85. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1967/68

Empfinden von damals), aber bei vollkommen nichtssagendem Tun. Natürlich fehlen nicht die üblichen Requisi ten: grelles Himmelblau neben dem hellen Braun der Zierarchitektur, Lilien, süßliche Gewänder und unbestimmt fader Ausdruck auf den Gesichtern. Das Fenster kostete 9.000 K, die Steinmetz- arbeit kam auf 951 K zu stehen. Insgesamt betrugen die Kosten 10.733 K. Frau Marie Dellinger, Weißgärberswitwe in der Haratzmüllerstraße, spendete allein die Summe von 6.000 K. 166 Wenn auch unter anderem zwei neutesta- mentliche Szenen (Verkündigung und Heimsudrnng) dargestellt sind, so wird doch der Gnmdtenor des Gemäldefensters in der Verherrlichung bürgerlid1er Tugend, häuslich-braver Frauen und der Erziehung folgsamer Kinder zu suchen sein. Aus dem Kirchenvermögen wurde 1904 das kleine Fenster „ Taufe Jesu" in der Taufkapelle (Turmkapelle) angeschafft. Es kostete 830 K. 167 Die beiden westlichsten Langhausfenster über der Musikempore hatten bis 1904 kein Maßwerk. Die Verglasung war mit eisernen Stangen zusammengehalten. 1904 wurde hier Maßwerk geschaffen, das Woldrich aus Margaretenstein verfertigte. Die neutralen Butzensd1eiben, deren Farbe und Eigenart aber sehr bewußt dem Zeitgesdnnack angepaßt sind, stammen von Carl Geylings Erben. Die Fenster kosteten 1 .211 K, die Steinmetzarbeit 2.940 K, Gerüste 639 K, Maurerarbeiten 164 K. 168 Auch diese Auslagen wurden aus dem Kirchenvermögen bestritten, da nicht genug Geld für Glasgemälde zur Ver- fügung stand, 167 wodurch die obige Bemerkung gestützt wird, daß der Fen- sterfond in das Fenster der Frauenschaft Steyrs geflossen war. An Hand des 1904/ 06 geschaffenen kleinen Fensters über der Stiege zum Musikchore können wir die naive Kunstkritik an neugotischen Fenstern demonstrieren. Josef Harter, ein Steyrer Postbeamter und auch aus Steyr gebürtig, 169 hatte den Entwurf geschaffen. Das Fenster stellt die Auffindung J esu im Tempel dar. Das Fenster wurde von der Tiroler Glasmalerei- und Mosaikanstalt Innsbruck in deren Filiale in Wien geschaffen. Es kostete 1.675 K. Die Gesamtkosten mit den Steinmetzarbeiten (282 K) kamen auf 2 .259 K und wurden aus dem Fensterfond bestritten, der damit erschöpft war. 170 Der Alpenbote 171 wußte folgende Kunstkritik von sich zu geben: 22 .,Das neue Glasfenster für die Steyrer Stadtpfarrkird1e, zu welchem Ma- ler Josef Harter den Entwurf ausarbeitete, bietet ein schönes Problem modern-gotisd1er Malerei, eine Fülle harmonischer Farben und eine edel gehaltene Komposition, kurz ein Werk von wahrhaft klassischer Schön- heit. Die dem Stile der Kirche angemessene Glasarchitektur steigt von den untersten, ard1itektonisd1 reich.gegliederten Feldern in perspektivi- scher Vereinfad1U11g schlank und kühn nad1 oben, bis seibe in den luf- tigsten Fialen und Wimpergen ausläuft. Der Entwurf offenbart die voll- ste Stilreinheit echtgotischer Kunst, die schönen Proportionen, die pein- lid1ste Stilisierung, womit der Künstler selbst Feuer, Rauch, Wolke und Meereswoge in stilgerechte Fo1111en bahnt, legen ein beredtes Zeugnü von hoher Auffassungsgabe der Gotik ab. Josef Harter ist ein Kolorist ersten Ranges geworden. Das Ganze besteht aus einer l111Zahl von Nuan- cen, in einem der deutschen Glasmalerei eigenen warmen Ton gekleidet, jedes Bild ist dabei für sich abgeschlossen, während das Gesamte eine entzückende Farbenkomposition bietet, die auf den Besdrnuer den wohl- tuendsten Eindruck ausübt. Mathematisd1 berechnet der Künstler seine

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