80. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1962/63

Solche psychologisch disponierte Menschen haben bewußtes Kennen anstelle intuitiven Erfassens, vorsätzliche Verhaltensmöglichkeiten anstelle unbewußt in die Situation einschwingenden Verhaltens nötig: sie sind auf den ungleich schwierigeren Ausbildungsgang zur „Meisterschaft in der Kunst des Lebens" angewiesen. Gehen wir noch einmal auf das Grundsätzlid1..: jener Psychologie des Psychologen ein: die Erlesenheit einer Speise läßt sidi nicht unabhängig davon ermitteln, daß sie uns sd1meckt. Die Etablierung von „Werten" vollzieht sich un'bewußt durdi Zirkelschlüsse. Indem der Psychologe die Aussage: diese Speise ist erlesen, folglid, sd1meckt sie, umkehrt, verliert er seine Verankerung in der „Dingseite" des Lebens. Seine Aussage macht die Erlesenheit der Speise von seinem subjektiven Wohlgefallen abhängig, das „nur um seiner selbst willen" da ist. Wo der andere Dingd1araktere auf sich wirken läßt, nimmt er das Ich wahr, das sich in den Dingen objektiviert. - Damit hat er aber - wenn man so sagen will - seine Existenz weitgehend transzendiert: statt schlicht Menschsein zu vollziehen, stellt er nur noch fest: so geht Menschsein vor sich. DER ZERFALL DER „SELBSTVERSTÄNDLICHEN WAHRHEITEN" UND DIE DYNAMIK DER MENSCHLICHEN SELBSTDEUTUNG Das geschichtliche Erscheinen der Psychologie ist von ganz bestimmten krisenartigen Veränderungen der Gesellschaftskultur begleitet, die sich kurz dahingehend charakterisieren lassen, daß f r a g w ü r - d i g wird, was bis dahin fraglos rid1tig und gut war. - Daß dies nichts anderes zur Folge hat als die Entdeckung des Ich, das ein erwünschtes Verhältnis zu seiner Welt absichert. indem es das,clb,: als „Wahrheit" oder als in der Welt selbst enthaltene Wirklichkeit objektiviert - das soll im folgenden an einem bereits abgeklärten, verjährten Streitgegenstand demonstriert werden. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde der Frau die juridische Selbständigkeit, ein eigener Beruf, das Universitätsstudium usw. vorenthalten. Diese und noch viele andere recht einschneidende Eingriffe in die gesellsdiaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten der Frau wurden mit der „natürlichen" Überlegenheit des Mannes begründet und der Infrage-Stellung entzogen. Die behauptete männliche Überlegenheit kontrastierte vorteilhaft mit dem „Wesen des Weibes" : die Frau sei schwädier, ängstlicher, unintelligenter und uninteressierter als der Mann, sie sei leicht verführbar und suggestibel; kurz, sie sei ein zu sel'bstverantwortlidiem Dasein untaugliches Geschöpf und müsse es begrüßen, unter der (entmündigenden) Obhut des Ehegatten leben zu dürfen. Diese Auffassungen von der Frau wurden seit biblischen Zeiten akzeptiert. Dabei war man sich :u11äd1st ihres Charakters als Auffassungen nicht einmal bewußt: sie ersmienen als objektgegebene Realität, als Natur und konnten nur mit jener Ehrfurcht vor dem Bestehenden, vor der Sd1öpfung :ur Kenntnis genommen werden. Die Auflehnung gegen sie beleidigte Gott oder war pervers. Man erinnert sich in diesem Zusammenhang der üblen Nachrede, welche die ersten, an Universitären studierenden Mädchen sim gefallen lassen mußten: sie seien Mannweiher, seelisme Zwitter, denn .. echte"' Frauen würden sidi keine typisd1 männlid1e Besmäftigung anmaßen (2). Die Erbitterung. mit der man gegen die studierenden Mädd1eu aufrrat. paßte nicht zu der Auffassung von der „na39

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