82. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1964/65

1964-65 Bundes gymnas1um Bundesreal gymnas1um Steyr

1964-65 Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium Steyr

AUS DEM INHALT 1. Manfred Brand/: Zu den Anfängen und der frühen Entwicklung von Steyr 2. Dr. Franz A/rnmmer: Die Stellung der Physik in Unterricht und Erziehung an den allgemein bildenden höheren Schulen 3. Aus dem Leben der Schulgemeinschaft Herausgegeben von der Din�ktion des Bundesgymnasiums und Bundesrealgymnasiums Steyr im Juli 1965 - Für den Inhalt verantwortlid,: Prof. Viktor Tr:mtwein Druck: Vereinsdruckerei Steyr

ZU DEN ANFÄNGEN UND DER FRÜHEN ENTWICKLUNG VON STEYR MANFRED BRANDL M a n f r e d Br and I hat 1 960 an unserer Schule maturiert, war dann I Jahr in den USA und ist eben jetzt daran, das Studium der Geschichte mit dem Doktorat abzuschließen. Der vorliegende Aufsatz steht in Zusammenhang mit seiner Mitarbeit am .,Österreichischen Städtebuch". Er hat den Artikel nach Fertigstellung seiner Dissertation über das Innerberger Eisenwesen von 1 780-1789 geschrieben. Wir danken Herrn Brand!, daß er diesen besonders interessanten Aufsatz zur Verfügung gestellt hat.

Über Anfänge und frühe Entwicklung einer Stadt zu schreiben ist keineswegs die leichteste Aufgabe, die man sich stellen kann. Es möge aber niemandem sinnlos erscheinen, eine Frühgeschichte von Steyr zu versuchen: Wenn man mit der Stadtgeschichte bekannt wird, gelangt man bald zur Einsicht, daß die heutige Eigenart der Stadt ein Produkt ihrer historischen Vergangenheit und in vielem gerade von den Anfangszuständen abhängig ist. Obwohl die steiri- • sehen Otakare vor fast 800 und mehr Jahren im „castrum stire" ihren Sitz hatten, ist selbst das heutige Steyr gar nicht unbeeinflußt von der Entwicklung vor 1192. Die spätere Entwicklung der Stadt wurde damals mit dauerhaften Grundlagen versehen: insbesondere was z. B. die gesellschaftliche Schichtung bis zur Industrialisierung, Handel und Gewerbe in ihrer Ausrichtung auf den Erzberg hin, das Kirchenwesen oder den Grundriß des Stadtkernes betrifft. Wenn wir den heutigen status der Stadt verstehen wollen - der Stadt in ihrer historischen kulturellen, wirtschaftlichen Komplexität - so müssen wir versuchen, den Wurzeln näherzukommen, aus denen die weitere Entwicklung begreiflich wird. So ist es notwendig geworden, die Grundlagen der Stadt und ihre allmähliche Entwicklung durchzudenken, wenn auch mit dem vorliegenden Versuch mcht das letzte Wort zu diesem Thema gesprochen sein wird. Verschiedene Betrachtungsweisen der Geschichte - Stadtplanforschung, Kirchen-, Kunst-, Siedlungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte müssen in der hier behandelten Stadtgeschichte ebenso stark zum Zug kommen wie die „politische" Geschichte. Vereint müssen sie uns zum bleibenden Rätsel der Entstehung und zur frühen Geschichte einige Aspekte eröffnen. Valentin Preuenhueber hat schon um 1625 - 1630 gültige Ansichten über den Ursprung Steyrs geäußert,') welche mit Recht von späteren Historikern kritiklos übernommen werden konnten, so von F. X. Pritz (1837), A. Rolleder (1894), H. Pirchegger (1920), A. Hoffmann (1932, 1952), 1. Zibermayr (1944) und J. Ofner (1956). Preuenhueber setzte sich auch mit älteren Meinungen, die Stadtgründung betreffend, auseinander!) Schon er bemerkte, daß Steyr keine Gründungsstadt ist:3) Eine Anlage der Siedlung in unbesiedeltem Raum liegt nicht vor. DIE ZEIT VOR DER ERBAUUNG DER STIRABURG Es überstiege die Begrenzung des Themas, wollten wir von den f r ü h g es c h i c h t 1 i c h e n F u n d e n in und mn Steyr berichten und sie zu deuten versuchen. Wohl beweisen sie eine Besiedlung der Gegend oder wenigstens eine vorübergehende Anwesenheit von Menschen in sonst quellenloser Zeit, doch wurde keine prähistorische Siedlung erschlossen, welche eine Grundlage für die spätere Siedlung stiria gegeben hätte oder von der gar eine kontinuierliche Entwicklung zu unserem Steyr geführt hätte. Kein Hinweis gestattet uns die Annahme einer r ö m e r z e i t 1 i c h e n Siedlung auf Steyrer Boden, sofern nicht die Bedeutung des Stadtgebietes als natürlicher Landschaftsmittelpunkt und seine Entfernung von einem Tagesmarsch von Lauriacum eine Wegstation vermuten lassen. Der wichtigste über- ') Valentin Preuenhueber, Anna/es Styrenses (Nürnberg 1740), S. 3-12. 2) Preuenhueber, Anna/es (Anm. 1), S. 4 f. 3) Preuenhueber, Anna/es (Anm. 1), S. 6. 5

lieferte Römerfund ist der 1297 gefundene Münzschatz.4) Solche Funde weisen auf unruhige Zeiten hin; das Sicherheitsgefühl ist geschwunden und man vergräbt seine Habe. Der Steyrer Fund berechtigt zur Annahme menschlicher Ansiedlung in der Umgebung, falls die Münzen nicht bloß während der Flucht in bedrängter Lage dem Erdboden anvertraut worden waren. Die römische Zivilisation in unserem Raum fand in den Wirren der Völkerwanderung ihr Ende. Die bairische Landnahme, die sich in sehr unklarer Weise vollzog, wurde jedenfalls durch den Einfall der Awaren um 700 aufgehalten. Bischof Arbeo erzählt, daß es zwischen den Awaren („Hunnen“) und Baiern zum Streit kam, daß die „Städte“ zu beiden Seiten der Enns zerstört und fast verlassen, die Wälder den wilden Tieren preisgegeben waren und niemand mehr die Gegend zu betreten wagte. Lorch wurde damals zerstört. Die Baiern waren damals nicht in der Lage, sich an der Ennslinie festzusetzen und sie zu halten.5) Nach dem Awarenvorstoß um 700 liegen durch fast ein Jahrhundert keinerlei urkundliche Nadirichten über den Zentralraum Oberösterreichs vor. Die Ortsnamen lassen nun erkennen, daß weite Gebiete des Landes von slawischer (karantanischer) Siedlung durchsetzt wurden. Rein slawi- sdie Siedlungsgebiete waren der Alpenrauni Oberösterreichs, die Täler der Enns und Steyr, die Teichl, Krems, Alm, Traun und Ischl. Die Siedler kamen von Süden her über die Alpenpässe oder von Osten über die Enns in das weithin noch unbesiedelt gebliebene Waldgebiet der Traun-Enns-Platte.6) Namen der engsten Umgebung stammen aus der Slawenzeit, dem 8. Jahrhundert: Dietach, Raming, Garsten, Sarning, Sierning.7) Freilich, der Flußname und die Örtlichkeitsbezeichnung stiria — die in die Keltenzeit zurückreichen8) — wurden von den Slawen nicht verdrängt, sondern weitertradiert. Ob sich die Slawen des 8. Jahrhunderts im engsten Bereich der Stadt niedergelassen haben, vermag man nicht zu sagen. Eine erste Konsolidierung des Gebietes können wir für die 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts annehmen. Noch in der frühesten Karolingerzeit war das Land zwar von Awaren ständig bedroht, aber deswegen kann man eine — den damaligen Verhältnissen entsprechend — agrarisch-naturalwirtschaftlich eingestellte Bevölkerung im Gebiete nicht ausschließen. Das nahe Kloster Krem s- Münster wurde 777 gegründet und war ein Mittelpunkt für die Erschlie4) Rudolf Noll, Römische Siedlungen und Straßen im Limesgebiet zwischen Inn und Enns (Oberösterreich) (Der römische Limes in Österreich XXL Wien 1957), S. 76 /. 5) Franz Pfeffer, Das Land ob der Enns (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs, Linz 1958), S. 145. 6) Pfeffer, Land ob der Enns (Anm. 5), S. 147. 7) Eberhard Kranzmayer, Die Besiedelung der Umgebung von Steyr im Lichte der Ortsnamen. Veröff. des Kulturamtes der Stadt Steyr (März 1953), S. 62—78. Über die Slawensiedlung in Dietach gibt die „Gründungsurkunde“ von Kremsmünster (777) Hinweise: . . . tradimus et XXX sclauos ad Todicha cum opere fiscali seu tributo iusto. Tradimus autem et terram, quam illi sclaui cultam feccrant sine consensu nostro infra qui vocatur forst ad Todicha et ad Sirnicha. Urkundenbuch des Landes ob der Enns 2 (1856), S. 3. °) Mündl. Mitt. Univ.-Prof. Dr. Kranzmayer. 6

Bung des Gebietes. Die Gründungsurkunde, die in der überlieferten Form’) nicht das Original wiedergibt,10) gewährt allerdings nur für die an das Stift überwiesenen Gebiete Einblick in den Stand der Siedlung auf der noch weithin mit Wald bedeckten Traun-Enns-Platte.11) Das Gebiet nördlich des Unterlaufes der Steyr hinüber zur Enns wurde 777 als Rodungsbezirk Dietach dem Stift zugewiesen.12) Die Ortsnamenforschung beweist nach E. Kranzmayer13) einwandfrei, daß seit der Spätantike eine ununterbrochene schriftliche Überlieferung des erschlossenen ursprünglichen Örtlichkeitsnamens *stiria besteht, wie er auch in den Urkunden seit dem 12. Jahrhundert verwendet wird (styria, stiria). Lautgesetzlich mußte nämlich die alte Form ‘stiria zu ‘stirre bzw. ‘stirra werden (ca. 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts).14) Die Formen Stira, Styra finden sich auch oft in mittelalterlichen Urkunden. Dies kann bedeuten, daß schon in der Zeit der Spätantike der Name stiria bestanden hat. Wir wollen uns aber nicht zur Behauptung versteigen, daß dies allein schon das Bestehen einer Ansiedlung in jener Zeit — oder in der Zeit des oben angeführten Lautwandels — beweist. Es ist ja auch denkbar, daß das Mündungsgebiet der Flüsse Enns und Steyr, ein markanter Punkt in der Landschaft, für sich genommen und ohne menschliche Niederlassung den Namen Stiria getragen hätte. Markante Punkte in der Landschaft tragen schließlich meistens alte Namen. Stiria heißt nach E. Kranzmayer „das zur Hemmung (Stauung) gehörige" und ist wohl ein keltisches Adjektiv. Die Endung —ia ist ein fern. Zueignungssuffix. In der Spätantike hatte also der Fluß Steyr bereits seinen Namen, der von der indogermanischen Wurzel *stir-os (Hemmung, Stauung) abgeleitet war.15) Wir wollen noch drei frühe, verschollene Berichte über die Entstehung von Steyr betrachten, die schon der für seine Zeit wissenschaftlich bemerkenswert nüchterne Preuenhueber verwarf.16) „Derjenige, so der Grafen von Steyer Genealogiam zusammengetragen" gab an, Steyr sei 412 von Winulphus, einem Heerführer des Alarich, gegründet worden.17) Der Genealoge weiß zwar, wann Alarich gelebt hat, aber diese Meinung — eine gelehrte Fiktion, wie sie das Mittelalter und die Zeit des Humanismus so häufig kennen, — ist zu phantasievoll, als daß ein Wahrheitsgehalt darin stecken könnte. Laurenz Pichler weiß nach unserem Chronisten von einer „Erhöhung zu Zeiten Karls des Großen“.18) Eine Stadtgründung oder eine Erhebung kann für diese Zeit, die agrarisch-naturalwirtschaftlich eingestellt war und ein Städtewesen im spätmittelalterlichen Sinn nicht im entferntesten kannte, nicht in Betracht kommen. An anderer Stelle be- ’) Urkundenbuch des Landes ob der Enns 2 (1856), S. 2—4. 10) Heinrich Fichtenau, Die Urkunden Herzog Tassilos III. und der „Stiftbrief“ von Kremsmünster. Mitt. des Instit. für Geschichtsforschung LXXl (1963), S. 1-32. ") Pfeffer, Land ob der Enns (Anw. 5), S. 150. ,2) Pfeffer, Land ob der Enns (Anm. 5), S. 81. 13) vgl. Kranzmayer, Besiedelung (Anm. 7). 14) Münd!. Mitt. Univ.-Prof. Dr. Kranzmayer. 15) Erst 1963 wurden Univ.-Prof. Dr. Kranzmayer indogermanische Wurzel und Bedeutung des Namens Steyr bekannt. 16) Preuenhueber, Annales (Anm. 1), S. 4 f. 17) Preuenhueber, Annales (Anm. 1), S. 5. ”) Preuenhueber, Annales (Anm. 1), S. 4. 7

richtet Preuenhueber: „In den Actis und Schrillten die Eysen-Handlung concer- nierend, bey Zeiten des allhie gewesten Stadt-Schreibers Melchior Hebbers abgeführt, wird der Stadt Steyer Anfang gleich bald in annum Christi 800. gesetzt, und darbey gemeldt, daß auch von solcher Zeit an die Eysen-Handlung daselbst schon im Gebrauch gewesen sey".1’) Den drei „Meinungen“ konnte Preuenhueber nicht beipflichten, „sintemahlen . . . bekannt, daß . . . wegen der Hunnen (d. h. Awaren) und Ungern stätigen Überfällen, bis zu Kayser Otten des Grossen Zeiten . . . fast keine Christen mehr in der Revier um die Ennß gewohnt haben, Ja daß noch tempore Ottonis III. dieser Ort mehr Wald als Land ge wesen seye.“20) Nach H. Pirenne kommt keine Gesellschaft ganz ohne einen kleinen Markt für den lokalen Handel aus.21) Dies darf auch für unser Gebiet in der Karolingerzeit gelten. Wichtig für die Entstehung eines solchen primitiven Marktes, oder die Ausgestaltung eines Ortes zu einem Platz des Warenaustausches, war die Verkehrslage der Örtlichkeit an einer oder mehreren wichtigen Handelsstraßen (günstig war die Lage an einer alten Römerstraße). Vor allem die Lage an Kreuzungen, Brücken oder sonstigen Übergängen war günstig.22) In Steyr fanden schon in quellenloser Zeit Wege zusammen. Die Altstraßen des Gebietes von Steyr und Umgebung wurden bereits von H. Jandaurek23) eingehend behandelt. Selbst er vermochte ihr Alter nicht zu deuten, doch folgern wir seinen Ausführungen, daß die Altstraßen in der Römerzeit die beste Ausbildung erfuhren. Teilweise sind sie wohl noch ältere Wege. Der Verlauf von Straßen entspricht natürlichen Gegebenheiten des Geländes und der damit verbundenen menschlichen Siedlung. Bemerkenswert ist aber der von natürlichen Verkehrslinien oft unabhängige Verlauf. Am klarsten erkenntlich scheint die Bedeutung des West-Ost-Zuges des „Steyrer Flötzerweges“, der von Osten her etwa im Zuge der heutigen „Voralpenbundesstraße" dem Stadtgebiet zustrebte. Pascher24) nennt diese Verkehrslinie unter den römischen Straßen zweiter und dritter Ordnung (Vizinalstraßen). Der Weg verlief jedenfalls über Mauer a. d. Uri und Aschbach und traf, mit einer von Behamberg kommenden Altstraße vereinigt, etwa 2 km nordöstlich von Steyr, nahe der Mündung des Ramingbaches, bei Ramingsteg, die Enns. Bei der Rederinsel etwa dürfte der Flötzerweg die Enns überquert haben, da ungefähr dort die beste Furt lag. Weiter verlief der Weg nach Jandaurek25) einerseits durchs Ort in das Steyrdorf, das er als ältesten Teil Steyrs betrachtet. Eine Abzweigung führte von der Furt über den Posthofberg, Stein, Gleink, Nieder- gleink, Dietach, Hargelsberg weiter nach Lorch. Aber andere Ennsübergänge ”) Preuenhueber, Annales (Auw. 1), S. 4. 20) Preuenhueber, Annales (Anm. 1), S. 5. 21) Henri Pirenne, Geschichte Europas. Von der Völkerwanderungszeit bis zur Reformation (Frankfurt a. A4. 1961), S. 87. 22) Alfred Hoffmann, Wirtschaftsgeschichte des Landes Oberösterreich Bd. 1 (Salzburg—Linz 1952), S. 47. 23) Herbert Jandaurek, Die Altstraßen an der unteren Enns und im Raume von Steyr. Mitt. d. Oö. Landesarchivs 3 (1954), S. 104—140. 24) Gertrude Pascher, Römische Siedlungen und Straßen im Limesgebiet zwischen Enns und Leitha (Der römische Limes in Österreich XIX, Wien 1949). 25) Jandaurek, Altstraßen (Anm. 23), S. 120. 8

zwischen dem Eintritt des Flusses in das Alpenvorland und seiner Einmündung in die Donau sind nach Jandaurek wichtiger als die Furt bei Steyr gewesen. Die Fortsetzung der nach der Enns ziehenden Straße von Steyr nach Süden führte vorerst wohl nach Garsten. Der älteste Verkehrsweg dorthin sei wohl jener, der durch das Kraxental führt.26 ) Von Garsten hätte eine Altstraße zu einem römerzeitlichen Ennsübergang bei Ternberg, eine andere über die Saaß nach Aschach und weiter geführt.2 7) Von der vennuteten Furtstelle bei der Rederinsel über das Ort, die Kirchengasse und die Wolfernstraße weiter über Maria-Laah zieht Jandaurek eine Altstraße in den Linzer Raum; ebenso ist nach ihm der Mehlgraben ein „erkennbarer Altstraßenrest. 28 ) Von Westen her kommt die Salzstraße, der vielleicht vorrömische Verkehrsweg von Gmunden nach Steyr. Fernhandel, vor allem mit Salz, wie er etwa über diese Straße ging, hat allgemein besonders anregend gewirkt auf die Entstehung von Handelsorten. An oder nahe dieser Alpenrand-Fernstraße und ihrer Kreuzung mit Nord-Südwegen in die Alpentäler liegen die in der Kremsmünsterer „Gründungsurkunde" genannten Orte!29) Die Salzstraße wurde unweit der Stadt von einer von Wels über Kematen verlaufenden Straße30) .getroffen. Jandaurek betrachtet die Sierninger Straße im Stadtgebiet als sehr alten Verkehrsweg. Ein Höhenweg führt von Weyer durch die Hügelwelt östlich der Enns unter ungeklärtem Verlauf weiter nach Albing und Lorch. Das Ennstal hat in ältester Zeit nur geringe Verkehrsbedeutung gehabt.31) Aus dem Gesagten geht hervor, daß der Stadtbereich ein natürlicher geographischer Mittelpunkt der näheren Umgebung war. Dieser Treffpunkt mehrerer Verkehrswege war vorherbestimmt, ein Austauschmittelpunkt zu werden. Jandaurek sucht aber die Bedeutung von Steyr als Brückenort in „nicht allzuweit zurückliegender Zeit".32 ) Wenn, wie wir gesehen haben, die Umgebung von Steyr um 800 in allerdings unbekanntem Ausmaße besiedelt war, drängt sich die Folgerung auf, daß dieser markante Punkt ebenfalls menschliche Ansiedlung kannte. Wir können uns wohl einen Händlertreffpunkt denken, der aber nicht ständig bewohnt gewesen sein muß oder gar eine befestigte Siedlung gewesen wäre. Was wir Hir die Zeit des 9. Jahrhunderts vermuten dürfen, ist eine agrarische Niederlassung von einigen zerstreuten primitiven Feuerstätten - vielleicht im Aichet, wo hinsichtlich der Wasserversorgung33) und siedlungstechnisch die besten Bedingungen 26 ) Ja11daurek, Altstraßen (Anm. 23), S. 130). 21) ]andaurek, Altstraßen (Anm. 23), S. 131. 28 ) Ja11daurek, Altstraßen (Anm. 23). 29) Kronsmünster, Sulzbadt, Sierning, DietacJi, Ebersta/1, PettenbacJi. Pfeffer, Land ob der Enns (Anm. 5), S. 150. 30) Herbert Jandaurek, Die alte Straße von Steyr nach Wels. Oö. Heimatblätter, J g. 5, Heft 1 (1951), S. 13-24; ]andaurek, Altstraßen (Anm. 23), Seite 1. 3 1 ) ]andaurek, Altstraßen (Anm. 23), S. 124-127. 3 2 ) ]andaurek, Altstraßen (Anm. 23), S. 121. 33) FriedricJi Berndt, Die Wasserversorgung Steyrs - eine liistoriscJie BetracJitung. Steyrer Kalender 1960, S. 75. 9

herrschten.34) Wenn eine solche Ansiedlung bestand, kamt man im Stadtgebiet, welches ein natürliches Zentrum eines räumlich allerdings beschränkten Gebietes darstellt und schon damals darstellen mußte, einen frühen lokalen Markt vermuten. Neben den primitiven Produkten bäuerlichen Fleißes ist wohl sehr früh Eisen über diesen Ort transportiert und vielleicht hier weiterverhandelt worden. Auch die Slawen kannten den Erzberg. Steyr liegt am natürlichsten Weg vom Erzberg zum Alpenvorland.35) Das Ergebnis dieser Überlegungen muß recht mager bleiben; festhalten dürfen wir nur die allgemeine Aussage: Als die Gunst der Lage erkannt wurde, als die einsetzende stärkere Besiedlung des Gebietes das Entstehen eines lokalen Marktes am Kreuzungspunkt natürlicher Verkehrswege, an markanter Stelle, bedingte, da lag wohl der eigentliche Ursprung Steyrs und der Beginn der Entwicklung, die zur späteren Stadt führte. Wir müssen nun die territoriale Zugehörigkeit Steyrs in seiner frühen Geschichte kurz streifen. Dieser Punkt soll nach dem Werk F. Pfeffers36) dargestellt werden, welches unter den vielen die Entstehung Oberösterreichs behandelnden Arbeiten hervorragt. Wir geben aber hier unsicheren und nach wie vor umstrittenen Gegenstand wieder. Dem Begriff nach gibt es die Länder ob und unter der Enns seit dem 8. Jahrhundert. Das Land ob der Enns war damals das Land Bayern, aus dem sich damals schon Traungau, Riedmark und Rotelland (nach Pfeffer identisch mit den „drei Grafschaften“) loslösten.37) Für die Zeit von 817 bis 911 gibt er an, der östliche Teil Bayerns, „Provinz Ostland", sei in zwei Verwaltungsbezirke, die Grenzgrafschaft an der Donau (drei Grafschaften etc.) und die Grenzgrafschaft im Alpenraum (Karantanien etc.) eingeteilt gewesen.38) Als Grenze zwischen dem Traungau (den man früher bis zur heutigen oberösterreichisch-steirischen Grenze etwa reichen ließ) und Karantanien — bzw. dessen im heutigen Oberösterreich gelegenen Teil, dem Ulsburggau, sei seit dem 8. Jahrhundert die Alpenrandgrenze nachweisbar, welche, „aus dem Raum der Vereinigung von Ager und Aurach zum Traunfall und zum Flußzwiesel von Alm und Laudach und von hier an der Salzstraße Gmunden—Steyr, der uralten Vorläuferin der heutigen „Voralpen-Bundesstraße“, zur Krems und unteren Steyr und an dieser zur Enns zog.“3’) Von 911 bis 976 änderte sich nach Pfeffer40) anscheinend nichts an der gespaltenen territorialen Zugehörigkeit des Stadtbereiches. Nach 976 befindet sich das heutige Stadtgebiet in zwei dem Reichslehen Baiern zugehörigen Gebieten: nördlich des Unterlaufes der Steyr ist die Mark Österreich bzw. deren Land ob der Enns; südlich des Unterlaufes der Steyr ist der Ulsburggau, ein 34) Friedrich Berndt, Gedanken zur Gründung der Stadt Steyr. Steyrer Zeitung „Zum Feierabend“ 1959, Nr. 10. 35) Zur Geschichte des Erzberges im Mittelalter vgl. Hans Pirchegger, Das steirische Eisenwesen bis 1564 (Das steirische Eisen, Band II, 1937). 36) Pfeffer, Land ob der Enns (Anm. 5). 37) Pfeffer, Land ob der Enns (Anw. 5), S. 111, Karte 10 nach S. 176. 38) Pfeffer, Land ob der Enns (Anm. 5), Karte 6 nach S. 176. 3’) Pfeffer, Land ob der Enns (Anm. 5), S. 82, 97. 40) Pfeffer, Land ob der Enns (Anw. 5). Karte 7 nach S. 176. 10

Teil der Steiermark;41) die Grafschaftsgrenzen sind gegenüber von früher nur unbedeutend verschoben.42) Als 1156 die Länder Österreich und Ob der Enns zum Herzogtum Österreich erhoben worden waren, verblieb die Steiermark noch im Lehensverband Bayerns, schied aber 1180 mit ihrer Erhöhung zum Herzogtum aus diesem Verband aus.43) Pfeffer betont die ursprüngliche Grenzlage von Steyr an der Dreiländerecke Österreich — Ob der Enns — Steiermark. Die Innenstadt (Steyrburg, Markt) und Ennsdorf zählten zur Steiermark (bzw. Lllsburggau), die nördlichen Vororte Steyrdorf44) und Aichet45) gehörten zum Land ob der Enns. Das Gebiet nördlich des Ramingbaches hätte zu Österreich (unter der Enns) gehört.46) Diese Grenzlage wurde noch 15 56 (als sie längst nicht mehr bestand) hervorgehoben.47) „Infolge dieser so sehr betonten Grenzlage Steyrs — von der Steyrburg blickte man über die Steyr unmittelbar auf das oberösterreichische Steyrufer und auf das niederösterreichische Ennsufer — erwarben die Otakare frühzeitig das Gebiet von Dietach, im 11. Jahrhundert die Pfarre Dietach einschließlich der heutigen Stadtteile Steyrdorf und Aichet, betrieben also eine planmäßige Erweiterung ihres Herrschaftsgebietes in der „Stadtregion" von Steyr über die oberösterreichische Ländergenze hinweg nach Norden. Doch blieben die politischen Grenzen an der unteren Steyr voll gewahrt. Erst als 1254 die oberösterreichisch-steirische Landesgrenze, die das Stadtgebiet mitten durchschnitt, auf gehoben wurde, verschwand die Grenzlage Steyrs gegen Norden; der Verwaltungsbezirk des Landgerichtes Steyr rückte nun bis Staning und an den Heuberg vor.“48) Dietach und Gleink blieben also, trotzdem sie zum „steirischen Herrschaftsgebiet“ kamen, beim Land ob der Enns.4’) Dieser Auffassung steht eine ältere und noch immer vertretene gegenüber, nach welcher die otakarische Steiermark bis zur Donau reichte!50) J. Strnadt verfocht die Anschauung, die steirischen Otakare hätten 1056 beim Aussterben der WelsLambacher im Traungau (der nach ihm den von Pfeffer definierten Lllsburggau einschloß) Grafenamt und Besitz erhalten.51) Nach Zibermayr wäre der Traun41) 'Pfeffer, Land ob der Enns (Anni. 5), Karte 8 nach S. 176. ") Pfeffer, Land ob der Enns (Anw. 5), S. 92, ferner S. 97. 43) Pfeffer, Land ob der Enns (Anin. 5), Karte 9 nach S. 176. ") Urkundlich ist Steyrdorf 1313 erstmals erwähnt. 45) Urkundlich ist Aichet 1402 erstmals erwähnt. 4‘) Pfeffer, Land ob der Enns (Anw. 9), S. 85. 47) Ignaz Zibermayr, Noricum, Baiern und Österreich. Lorch als Hauptstadt und die Einführung des Christentums (2. Ausl. Horn 1956), S. 489, Anin. 5. 4S) Pfeffer, Land ob der Enns (Anin. 5), S. 85. — Die Ausführungen Pfeffers zum Verlauf der Grenzen zwischen der Steiermark und dem Land ob der Enns entlang der unteren Steyr vermöchten eine Klärung der bekannten Gründungssage der Stadt abzugeben, falls eine Erklärung zu der Geschichte vom Kampf der beiden Brüder überhaupt zulässig ist: Nicht von ungefähr war der Bruder siegreich, der die Steyrburg erbaute; die Sage mag sich auf den Gegensatz der Herrschaft Steyr (mit der Innenstadt) und dem Bereich nördlich des Steyrflusses andererseits beziehen. Die Otakare wußten bestrebt sein, den Brückenkopf Steyrdorf an sich zu bringen. ") Pfeffer, Land ob der Enns (Anm. 5), S. 97 f. 50) Z. B. Zibermayr, Noricum, Baiern und Österreich (Anm. 47), S. 375. 51) Nach Hans Pirchegger, Geschichte der Steiermark, Bd. 1, bis 1283 (Gotha 1920), S. 424. 11

gau (nach Pfeffer Traungau + Ulsburggau) bis 1180 bei Bayern geblieben, sie damals als Reichslehen zur Steiermark gekommen und wäre erst 1240 an Österreich gelangt, welche Ansicht Lechner (1953)52) für die wahrscheinlichste hielt. Während Zibermayr die Ansicht vertritt, daß 1254, als der Traungau von der Mark an der Mur abgetrennt wurde, nichts Neues geschaffen worden wäre,53) sagt Pfeffer aus, daß durch den Vertrag Ottokars II. mit Bela IV. vom 3. 4. 1254 die steirische Nordgrenze an die heutige Südgrenze Oberösterreichs zurückgezogen worden sei. Damals habe das Herzogtum Steiermark „seine alte Hauptstadt Steyr und den gesamten Ulsburggau" verloren.54) Die Geschichte der steirischen Otakare hat nur in einzelnen Zügen Bedeutung für die Geschichte von Steyr. Deshalb wird sie hier in ungleich geringerem Maße berührt als einst bei Pritz55) und bei Rolleder,56) welche, der Zeit entsprechend, die Stadtgeschichte bis 1192 mit der Geschichte der Otakare identifizierten. Wesentlich für die Geschichte Steyrs wäre es, das Jahr der Übernahme Steyrs durch die Otakare zu wissen, und wesentlich ist das Faktum der ständigen Rangerhöhung von Burg und Siedlung parallel zur Zunahme der otakarischen Macht. H. Pirchegger vertrat eine sehr frühe Übernahme von Steyr durch die Otakare. Jedenfalls wäre Steyr nach ihm zur Zeit der Raffelstetter Zollordnung (um 904) Eigen der Otakare gewesen. Der in der Zollordnung erwähnte Graf Otakar und sein Sohn — oder seine Söhne — hätten außer Göß wohl noch andere Güter, vielleicht auch die Herrschaft Steyr erhalten.57) Wir müssen aber auf den Hinweis beschränken, daß irgendwann im 10. Jahrhundert die Otakare nach Steyr gekommen sind. Vancsa nahm eine Erbauung der Steyrburg durch die Traungauer Grafen an.5’) Vom 12. Jahrhundert an nannten sich die Otakare nach der „mächtigsten Burg der Gegend, der Styraburg, „de Styria“, eine Benennung, die später auf die Mark (Steiermark) überging.6“) Die Otakare haben ihren exponierten Vorposten nördlich der Alpen gefördert. Noch lag der Schwerpunkt der Mark hier im Norden. Sie legten ganz sicher den Grund zur späteren Stellung Steyrs in der Eisenwirtschaft, indem sie Steyr zu Ungunsten des besser gelegenen Enns förderten. Nach ihrem Aussterben 1192 konnte Steyr schon eine gewisse Bedeutung beibehalten. DIE STIRAPLIRHC In der Epoche größter LInsicherheit beim Zerfall des Karolingerreiches um 900 wetteiferte der Adel, vor allem die Stammesherzöge und der feudale Stam- ”) Karl Lechner, Die territoriale Entwicklung von Mark und Herzogtum Österreich. Unsere Heimat Jg. 24 (1953), S. 51. 53) Zibermayr, Noricum, Baiern und Österreich (Anm. 47), S. 437. 54) Pfeffer, Land ob der Enns (Anm. 5), S. 281. 55) Franz Xaver Pritz, Beschreibung und Geschichte der Stadt Steier und ihrer nächsten Llmgebung (Linz 1837). 5‘) Anton Rolleder, Heimatkunde von Steyr (Steyr 1894). 57) Pirchegger, Steiermark (Anm. 51), S. 427. ”) Max Vancsa, Geschichte Nieder- und Oberösterreichs, 1. Bd., bis 1283 (Gotha 1905), S. 257. 60) Vancsa, Nieder- und Oberösterreich (Anm. 59), S. 257, 354. 12

mesadel in der Anlage befestigter Plätze (burga) mit Wall und Graben für ihre bäuerlichen Hintersassen gegen Einfälle wie die der Ungarn. Diese weltlichfeudaladeligen burga sind vorn umgebenden agrarischen Land abhängig und waren ebenfalls Produkte der bäuerlichen Kultur ohne wirtschaftliche Aktivität.61) Bezüglich der zeitlichen Entstehung der Stiraburg gehen die Vermutungen nicht auseinander, da hier schon Preuenhueber62) mit einer wohldurchdachten Meinung auftrat, der noch kein Historiker widersprochen hat. Kausalität verbindet die Anlage der „Burg" Steyr nach dem Jahr 900? mit dem später erfolgten Emporblühen der Siedlung. Im Jahre 900 vermochten die Ungarn, die sich kurz vorher an der Tiefebene der Donau und Theiß niedergelassen hatten, über die Enns nach Bayern einzubrechen. Anläßlich ihres Rückzuges wurden sie von Markgraf Liutpold am linken Donauufer bei Linz besiegt. In unmittelbarem Anschluß daran entstand zum Schutz des Reiches vor künftigen Überfällen die stark befestigte Ennsburg.63) Nun ist die Ennslinie von den drei alten oberösterreichischen Flußbefestigungslinien (Enns, Traun, Inn) die kürzeste und bedeutendste. In der 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts war die Ennslinie die am weitesten vorgeschobene Verteidigungslinie des schwachen ostfränkischen Reiches. Die Erbauung der Stiraburg entspricht der selben Absicht, die der Erbauung der Ennsburg64) zugrundelag: Ein Flußübergang sollte durch Befestigung einer sicheren Anhöhe gegen Ungarneinfälle geschützt werden. Burgen in Stein bei Steyr, Gleink, Stadlkirchen, bei Kronstorf und Schieferegg schützten ebenfalls die Ennslinie.65) Ob die Steyrburg erst „gleich nach“ der Ennsburg erbaut wurde, wie Zibermayr angibt,66) läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Jedenfalls war um 900 die Erbauung beider Burgen aus militärischen Gründen notwendig; das „lehrt ein Blick auf die Karte.“67) Die Ennsburg bewachte den wohl bedeutenderen Flußübergang. Beide Befestigungswerke vermochten nicht, die Einfälle der Ungarn nach Bayern und noch weiter nach Westen aufzuhalten. Der spitzwinkelige Sporn zwischen den Flüssen Enns und Steyr bot sich von selbst einer Befestigung an. Der Burgenbau am Zusammenfluß zweier Ge61) Karl Bosl, in B. Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, hg. von H. Grundmann (8. Ausl. Stuttgart 1962), S. 666. “) Preuenhueber, Annales (Anm. 1), S. 3—12. 63) Zibermayr, Noricum, Baiern und Österreich (Anm. 47), S. 297. ") Zur Ennsburg berichtet Preuenhueber, Annales (Anm. 1), S. 3 f: „Es seyn aber hernach Anno 889 die Ungern aus Asia kommen und haben gemeldte Wunden (d. h. Slawen) und Bayern wieder vertrieben, nach dem Tod Kaysers Arnulphie über die Donau gefallen, das Land bis an die Enns herauf verheert, dahero dessen Sohn, König Ludwig verursacht ward ums Jahr 900, nit fern von der zerstörten Stadt Lorch, auf einem Hügel gegen der Enns) eine Festung zu bauen, die wurde genannt Annasburgum.“ — Vgl. Anm. 68. ") Jandaurek, Altstraßen (Anm. 23), S. 104. ") Zibermayr, Noricum, Baiern und Österreich (Anm. 47), S. 375. 67) Pirchegger, Steiermark (Anm. 51), S. 427. 13

wässer erinnert auch noch an die Gepflogenheit der Römer.68) Vom Eintritt der Enns in das Alpenvorland bis zu ihrer Einmündung in die Donau gibt es keine auch nur annähernd so markante und wichtige Stelle wie die Plätze der Ennsburg und der Steyrburg, sowohl was die Bedeutung der Flußübergänge betrifft,69) als auch bezüglich der Verteidigungsfähigkeit. Man hat ja die burga nicht ohne Rücksichtnahme auf ihre potentielle oder schon faktisch gegebene Bedeutung im Raum eingerichtet. Das Gelände des „Bollwerkes“,70) das an der Stelle des heutigen Schlosses Lamberg errichtet wurde, ist nach Norden und Südosten von Natur aus wohl geschützt. Die Terrasse fällt im Norden steil gegen den Steyrfluß ab, auch der nordöstliche Sporn war von jeher eine Steilwand aus Konglomerat. Im Südwesten allerdings war die Burg von Natur aus nicht begünstigt. Hier hat man sicher durch Wall und Graben abgesichert. Letzterer war ursprünglich nicht so breit und tief wie heute. Der Südwesttrakt vom Berchfrit („Römerturm“) zur Südostecke ist in seiner jetzigen Erhaltung der älteste Teil der Burg.71) Zwar haben Feuersbrünste und barocke Baukunst die Steyrburg so sehr verändert, daß man heute kaum mehr von einer Burg im mittelalterlichen Sinn sprechen kann, aber verborgen unter dem Verputz befindet sich stellenweise Mauerwerk aus gotischer und vielleicht noch älterer Zeit: Die unregelmäßige Baulinie von der Nordostecke aus gegen Westen wäre als im Barock von Grund aus errichtet undenkbar, geht also auf sehr alten Baubestand zurück. Dieser Nordostsporn trug den frühesten Wachposten, denn von hier bietet sich die beste Sicht nach Norden und Osten. Ich nehme an, daß die gerundete Nordostecke im Grundriß noch von einem Rundturm abhängig ist. Eine exakte LIntersuchung und Aufnahme des heutigen Baues gibt es leider nicht. Die Stiraburg des 10. Jahrhunderts kann nicht so groß gedacht werden wie das heutige Schloß. Neben den beiden erwähnten festen Bauten — Hauptburg mit Berchfrit und die Befestigung am Sporn — sicherten Mauer, Wall und Graben den Platz ab; sicherlich bestanden einige hölzerne Wirtschaftsgebäude; in Zeiten der Gefahr war die Burg, die erst nach und nach immer fester und größer ausgebaut wurde, ein Zufluchtsort für die Bewohner des Gebietes. Im 10. Jahrhundert, da die Stirapurhc zum ersten Mal in die Geschichte eintritt, vermag man die Begriffe „Burg" im heutigen Sinn und „befestigte 60) Ziberwayr, Noricum, Baiern und Österreich (Anw. 47), S. 375. — Jüngste Forschungen nehmen ein höheres Alter der Verteidigungsanlagen in Enns sowie eilt Nebeneinanderbestehen von Enns und Lorch an. Heinrich Koller (Enns und Wien in der Karolingerzeit. Jb. f. Landeskunde von NÖ. N. F. XXXVI/1964, S. 74—86) stützt das Bestehen von Befestigungen und der Siedlung Enns unter Karl d. Gr. und nimmt als Entstehungszeit der Siedlung Enns die Zeit nach 700 an. Alois Zauner (Lorch und Enns. In: Enns, Lorch, Lauriacum, S. 58 ff.) hat nachgewiesen, daß die Burg Enns am Beginn des 10. Jahrhunderts nur verstärkt wurde und schon vorher existiert hatte. 69) Dagegen Jandaurek, siehe oben. 70) Zibermayr, Noricum, Baiern und Österreich (Anw. 297). 71) Baualterplan von Steyr, von A. Klaar, iw Bundesdenkmalamt (1948). Vg 1. dazu Josef Ofner, Kunstchronik von Steyr. Veröff. d. Kulturamtes d. Stadt Steyr Heft 24 (Dezember 1963), S. 32. 14

Siedlung (auf einer Anhöhe)“ nicht zu trennen: Daher bedeutet das englische „bury“ soviel wie „Stadt"; das etymologisch identische „Burg“ bezeichnet in der Karolinger- und Ottonenzeit noch die primitive Form einer durch Lage und Befestigung geschützten Stellung, nicht nur einen befestigten Herrensitz. Das Wiederaufleben des Handels seit der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts gab den Anstoß zum Strukturwandel der burga; neben der Wehrbedeutung eines Platzes trat allmählich die Handelsbedeutung hervor. Die Burg hat nun eine Ansiedelung begünstigt, eine Burgsiedlung, die den Namen des befestigten Platzes übernahm und nun ebenfalls Steyrburg hieß. Damals zog man die Anhöhe der Niederung vor; man baute die Häuser, wenn es ging, nicht in unterster Tallage: Lorch wurde aufgegeben und statt seiner eine Siedlung auf dem Ennsberg geschaffen. Linz zog sich auf die Anhöhe um die Burg zurück. Der älteste Teil der Stadt Krems entspricht geländemäßig der Terrasse, auf welcher die Steyrburg erbaut wurde. Daher konnte A. Klaar folgende Meinung bezüglich der ältesten Siedlung im Bereich der Innenstadt äußern:73) Im Bereich, der nach Südwesten an die Burg anschließt, vielleicht sogar im heutigen Schloßpark, ist eine älteste abgekommene Siedlung zu vermuten. Die andersgearteten Erosionsverhältnisse vor ca. 1000 Jahren ließen das Gebiet der Enge hochwassergefährdeter sein als es in der heutigen Zeit ist. J. Ofner gibt an,74) das Wohngebiet der Dienstmannen der Otakare im Bereich der Hofgasse (nördlicher Teil der Berggasse) und der unteren Enge am linken Ennsufer könnte als der älteste Teil der inneren Stadt angesehen werden. Wir dürfen die Möglichkeit aufzeigen, durch künftige archivalische Funde die Art der Häuser und ihres Zusammenstehens im Bereich des Gefangenenhauses und der Bergschule zu erschließen. Klaars Meinung widerspricht der verbreiteten Ansicht, die Enge sei der älteste besiedelte Teil der Stadt. Dies hatte besonders F. Berndt75) vertreten. Preuenhueber gibt an, daß sich bei der „anmuthigen, lieblichen Gelegenheit . . . eine Menge Volcks nach und nach niedergelassen, welche anfangen ihre Häuser und Wohnungen zu bauen, und wie aus den alten Briefen abzunehmen, so seyn anfänglich die Häuser vom Schloß um den Berg herum, folgends die Ober-Zeill in der Stadt gebauet."76) Hat sich der Typus einer hochgelegenen Burgsiedlung in Steyr befunden, so ist diese jedenfalls bald in den Bereich unterhalb der Burg gestiegen. Überdies war man hier, um die Enge, herrlich geschützt. Im Westen schirmte die Burg, im Norden das (befestigte?) Zwischenbrücken, im Osten die Enns. Im Süden konnte man sich durch eine kurze Verteidigungslinie gegen das Gelände absichern. F. Berndt will einen Mauerzug nachgewiesen haben, der eine frühe ”) Mündl. Mist. A. Klaar. ") Josef Ofner, Die Eisenstadt Steyr (Steyr 1965), S. 17. ’5) Friedrich Berndt, Die bauliche Entwicklung der Stadt Steyr. Ms. Stadtarchiv Steyr Nr. 346, o. Jahresangabe. 7‘) Preuenhueber, Annales (Anm. 1), S. 6. 15

Siedlung im Bereich der Enge gegen Süden absicherte.’7) J. Ofner zitiert die Meinung, daß das ehemalige Steyrtor und die einstige Mühle unterhalb der Burg (Zwschenbrücken Nr. 3 und Nr. 4)78) zur gleichen Zeit wie die Burg erbaut worden seien und sich eine Wehrmauer mit Zwinger bei den Häusern Enge Nr. 1 und Nr. 3 zur Enns hin erstreckte, die den unteren Burghof (Kreuzung Zwischenbrücken) gegen Süden, also gegen die Enge, abschloß.7’) Die Meinung baut auf der Voraussetzung auf, daß Zwischenbrücken als strategisch wichtiger Punkt (Flußübergänge) befestigt werden mußte, und auch A. Klaar80) hält sie für wahrscheinlich. Später begleitete dann eine Mauer, von der heute noch beim Durchgang in die Ölberggasse ein Stück sichtbar ist, die durch ursprünglich zwei Torbogen8’) führende steile Auffahrtstraße zur Burg (Schloßberg). Wahrscheinlich war anfangs nur der Aufgang um den Stadtkeller zur Burg der einzige Zugang; der regelmäßige, breite Schloßberg ist baugeschichtlich jünger. Die alte Siedlung in der Enge, die bis einschließlich Stadtplatz Nr. 4 im 12. Jahrhundert abgeschlossen wurde,82) weist flußseitig etwa 20 Bauparzellen (17 Häuser) auf, hangseitig, außer dem Stadtkeller, einem ehemaligen herrschaftlichen Stadthaus, heute 11 weitere Gebäude. Daneben bestanden einige Häuser am Berg und in der nördlichen Berggasse. Den Stadtplatz müssen wir uns im 12. Jahrhundert noch unverbaut denken; erst im 13. und 14. Jahrhundert entstanden die Stadtplatzhäuser. Ein Blick auf den Baualterplan (Anm. 71) genügt, um das hohe Alter der Enge ersichtlich zu machen. Die Häuser in dieser Gasse sind durchwegs schmäler und unregelmäßiger gebaut als jene am Stadtplatz. Einige sind durch Zusammenlegung zweier schmaler Häuser entstanden. Aber die geringe Breite mit 1-, 2- und 3-Fenster-Fronten, wie sie typisch für hochmittelalterliches Bauen ist, zeigt sich noch an mehreren Häusern. Es ist noch ein zweiter alter Siedlungskern angenommen worden. Klaar weist die Häuser des Bereiches zwischen Grünmarkt und Pfarrberg der Zeit vor 1250 zu.83) Dieser alte Kern hat unbedingt nur wenige Häuser gezählt, ”) Berndt, bauliche Entwicklung (Anm. 75). Er hat den Verlauf und die Art der Befestigung feststellen wollen und genau lokalisiert: Eine innere höhere und äußere niedere Mauer haben den Stadtgraben eingeschlossen. Die innere Mauer schloß unmittelbar an den besiedelten Raum an. Sie führte von der Enns zwischen den Häusern 157 und 158 und in der Verlängerung entlang bis zum Ölberggaßchen und weiter; eine Spitalsurkunde von 1448 nennt als Besitzer von Enge Nr. 23 einen Hermann auf der Mauer, was Berndt auch als Beweis diente. ”) Mühlen sind in frühester Zeit schon wichtig und wurden vom Grundherrn beim Herrensitz errichtet. Die Schloßmühle in Zwischenbrücken war auch tatsächlich lange Zeit herrschaftlicher Besitz. ”) Ofner, Eisenstadt (Anm. 74), S. 17. 80) Münd!. Mitt. A. Klaar. 81) Der untere, freskengeschmückte gotische Torbogen stammt aus dem 14. oder 15. Jahrhundert. Noch am Plan des franziszäischen Katasters (IS27) ist ein weiterer Torbogen dort eingezeichnet, wo der Schloßberg knapp von seinem Scheitel sich erweitert. 82) Mündl. Mitt. A. Klaar. 83) Baualterkarte des Atlas von Oberösterreich, 16

denn er war verglichen mit der Burgsiedlung eher funktionslos und vor allem nicht so gut geschützt. Es ist im Grundriß nicht mehr rekonstruierbar, doch möchte ich anehmen, daß einige der Häuser der unregelmäßigen Südzeile des Pfarrberges von diesem Altkern (Kirchensiedlung)84) herrühren. Zentrum war das in seiner Lage, und auch in seiner Existenz, nicht gänzlich gesicherte Gotteshaus im Bereich der heutigen Stadtpfarrkirche. Die Kirchensiedlung blieb bedeutungslos und wurde schließlich vom planvollen Ausbau der Innenstadt im 13. und 14. Jahrhundert überschichtet. Grünmarkt Nr. 14 ist im Typ kein Bürgerhaus, sondern hat einst landwirtschaftlicher Bestimmung gedient; ihm und dem Mesnerhaus Brucknerplatz Nr. 6 möchte ich großes Alter zubilligen. Welchen Charakter trug nun die alte Siedlung im Bereich der Enge? Sicher war sie immer schon ein Straßendorf, denn das Gelände ließ keine andere Gestaltung zu.8S) „Wik“, eine Bezeichnung für Händlertreffpunkte des frühen Mittelalters im Norden des Reiches, ist nach A. Klaar86) kein sehr treffender Ausdruck für die erste Siedlung in der Enge, die als Burgsiedlnug zu bezeichnen ist. Wir prüften die Möglichkeit einer Besiedlung des Stadtbereiches vor Errichtung der Steyrburg bereits. Hier sei ergänzt, daß sich Steyr — wie überhaupt keine andere städtische Siedlung — nie auf der Basis einer Agrarsiedlung hätte entwickeln können. Für Ackerbau eignete sich das engere Stadtgebiet auch nicht so gut wie das umliegende Land. Wir beschränkten uns ja auf die Annahme einiger weniger Feuerstätten: noch im Spätmittelalter existierte eine Anzahl von Bauernhöfen am Rande und außerhalb des Steyrdorfes, d. h. im Aichet.87) Sie mochten sich von Feuerstätten aus früher Zeit ableiten. Ganz offensichtlich konnte das landwirtschaftliche Element nicht zur Entwicklung Steyrs beitragen. Die Burgsiedlung baut auf anderen Voraussetzungen auf. Nicht allen beteiligten Komponenten gerecht wird Baks Behauptung,88) „Steyr war eine Handelsniederlassung vom Tag ihres Entstehens an.“ Die Siedlung, welche im 10. Jahrhundert entstand, die zu wachsen begann, nachdem die Magyaren 995 aufgehört hatten, eine Gefahr darzustellen,89) und aus der sich unsere Stadt entwickelte, lebte vom lokalen Handel, dem Schutz und den Bedürfnissen des Herren auf der Burg, sicher auch vom neuerlich aufblühenden Fernhandel; Eisen muß sehr früh in die Geschichte Steyrs eingetreten sein. Schließlich entwickelten sich Handel und Gewerbe so sehr, daß Steyr die kleinen argrarischen Siedlungen der Umgebung an Bedeutung überflügelte. In der 84) Eva Bak, Stadtgeographie von Steyr. Phil. Diss. (Wien 1958), S. 33 nimmt die Existenz der Kirchensiedhtng als gesichert an. 8S) Bak, Stadtgeographie (Anm. 84), S. 28 f 86) Münd!. Mitt. A. Klaar. 87) Vgl. Berndt, Wasserversorgung (Anm. 33). 88) Bak, Stadtgeographie (Anm. 84), S. 28. Bak behauptet, „kriegerische Motive“ wären an der Entstehung Steyrs nicht beteiligt gewesen. °') „Denn nachdem die streitigen Ungern ... zu mehrmahlen geschlagen, letztlich zum christlichen Glauben gebracht, und also die Lande von ihren weiteren Überfällen und 'Verwüstungen etwas gesichert worden, . . . hat sich eine Menge Volcks niedergelassen.“ Preuenhueber, Annales (Anmerkung 1), S. 6. 17

agrarisch-naturalwissenschaftlich eingestellten Zeit waren Sierning,’0) Dietach”) oder Z. B. Kronstorf52) wichtiger gewesen. Selbst Steyrs Verkehrslage ist anscheinend weniger bedeutsam gewesen als der gute Boden etwa dieser Orte. Wann die Synode von Mistelbach (bei Wels) stattfand, läßt sich nicht genau bestimmen. Zibermayr”) weist sie der Zeit um 972 zu, während im allgemeinen angenommen wurde, sie habe zwischen 98 5—991 stattgefunden. Der Bericht54) über dieses und zwei ähnliche Treffen zeigt, daß die Neuordnung des Kirchenwesens auch in ökonomischer Hinsicht ein Anliegen Bischof Pilgrims von Passau (971—991) war. Der Bericht erwähnt den Namen Stirapurhc zum ersten Mal. Steyrburg war wie andere Orte der näheren Umgebung (Garsten, Sarning, Reith bei Christkindl, Wolfschwenger bei Aschach/Steyr, Schwamming und Tinsting)55) der Pfarre Sierning zehentpflichtig. In lokalen Kreisen ist stets angenommen worden, daß sich der Name Stirapurhc auf die Burg beziehe, aber es ist darunter die Burgsiedlung zu verstehen. Wie wir schon gesehen haben, darf man die einstige Bedeutung des Wortes „Burg“ nicht mit der heutigen gleichsetzen. Der Herr, der auf der Stiraburg gesessen ist, ist im Zeitalter des Eigenkirchenwesens nicht als zehentpflichtig zu denken: das war die Siedlung Stirapurhc, die noch hunderte Jahre sich nicht von kirchlicher Bevormundung von Sierning und später Garsten lösen sollte, selbst als es eine mächtige Stadt geworden war. Unsere Siedlung Stirapurhc war die Keimzelle der „klassischen“ Stadt im spätmittelalterlichen Sinn. Die notwendig auftauchende Frage, seit wann Steyr Stadtcharakter besitze, ist dahingehend zu beantworten, daß der dörfisch-agrarische Charakter nie maßgebend war und Steyr einfach auf Grund der Existenzbasis zur „Stadt“ — civitas — wurde, als der große Aufschwung des Städtewesens um 1200 einsetzte. 1082 wird Steyr ohne Namensnennung als urbs bezeichnet.56) Die angebliche Urkunde Bischof Altmanns v. Passau ”) Sierning war eine passauische Altpfarre mit großem Pfarrsprengel, wie aus dem Bericht von der Synode von Mistelbach (Anm. 94) (972—991) hervorgeht. ”) Dietach, welches 777 (siehe Anm. 7) erstmals erwähnt wird, wurde 1088 (?, Urkunde gefälscht) zur Pfarre erhoben. In der Urkunde wird berichtet, daß schon unter Pilgrim von Passau (971—991) eine „capella“ erbaut worden war. Vgl. Urkb. d. Landes ob der Enns II (Wien 1856), S. 118. Dietach ist wohl vor Abhaltung der Synode von Mistelbach schon Kirchort geworden, da es sonst im Sitzungsbericht als zu Sierning zehentpflichtig angeführt worden wäre! ’2) 834 soll Ludwig der Fromme dem Patager, einem Vasallen, „Granesdorf in parte Sdavanorum“ geschenkt haben. Vgl. Urkb. d. Landes ob der Enns II (Wien 1856), S. 13 f. Vielleicht hängt damit die von Jandaurek (siehe oben) erwähnte Burg bei Kronstorf zusammen; die Unechtheit der Urkunde wurde aber schon früh erkannt. ”) Zibermayr, Noricum, Baiern und Österreich (Anm. 47), S. 317. ’4) Urkb. d. Landes ob der Enns I (Wien 1852), S. 472. ’5) Zibermayr, Noricum, Baiern und Österreich (Anm. 47), S. 317. In dem Sitzungsbericht heißen die Orte Garstina, Sapinihca, Stirapurhc, Riuti, Suammara, Wolfesvuanch, Tuncinesdorf. ’6) Urkb. d. Landes ob der Enns I (Wien 1852), S. 116. 18

über das Tauschgeschäft mit Behamberg und Garsten ist vor 1220 gefälscht worden,’7) doch ist an der Echtheit der zugrundeliegenden Handlung nicht zu zweifeln. Nicht zu zweifeln ist auch daran, daß die Siedlung schon damals, um 1082, urbs — befestigte Ansiedlung — war, wenn auch die Bezeichnungen — villa, inercatus, forum, burgum, urbs, civitas — allgemein gesprochen durcheinander gehen. Mit urbs wird Steyr noch im beginnenden 13. Jahrhundert bezeichnet: um 1170,’B) 1192,”) 1213.,0°) 1252, nachdem es den allgemeinen Aufschwung des Städtewesens mitgemacht hatte, scheint es erstmals als civi- tas’01) auf. In otakarischer Zeit blieb die Stadt, verglichen mit ihrer späteren Größe, doch noch recht klein, wenn auch Preuenhueber102) erwähnt, daß Steyr schon in otakarischer Zeit eine „ziembliche Stadt" gewesen sei. Die Anfänge und die zeitliche Erstreckung der Beteiligung von Ministerialen am Leben der Siedlung und ihre Entwicklung in eine „Gemain der Ritter zu Steyr“, die wir 13O5103) fassen können, sowie ihre Stellung im sozialen Gefüge der Siedlung Steyr vermögen wir nicht darzustellen, da die Quellen zu diesem Problem104) erst einer Erforschung bedürfen.105) Als Stirapurhc zum ersten Mal in die Geschichte eintrat, gehörte die Siedlung kirchlich zum 10 km westwärts gelegenen Sierning. Der große Altpfarrsprengel dieses Ortes läßt die Bedeutung dieser vielleicht von Passau gegründeten Stephanspfarre erkennen: „Von seinem Stammgebiet im Traungau, wo er bis zur Enns reichte, erstreckte er sich in der Folge tief in den karantanischen Raum hinein, was . . . durch die Aufzeichnung über die Mistelbacher Synode erstmals bezeugt ist.“106) Sierninger Filialen sind Wolfern, Dietach und Garsten,107) von denen die zwei letzteren ebenfalls eine Rolle in Steyrs Anfängen spielten. Die untere Steyr erscheint 108 8 als Südgrenze der Pfarre Dietach, die damals im Tauschweg von Passau an Markgraf Otakar überging (siehe oben; Anm. 97). Unter Bischof Altmann von Passau (1065 — 1091) löste sich eine Pfarre Garsten von Sierning,108) welche sich 1082 westlich der Enns zwischen dem Enns- und südlich des Steyrflusses bis zum Rettenbach südlich des Sensengebirges erstreckte.10’) Am Ende des 11. Jahrhunderts war also die pfarr- liche Zugehörigkeit des Innenstadtbereiches eine andere als die von Steyrdorf. Wahrscheinlich unterstand Garsten auch von Anfang an das Gebiet bis etwa ’’) Oskar Mitis, Studien zum älteren Österreich. Urkundenwesen (1906/1912), ' S. 141 ff. ’8) Urkb. d. Landes ob der Enns II (Wien 1856), S. 344. ”) Urkb. d. Landes ob der Enns II (Wien 1856), S. 433. ’°°) Llrkb. d. Landes ob der Enns II (Wien 1856), S. 574. ’01) Urkb. d. Landes ob der Enns III (Wien 1862), S. 184 f. ’02) Preuenhueber, Amiales (Anm. 1), S. 13. 103) Urkb. d. Landes ob der Enns IV (Wien 1867), S. 478. 104) Gärstner Traditionen, Urkb. d. Landes ob der Enns I (Wien 1852). 10s) Beiträge zur Frage der otakarisdien Ministerialen läßt die noch unvollendete Wiener phil. Dissertation G. Bertholds erwarten. ’06) Pfeffer, Land ob der Enns (Anm. 5), S. 81 f. 107) Pfeffer, Land ob der Enns (Anm. 5), S. 81. 10S) Josef Wodka, Kirche in Österreich (Wien 1959), S. 67. 10’) Pfeffer, Land ob der Enns (Anm. 5), S. 81. 19

zur heutigen oberösterreichisch - niederösterreichischen Landesgrenze, wo das Stift Garsten später die Stiftspfarren St. Ulrich, Ternberg, Losenstein, MariaNeustift u. a. m. innehaben solle. Hat es nun einen Sakralbau im Bereich der heutigen Stadtpfarrkirche schon in otakarischer Zeit gegeben? In den Gärstner Traditionen findet sich folgende Stelle: „Inter flumina uero anesum et styriam hec sunt, que tradidimus scilicet cellam, que terminatur in Rjuulo Sabinicha, ubi ille Riuum facit in anesum per leichperge usque ad ujam (= viam), que a cella iter prebet ascha . . .""") Die erwähnte „cella“, die am Flüßchen Sabinicha liegt, wo dieses in die Enns einmündet, ist wahrscheinlich eine Eigenkirche der Otakare. Die Datierung der Llrkunde auf ca. Ilio”1) ist allerdings eine unbegründete Vermutung, da sie gefälscht ist. In der Bestätigung der Rechte und Besitzungen Garstens durch Herzog Leopold (1192) ist die Wendung „ . . . Quia uero abbatem monasterij prelibati racione Capelle in vrbe nostra Stira Curie nostre summum constituimes Capel- lanum . . ."”2) enthalten. Der Abt von Garsten wird also als Kapellan oder kirchlicher Herr über eine Kapelle in der seit diesem Jahr herzoglich-babenber- gischen urbs Steyr eingesetzt bzw. bestätigt. I. Krenn'13) hat die „Capelle" als Burgkapelle aufgefaßt und nicht, was das Wort Kapelle damals auch bedeutet, als eine „Kirche ohne pfarrherrliche Rechte" in der urbs. Ich möchte jedoch die Urkundenfälschungen von ca. 1110 und 1143 (siehe oben) mit ihrer Erwähnung einer „cella“ beim Hundsgraben mit dieser Urkunde in Zusammenhang bringen und betrachte die „Capelle" als Vorläuferbau der heutigen Stadtpfarrkirche: Um einen Anspruch auf den Sakralbau der bereits städtischen Siedlung zu stützen, ist im Kloster Garsten die Fälschung angeblicher Urkunden von 1110 und 1143 erfolgt. 1305 werden die kirchlichen Rechte des Abtes von Garsten über die Stadtpfarrkirche und die Spitalskirche von der Bürgerschaft wiederum bestätigt.”4) Damit sind wir bei einem weiteren problematischen Sakralbau angelangt, nämlich der S p i t a 1 s k i r c h e. Um 1180 übergab Wecilo von Steyr den Johannitern ein Haus „ad hospitale Sancto Joanno Iherusalem".”5) Entgegen früheren Meinungen haben wir schon ausgesagt, daß der von Preuenhueber erwähnte Neubau der Kirche 1305 als LImbau einer doch schon romanischen Anlage zu verstehen ist.”6) Die Einsetzung des Garstener Abtes als obersten Pfarrer auch über die Spitalskirche 1305 (siehe oben) deutet wohl darauf hin, daß Garsten schon vor diesem Datum solche Befugnisse über die Spitalskirche gehabt hatte. ”’) Urkb. d. Landes ob der Enns I (Wien 1852), S. 122. — Gefälscht. Die angebliche Bestätigung durch Otakar von Steyr („1143“), wo sich diese Stelle wieder findet, ist auch eine Fälschung. — Urkb. d. Landes ob der Enns II (Wien 1856) S. 208—211. ’ ”1) Register der Urkb. d. Landes ob der Enns. ’n) Anni. 99. ”3) Ingeborg Krenn, Häuserchronik der Altstadt Steyr l.Teil (Veröff. des Kulturamtes der Stadt Steyr, Juni 7 951), S. 45. '") Anni. 103. ”5) Urkb. d. Landes ob der Enns I (Wien 1852), S. 179. ”6) Manfred Brandl, Die gotische Bürgerspitalskirche in Steyr. Veröff. des Kulturamtes der Stadt Steyr 25 (Dezember 1964), S. 66. 20

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