80. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1962/63

turhaften Ungeistigkeit" der Frau. Man mochte nicht ruhig abwarten, bis die Mädchen scheitern un.d sich überzeugen würden, daß Studieren eben doch Männersache sei. Der Zerfall der patriarchalischen Auffassungen von der Frau war bereits eingeleitet, als man in ihnen keinen ausreichenden Garanten für das erhoffte Scheitern der Mädchen erblickte. Alle Versuche, die Mädchen zu irritieren und zu beeinträchtigen, waren bloßer Machtkampf. Es liege an der Diffamierung, wenn die Mädchen scheiterten, so mutmaßten damalige Frauenrechtlerinnen. Die Mädchen hätten die These von ihrer Ungeistigkeit durch ihr Fernbleiben von der Universität selbst bekräftigt und könnten sie auch widerlegen. Die These habe die Mädchen nur verführen sollen, sich der Universität nicht gewachsen zu fühlen und ihr freiwillig fernzubleiben. Ein solcher Zerfallsprozeß zeitigt Mißtrauen, sobald sich Leute finden, die den in Frage gestellten Wert zu erhalten wünschen. Man wirft diesen Leuten vor, sie gingen mit der strittigen Sache nidH strenge zu Gericht, sondern suchten sie zu „retten". Solches Mißtrauen äußerten nicht nur die aufgeklärten Frauen. Auch die Sophisten verdächtigten die Hüter der Wahrheit und der Tugenden. Bekannt ist auch Marxens Verdächtigung der Religion. Dieses Mißtrauen ist eine genetische Vorstufe der Psychologie, aber noch nicht diese selbst. Solange man Verdächtigungen teilnehmend vorbringt, ist man noch nicht in der Lage, sie schlicht festzustellen. Man übersieht das Hintergrü11dige an ihnen. So waren beispielsweise viele der aufgeklärten Frauen von der Naturhaftigkeit ihrer Ungeistigkeit und Untauglichkeit viel stärker ü'berzcugt, als man meinen würde. Wir wollen diese überra40 sehende Behauptung an einem noch weiter abliegenden Tatbestand erläutern. In bestimmten Primitivkulturen darf die Frau unter keinen Umständen das sog. Männerhaus betreten. Die darin residierenden Dämonen wollen das nicht. Sie würden die Frau töten. Durch dieses Risiko - so schließen wir voreilig - lassen die Frauen sid1 vom Betreten des Männerhauses abhalten und bekräftigen so den Aberglauben von der Macht der Dämonen. So einfach ist es indessen nicht: die Frau, die das Männerhaus betritt, stirbt nämlich wirklich, ohne daß ein Mensch ihr irgendetwas zuleide getan hätte, sie geht unter Krämpfen und Schweißausbrüchen binnen wenigen Tagen zugrunde und demonstriert den erschauernden Stammesgenossen die aus dem Unsichtbaren herauswirkende Macht der Dämonen (3). Der Psychologe sucht - im Gegensatz zu den Stammesgenossen - die geheimnisvolle Ursache des Tabutodes nid1t im außermenschlichen Bereich, sozusagen auf der „Weltseite": die in die Welt projizierte Dämonie wirkt nicht von daher auf den Menschen: die Frau stirbt an den vegetativen Folgen der Erwartungsangst, in welche sie durch ihr frevelhaftes Betreten des Männerhauses versetzt wurde. Da die Erwartungsangst genau die Wirkung zeitigt, die auch die Dämonen hervorrufen würden. falls sie eine vorhandene Ursache wären, kann man den Tod der Frau ebenso gut mit der Rad1e der Dämonen wie mit dem Glauben an diese Rache erklären. Das ist eine Sache der Interpretation: der Psychologe führt bloß die in die Weltseite projizierte Dämonie wieder in ihr Subjekt zurück. Wir wollen dies mit nachfolgendem Schema veranschaulid1en:

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