80. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1962/63

sehen Eigenart noch gar nicht verändert werden, wenn wir das Ergebnis einer Messung oder allgemeiner: der Wissenschaften zur Kenntnis nehmen. Diese Beo'bachtung vennittelt eine Ahnung vom Wesen des Irrationalen, wie es zum Verständnis des Tabutodes oder der Neurose notwendig ist. Im Grunde 'beruht unser Reden von einem Irrtmn auf Vorurteil. In die Anordnung 1 gehen Details ein (nämlich die Winkel), die für die Messung keine Rolle spielen, wohl aber für die Wahrnehmung. Indem wir die Bedeutung dieser Details ignorieren, glauben wir, durch das Messen auf eine von uns unabhängige Welt aufmerksam zu werden, welche durch die Wahrnehmung bloß unkorrekt wiedergegeben wird. Unsere Meinung, subjektiv sei gleich falsch, beruht auf diesem Vorurteil. Nehmen wir einmal an, wir seien nicht auf den Gedanken gekommen, die beiden Strecken zu messen. Wir würden dann nicht sagen, die beiden Strecken in Anordnung 1 erscheinen verschieden lang, sondern: sie sind verschieden lang. Jeder beliebige Betradlter würde das bestätigen. An der gegenständlichen Realität des Längenunterschiedes würde nicht gezweifelt werden. So1tJald wir das Meßergebnis zur Kenntnis genommen haben, modifizieren wir unser Urteil über die Strecken in ein Urteil über die Art, wie sie uns ersd1einen. De~ Meßbefund veranlaßt uns, einen Unterschied zwisd1en den Strecken und unserer Wahrnehmung der Strecken zu machen. Was ich als Strecke bezeichne, ist Gegenstand der Wahrnehmung ebensogut wie die Wahrnehmung selbst, da ich die Strecke niemals unabhängig von meiner Wahrnehmung der Strecke wahrnehme. Daß es soetwas wie eine von meinem individuellcn Bewußtsein unabhängige Außenwelt überhaupt gibt, die jener Unterscheidung der Dinge von der Wahrnehmung der Dinge zugrundeliegt, dafür hat man kein anderes Argument beibringen können als daß sie außer von mir auch noch von anderen Individuen wahrgenommen wird. Da die untersd1iedliche Länge der beiden Strecken von allen Individuen wahrgenommen wird, ergibt sich, daß dieselbe „Außenwelt" ist. Die Psychologie besitzt ilm:n Gegenstand also gar nicht allein: Man spricht von Außenwelt, wenn man sim auf die Tatsame eines allen Individuen gemeinsamen Gegenstandes der Wahrnehmung bezieht; und man bezeimnet diesen Gegenstand selbst als Wahrnehmung, in Anbetracht jener (durm Messungen aufgewiesenen) ,,Irrtümer". Nur in diesem letzten Falle gehört er der Psychologie. Der Gegenstandsbereim der Psychologie ist also variabel: Die Welt kann Zug um Zug zu „Seelischem" werden, oder sim, je nachdem, welche sozialen, politismen und weltanschaulid1en Verhältnisse sid1 gerade etablieren, wieder ausgliedern und Zug um Zug zu einer .allen gemeinsamen Welt werden. DIE EINSAMKEIT DES EINZELNEN Trotzdem kann die Psymologie - als Denkprinzip - niemals verschwinden. Gehen wir nod1 einmal davon aus, daß Farben, Töne, Gerüche, a1ber auch Schönheiten usw. in der Außenwelt existieren. Zugleich kennen wir die Sinnesfunktionen (des Auges, Ohres), welme genau diese Außenweltersd1ei1111ngen produzieren. Was wir zuniimst haben, sind Farb- und Ton wahr n eh m u n gen : jeder Blinde hat das auf tragisme Weise erfahren. Wenn ich nun etwas wahrnehme, was ein anderer als rot bezeichnet, so ist nicht gesagt, daß mei-

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