80. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1962/63

Lebensgewohnheiten und Sitten. Das ist an sich nicht so entsd1eidend wie der Umstand, daß Menschen versmiedener Herkunft, Nationalität und Rasse kaum spannungsfrei ne'ben- und miteinander existieren können. Besonders für den Juden: ist die fremde Umgebung, die ihn nidlt unauffällig in sid1 aufgehen läßt, eine leidvolle Angelegenheit. Für ihn, den Außenseiter, ist es gewissermaßen. lebensnotwendig zu wissen, womit er von seiten seiner Umgebung zu redlnen hat. Nüdlterne Einsicht muß ihm den Sdlutz ersetzen, den die anderen durch ihre übermacht genießen. Nom entsdleidender ist aber dies: die feindselige Umgebung fördert das Wissen um das eigene Selbstsein. Die Trennung von Id1 und Nicht-Ich wird sdlärfer empfunden, unüberbrückbarer. Dadurch können die Geisteshaltungen der Umgebung nicht mehr auf den isolierten Beohadlter übergehen. Er wird sich diese Geisteshaltungen nicht teilnehmend aneignen, sondern sie bloß distanziert feststellen. - Den amerikanischen Negern beispielsweise gelingt die Im - Abkapselung meist nicht. Die üblen Deutungen, mit denen sie von den We-ißen versehen werden, gehen auf sie über und bilden in ihnen ein negatives Selbstwertgefühl aus. Werden solche Neger dann aud1 noch verfolgt und diskriminiert, dann äußert sich ihr Haß als Sdbsthaß und kann zu wütenden Ausfällen gegen alles .,Schwarze" führen. Sollte Eichmann tatsächlich Jude gewesen sein, so wären auch seine Taten auf diese Weise zu erklären. Der Fall ist jedoch atypisch. Die meisten Juden leben - das merkt man im Kontakt mit ihnrn -- in grenzenloser Selbstisolierung. Das ist aber genau die ßerufshaltung des Psychologen: es ist klar. daß H ein Psychologe, der sidl vom Wesen seines Patienten affizieren läßt, dieses nicht mehr diagnostizieren kann. Im Extremfall würde dann der Patient den Psydlologen ü'berzeugen. Vielleicht ist es zuletzt nodl wünschenswert, das Wesen der Deutung an Beispielen zu erläutern. Bei uns galt - oder gilt nodl - als „Erfahrungstatsache", daß rothaarige Menschen von falschem Charakter sind, was in Nestroys „Talisman" seinen Niedersdllag findet. ln den Vereinigten Staaten gilt Rothaarigkeit - ebenso erfahrungsgemäß - für das Zeidlen eines vehementen Temperaments. Wie kann man aber mit ein- und derselben Rothaarigkeit so untersd1iedlid1e Erfahrungen machen? Es läßt sim experimentell nadlweisen, daß wir keinesfalls nur die Dinge allein wahrnehmen: die Wahrnehmung pAegt vielmehr durm Erwartunge:1 bezüglidl des Gegenstandes der Wahrnehmung beeinflußt zu werden. Mit der sdlwarzen Perücke auf dem Kopf ist Titus Feuerfuchs - der Held des „Talisman" - einfach eine andere Persönlid1keit, während der Rothaarige von vornherein damit redlncn muß, daß man an ihm mehr Falschheit (und anderswo mehr Temperament) .. wahrnimmt" . Zugleich damit wird ihm die einem falschen Menschen geziemende Behandlung zuteil. auf die er unglücklich und errötend reagiert, als hätte er etwas .. angestellt". Die Umwelt nimmt das als Bcstiitigung ihres Verdachtes zur Kenntnis. Wiederum findet man - wie bei Tabutod und Neurose -, daß eine objektiv völlig gegenstandslose Meinung Wirkungen hervorruft, die man als ihre ßestätigung auffassen kann. Wir werden auf das Wesen dieser Sache gleid1 zu sprcd1e11 kommen.

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