80. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1962/63

'Ich', Subjekt Strid1liert: Interpretation des Vorganges durm die Stammesgc nosssen. Punktiert: Interpretation durch den Psymologen Als europäische Variante des Tabutodes haben wir durch S. Freud die N e u r o s e· kennengelernt. Während wir gegen den Dämonenglauben mit einer ,.partiellen Psychologie" argumentieren, behandel 11 wir unsere eigenen, europäischen Belange wie die Stammesgenossen. Mädchen, die entgegen dem Tabu eine den Männern reservierte Beschäftigung aufnahmen, eine Universität besuchten, hielten seelisd1 häufig nicht durch. Die Mädchen waren von• Kind - heit an zu einer bestimmten Rolle erzogen. Die Angst, in einer Rolle des Mannes zu versagen, beeinträchtigte ihre Persönlichkeit, hemmte das Denken und das Gedächtnis und irritierte die Konzentrationsfähigkeit. Diese Beeinträchtigungen führten dazu, daß das Mädd,en die Studienanforderungen nicht bewältigte und somit genau in der Weise scheiterte, wie es die patriarchalische Auffassung von ihrer Llngeistigkeit prophezeite. Freud hat die Neurose als Selbstbestrafung für einen ,.Tabubruch'' gedeutet. Das Scheitern des Miidchens entspricht dem Tod der Frau, welche „ebenfalls das Männerhau~" betreten hatte. Man darf nun aber nicht vergessen, daß wir den Sachverhalt unter psychologischem Gesichtspunkt abgehandelt hahn. Da die Neurose dieselbe Wirkung zeitigte, die man sich von der Ungeistigkeit des Weibes erwartet, hätte man das Scheitern des Mädchens ohne weiteres auch mit seiner Ungeistigkeit erklären können. Erst wenn die Frau die Wirkungen, die man sich von den Dämonen erwartet, nicht mehr aus sich selbst hervorbringt, kommt der lnterpretationsschematismus der Stammesgenossen in Gefahr. Im entsprechenden europäischen Fall suchte man die Mädchen dann mit übler Naduede von der Universität zu verscheuchen. Der Machtkampf der Geschlechter kam damit eigentlich erst in Gang. Für diese Wendung im Zerfallsprozeß gesellschaftlicher Wahrheiten gibt es einen berühmten Fall aus der Kirchengeschichte: als Bonifacius die Donarseid1e fällte, erwarteten die biederen Germanen, daß der Blitz Gottes ihn ersd,lagen werde. Wäre Bonifacius dem Gotte untertan gewesen, dann hätte das Fällen der heiligen Eiche sein vegetatives Nervensystem so beansprucht, daß er tatsächlich zugrundegegangen wäre. Da die Gottheit nicht im Vegetativum des Mönches , wurzelte, konn te dieser deren Mad,tlosigkeit den Germanen demonstrieren. Die Wirkung war schlimm genug. so daß die Hüter und Bewahrer der germanischen Gesellsdiaftsordnung sich entschlossen, das nad,zuholen, was der Gottheit nicht gelungen war: sie erschlugen Bonifacius auf einer Missionsreise. Dergleichen kann man ungezählt oft beobachten. Terror und jede Art von äußerem Druck zeigen an, daß Tabus nicht mehr tief im Mensd1e11 wurzeln. Wenn die Frau da~ Männerhaus hetritt. 41

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