und Zu- stände, an der Realität der Verhaltensweisen der Mensd,en zu ihrer nicht- technischen Umweltswirklichkeit. Unbeschadet aller Unwandelbarkeit christlicher Lehre in ihrem eigent- lichen Kern wird man frappiert von der Wandelbarkeit der Akzentsetzungen persönlicher Frömmigkeit, religiöser Ausdrucksformen, besonders der in Li - turgie und noch viel mehr der in sakral gebundener Kunst objektivierten Vorstellungen, in denen der Mensd1 seine religiöse Hinwendung zum Ur- sprung und Ziel in Wort, Musik und bildendem Kunstwerk vergegenständlicht. Diese beiden in aller Kürze umrissenen Gedanken sollen nun an einem uns nahen, greifbaren Beispiel praktisch erläutert werden bzw. zum Ver- ständnis unseres Themas dienen . An Hand der Steyrer Stadtpfarrkirche 1 und der Geschichte ihrer Regotisierung 2 soll dargestellt werden, wie vor etwa 55 bis 110 Jahren - diese Arbeit behandelt die Zeit von 18 54 bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges - ei ne uns ganz fremde Empfindungswelt geherrscht hat, wiewohl jene Zeit nod, ziemlich rezent ist. Wie mancher, mag er auch mancherlei historische Kenntnisse besitzen , der Epoche des Kaisers Franz Joseph (reg. 1848-1916) mit Abneigung, Be- klemmung und Geringschätnmg begegnet, so findet sich der Mensch von heute auch von den damaligen Erscheinungen auf dem Gebiet der Kirchen - kunst meistens befremdet und abgestoßen. 3 Diese Abneigung mag damit be- gründet werden, daß man heute oftmals noch nid1.t in der Lage ist, jener Zeit ihren Eigenwert zuzugestehen. Das schöne und tiefe Wort Lepold von Rankes, daß jede Epoche unmittelbar zu Gott sei, we.Iches manche analoge Ausdeutung zuläßt, kann aus manchen Gründen hinsichtlich jener rezenten Epoche noch nicht sonderlich vollzogen werden. Liegt das an dem tatsächlich unversöhnlichen Gegensatz der Kultur jener Zei t und der heutigen? An der 5

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