85. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1967/68

„Ihre erhabenste Größe ergibt sich . . . in der geistigen Gewagtheit ihrer körperlichen Ausführung. Die Idee ist eine eigentümlich deutsche, eine aus der Geburtszeit unsrer Nation wieder geträumte. Wir finden nämlich im gothisd1en Dome den deutschen Eichenwald, das düstere Laubgewölbe und die heilige Stille des Druiden.haines wieder. . . Alles verrät d.ie Geschichte, die Größe und Gemütsart des deutschen Sinnes ... erhabenste Einfachheit ... " So sei ein gotisches Gotteshaus die Hülle, in welcher man sich am leichtesten mit Gott vereinen könnte, und Feinde der Gotik werden rasch abgekanzelt: „Ziehen solche doch lieber eine Kirche mit bunten Tändeleien und mit den gemischtesten Bildern, dass sie wie eine ungeordnete Gemäldegalerie aussieht, ... vor, eben weil sie nicht fähig sind, eine wahrhaft christliche Andacht, die im Herzen und nicht in den Augen entspringt, zu fassen!" Dabei ist die Komposition des Altares absolut ungotisch! Das Verfehlen eines gotischen Charakters schon in der Zusammensetzung der Aufbauele- mente ist überhaupt charakteristisch für die meisten, ja fast alle neugotischen Alttäre. Alte Flügelaltäre sind einfach gegliedert in einen Unterbau (Pre- della), den meist mit Figuren oder geschnitzten Szenen geschmückten Schrein mit beweglichen Flügeln mit Gemälden oder Reliefs, und über dem Schre in das Gesprenge mit seinen Figürd1en. So wenigstens hierzulande. Im Steyrer Votivaltar hingegen haben wir eine funktionslose Konstruktion unter Ver- wendung gotisierender El emente, und in die ganze Sache sind einige Figuren eingestreut. Dennoch lobt e die „Leipziger Illustrierte Zeitung" 18 58, Nr. 777 vom 22. Maj, 30 das Werk über alles. Dieser Altar im „altdeutsd1en Style" suche an „Schönheit, Pracht, Reichthum und Reinheit des Styles unter allen Kunstwerken älterer und neuerer Zeiten dieser Gattung wohl seines gleichen" un.d werde „zum wenigsten unübertroffen dastehen" . Die Architektur des Altars ist steinfarben angestrichen, die Ornamente vergoldet, die Figuren farbig gefaßt. Gedanke und Entwurf stammen vom BildJ,auer Adolf Guggen- berger, die Arcliitektur und Ornamentik aus den Werkstätten des Meisters Kronenbitter in München. Am Antependium (der Altartischvorderwand) sind die vier Evangelisten dargestellt. Über dem Tabernakel ist ein den Altar beherrschender Kruzifixus , zu seinen Füßen sind Maria und Johannes. Zu beiden Seiten sind Ägid (rechts) und Koloman (links) als Kirchenpatrone. Oben im Altar sind Gottvater, Petrus und Paulus. Zwischen den beiden Hauptgruppen stehen vier Engel mit Leidenswerkzeugen. Nur die Figuren stammen von Fidelis Schönlaub, bei dem die Stadt aber den ganzen Altar in Auftrag gegeben hatte. 30 Barock waren auch einst der Kreuzweg und die Statuen aus der Zeit um 1650-1670 auf den Pfeilern, welche reizvoll gewirkt haben mögen. J. 8 57 warf man beides h.inaus. Die Statuen konnten um 144 fl veräußert wer- den.31 Nun wurde die Kirche ausgefärbelt. Im Spätherbst J.857 liefeTte Carl Hildebrand aus München für das Presbyterium, dessen in der Barockzeit ve r- mauerte Vorderfenster freigelegt wurden, sieben bunte ornamentale Glas- fenster. Die drei Hauptfenster in der Mitte wurden vom 2 . bis 14. Novem- ber 1857, die vier Seitenschiffenster vom J0. bis 24. Dezember 1857 e:in- gesetzt.32 Diese Fenster kosteten 3.668 fl 36 kr, doch verzögerte sid1 aus Geldmangel die volle Bezahlung dieser Summe so sehr, daß der provisorisd,e 10

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