84. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1966/67
Als AFS-Student in USA Es ist nun ein Jahr her, als ich die Nachricht erhielt, daß meine Bewerbung um ein AFS-Stipendium von New York angenommen wurde. Ich sollte also das Schuljahi· 1966/ 67 in den USA verbringen und zwar in Richmond, der Hauptstadt des Bundesstaates Virginia. Das American Field Service (AFS) ist im Ersten Weltkrieg als Freiwil- ligen-Rettungskorps entstanden mit dem Ziele, Verwundeten zu helfen und durch das Beispiel die Welt zum Frieden aufzurufen. Nach dem Zweiten Welt- krieg beschlossen die Mitglieder des AFS, ein Friedensprogramm zu verwirk- lichen, indem Mittelschüler verschiedener Länder in die USA eingeladen wer- den, um das Leben einer amerikanischen Familie, das Land und seine Sitten und Probleme kennen zu lernen. Ebenso kommen amerikanische Studenten für ein Jahr, bzw. während der Ferien, in andere Länder. Durch diese persönlichen Kontakte soll das Verständnis der Menschen aus verschiedenen Völkern, für ihre Lebensgewohnheiten und für ihr Denken gefördert werden. Bis zu meiner Abreise am 6. August 1966 waren meine Gedanken auf das kommende Erlebnis gerichtet. Zusammen mit ca. 60 gleichaltrigen Studenten ging die Reise von Wien nach Rotterdam. Dort begann für rund 1000 Stu- denten aus den verschiedenen Ländern Europas die Überfahrt nach New York auf der „Seven Seas", einem Schiff der Europa-Canada-Linie. Die Zeit ver- ging uns sehr rasch mit Vorführungen der einzelnen europäischen Nationen, mit Vorträgen, Spielen, Sport, Tanz und Konversation. Es herrschte eine wun - dervolle Atmosphäre und es tat allen leid, auseinander zu gehen , als wir das Schiff verlassen mußten. Die Ankunft in Amerika war sehr aufregend. Wir sahen bei der Einfahrt in den Hafen von New York riesige Industriegelände, hohe Wohnblocks , die Freiheitsstatue und endlich die Skyline, welche in Wirklichkeit noch impo- santer ausschaut als auf den Bildern. Nach den langwierigen Formalitäten der Einreise wurden wir auf Autobusse verteilt. Ich fuhr von New York in einem Greyhound-Bus auf einer der Highways (Autobahnen) , die mehrbahnig das ganze Land überziehen, nach Süden, über Washington nach Richmond, in wel- cher Stadt id1 nun ein ganzes Jahr verbringe. Virginia an der Ostküste der USA liegt ungefähr in der Mitte zwisd1en den kalten Regionen Neuenglands und den heißen Sümpfen Floridas, etwa in der geographischen Breite Siziliens. Das Land ist keinesweg eben, es ist eine bewaldete Hügellandsdiaft, in mand1er Hinsid1t ähnlich der Umgebung von Steyr, nur fehlen die hohen Berge im Hintergrnnd. In der warmen Jahreszeit ist es sehr heiß und feucht in Richmond, da die Stadt am James River nahe der Chesapeake-Bay liegt. Man hat daher überall Klimaanlagen, sogar in den Autos. Der Winter ist allgemein mild, aber manchmal erreichen Ausläufer der von Norden kommenden Schneestürme auch unsere Gegend . Man hat mir ge - sagt, daß es seit vielen Jahren hier nicht mehr so viel Schnee gegeben hätte wie im heurigen Winter. Es mußte sogar an einigen Tagen der Schulbesuch ausfallen. Das gesamte Wohngebiet von Rid1mond umfaßt 1 Million Menschen, im Zentrum der Stadt leben über 200.000 Einwohner. 22
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