84. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1966/67
Zusage: K. H. Waggerl antwortete, daß unser erster Brief in der Weihnachts- post untergegangen sei, daß wir ihm aber selbstverständlich herzlich will- kommen wären. Endlich war es soweit! An einem unfreundlichen Märztag, an dem es abwechselnd regnete und schneite, fuhren wir los. Erste Raststation war Salz- burg. Dort war das Wetter so schlecht, daß wir Sehenswürdigkeiten kaum, Konditoreien und Kaffeehäuser dafür umso ausgiebiger besichtigten. Nachmittags kamen wir im winterlichen Wagrain an. Dir. Dr. Engelhardt, Prof. Streicher und einige von uns holten K. H. Waggerl von seinem Heim ab. Wir bedauerten sehr, daß wir nicht in seinem Haus bleiben konnten, da wir denn doch zu viele waren. Es galt nun, ein nettes Lokal für unsere Zusammenkunft zu finden. Ausgerüstet mit einem Tonbandgerät und vielen Waggerl-Büchern machten wir uns auf die Suche. Es schien, als ob wir kein Glück hätten: im ersten Gasthaus - Herr Waggerl hatte es vorgeschlagen - jagte man uns aus, vielleicht, weil unser Tonbandgerät eine Konkurrenz für die Musikbox darstellte, vielleicht, weil man ernsthafte Gespräche dort nicht schätzte. Halb erbost und halb belustigt suchten wir weiter. K. H. Waggerl wählte dann selbst eine andere, gastlichere Stätte aus. Zunächst erzählte K. H. Waggerl ein wenig über sein Leben: Wie er als junger Lehrer nach Wagrain gekommen war (aus dieser Zeit seien noch einige Analphabeten in Wagrain übriggeblieben, wie er schmunzelnd fest- stellte), wie er zuerst in verschiedenen Zeitungen Geschichten veröffentlichte und schließlich zu dem wurde, was er heute ist. Hierauf las er uns eine seiner köstlichen Geschichten vor; nur K. H. Waggerl selbst kann seine Werke richtig bringen, denn seine tiefe Stimme und die Art seines Vortrages ver- leihen ihnen das gewisse Etwas, das seine Geschichten so ansprechend macht. Hernach plauderten wir noch über dies und das. Herr Waggerl bedauerte unseren Klassenvorstand, daß er einem solchen „Schwarm von Hornissen" Latein beibringen müsse. Bevor wir auseinandergingen, mußte der Dichter - unvermeidlich! - in die vielen mitgebrachten Bücher sein Autogramm setzen. Höhepunkt des Besuches war zweifellos die Geschid1te, die uns K. H. Waggerl erzählte. Ganz richtig: erzählte, obwohl er sie eigentlich vorlas. Doch in seiner Stimme und in seinen Gesten liegt so viel Persönlichkeit, daß es weit mehr als ein bloßes Vorlesen war. In dem Gasthaus, wo wir zusammengekommen waren, gab es einen Engel, der schon sehr alt und ein bißchen beschädigt war. Wie nun dieser Engel hierher kam, erzählte uns K. H. Waggerl. Vielleid1t darf man nid1t sagen uns, denn eigentlich erzählte er sie der neugierigen kleinen Therese, die alles so genau wissen wollte. Der Engel war nämlich früher ein Schutz- engel gewesen. Das war eine schwierige Aufgabe für ihn, weil er doch so klein war. Schließlich wurde es ihm zum Verhängnis , daß er „so gern auf Christbäumen hutschte " - aber das lesen Sie am besten bei K. H. Waggerl selbst. K. H. Waggerl hat uns einen tiefen Einblick in den Lebensraum gegeben, aus dem er den Stoff für seine Gesd1id1ten schöpft. Dies ist umso wimtiger, als uns, die wir in der Stadt leben, diese Umgebung doch ganz fremd ist. K. H. Waggerl sprad1 nicht gerade viel an diesem Nachmittag. Ein Außen- stehender hätte vielleicilt sogar den Eindruck gehabt, er sei nur halb beteiligt. Plötzlim aber wurde aus einer kleinen treffenden Bemerkung, aus einem 46
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