82. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1964/65

Über Anfänge und frühe Entwicklung einer Stadt zu schreiben ist keineswegs die leichteste Aufgabe, die man sich stellen kann. Es möge aber niemandem sinnlos erscheinen, eine Frühgeschichte von Steyr zu versuchen: Wenn man mit der Stadtgeschichte bekannt wird, gelangt man bald zur Einsicht, daß die heutige Eigenart der Stadt ein Produkt ihrer historischen Vergangenheit und in vielem gerade von den Anfangszuständen abhängig ist. Obwohl die steiri- • sehen Otakare vor fast 800 und mehr Jahren im „castrum stire" ihren Sitz hatten, ist selbst das heutige Steyr gar nicht unbeeinflußt von der Entwicklung vor 1192. Die spätere Entwicklung der Stadt wurde damals mit dauerhaften Grundlagen versehen: insbesondere was z. B. die gesellschaftliche Schichtung bis zur Industrialisierung, Handel und Gewerbe in ihrer Ausrichtung auf den Erzberg hin, das Kirchenwesen oder den Grundriß des Stadtkernes betrifft. Wenn wir den heutigen status der Stadt verstehen wollen - der Stadt in ihrer historischen kulturellen, wirtschaftlichen Komplexität - so müssen wir versuchen, den Wurzeln näherzukommen, aus denen die weitere Entwicklung begreiflich wird. So ist es notwendig geworden, die Grundlagen der Stadt und ihre allmähliche Entwicklung durchzudenken, wenn auch mit dem vorliegenden Versuch mcht das letzte Wort zu diesem Thema gesprochen sein wird. Verschiedene Betrachtungsweisen der Geschichte - Stadtplanforschung, Kirchen-, Kunst-, Siedlungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte müssen in der hier behandelten Stadtgeschichte ebenso stark zum Zug kommen wie die „politische" Geschichte. Vereint müssen sie uns zum bleibenden Rätsel der Entstehung und zur frühen Geschichte einige Aspekte eröffnen. Valentin Preuenhueber hat schon um 1625 - 1630 gültige Ansichten über den Ursprung Steyrs geäußert,') welche mit Recht von späteren Historikern kritiklos übernommen werden konnten, so von F. X. Pritz (1837), A. Rolleder (1894), H. Pirchegger (1920), A. Hoffmann (1932, 1952), 1. Zibermayr (1944) und J. Ofner (1956). Preuenhueber setzte sich auch mit älteren Meinungen, die Stadtgründung betreffend, auseinander!) Schon er bemerkte, daß Steyr keine Gründungsstadt ist:3) Eine Anlage der Siedlung in unbesiedeltem Raum liegt nicht vor. DIE ZEIT VOR DER ERBAUUNG DER STIRABURG Es überstiege die Begrenzung des Themas, wollten wir von den f r ü h g es c h i c h t 1 i c h e n F u n d e n in und mn Steyr berichten und sie zu deuten versuchen. Wohl beweisen sie eine Besiedlung der Gegend oder wenigstens eine vorübergehende Anwesenheit von Menschen in sonst quellenloser Zeit, doch wurde keine prähistorische Siedlung erschlossen, welche eine Grundlage für die spätere Siedlung stiria gegeben hätte oder von der gar eine kontinuierliche Entwicklung zu unserem Steyr geführt hätte. Kein Hinweis gestattet uns die Annahme einer r ö m e r z e i t 1 i c h e n Siedlung auf Steyrer Boden, sofern nicht die Bedeutung des Stadtgebietes als natürlicher Landschaftsmittelpunkt und seine Entfernung von einem Tagesmarsch von Lauriacum eine Wegstation vermuten lassen. Der wichtigste über- ') Valentin Preuenhueber, Anna/es Styrenses (Nürnberg 1740), S. 3-12. 2) Preuenhueber, Anna/es (Anm. 1), S. 4 f. 3) Preuenhueber, Anna/es (Anm. 1), S. 6. 5

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