80. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1962/63

bys, im zweiten Fall konzediert man, daß alle EI - tern eine solche außergewöhnliche Lieblichkeit an ihrem Baby wahrnehmen, deren Folge das Entzücken ist. Daraus folgt, daß diese Lieblichkeit nicht eine dem Baby selbst anhaftende Qualität sein kann. Etwas enttäuscht distanzieren die Eltern sich von ihrem Entzücken, das sich unter solchen Umständen - um seiner selbst willen - nicht aufred1t erhalten läßt, wie übrigens auch der Philosoph einen „weltentbundenen", auf ihn selbst als Ursache zurückgeführten Pessimismus nicht mehr als „Wahrheit" ausgeben könnte. - Es zeigt sich also, daß das Verhältnis des Im zu seiner Welt nur Gültigkeit hat, solange es sich als deren Wesen manifestiert. Auf sich selbst zurückgeführt, in seiner Subjektivität erscheint dieses Verhältnis dem Mensmen als falsd1: anstatt sim ihm hinzugeben, stellt er es nur nom fest. Gerade damit beginnt aber die Psyd1ologie. In gewissem Sinne schmerzlim, wenn auch red1t lehrreim ist der Fall, daß ein solcher Mensch, ein ,,Psymologe", sich einem anderen Menschen gegenüber behaupten soll. Während dieser andere naiv überzeugt ist, daß sein Standpunkt der red1te s e i, stellt der Psymologe fest, daß er seinen Standpunkt für den remten hält, d. h. er sieht in erhöhtem Maße die • Subjektivität, die möglich~ Widerlegung seines Standpunktes ein, während dem anderen das Pathos, die ganze Welt müss-: „vernünftigerweise" seiner Meinung sein, zugute kommt. Dieser Unterschied zwischen den beiden ist für den Ausgang des Konfliktes oft entscheidend. Dem Psychologen ist die Quelle des Pathos. nämlich daß sein Standpunkt an sich der rechte sei und daß es nur gelte, ihn aum durchzusetzen, verloren gegangen. Es gelingt ihm auch nicht immer. 38 dieses Pathos zu simulieren: der entscheidende Faktor der affektiven Beeinträchtigung des anderen fällt somit aus - und der Psychologe behält in den Augen der Welt „unrecht". Dieser Ausgang des Konfliktes darf nun aber sel1bst nur im psyd10logischen Sinn verstanden werden. Gelegentlich kommt es vor, daß ein Psychologe im laufe seines Lebens lernt, den anderen absid1tlim mit der Mentalität von dessen eigener Argumentation zu überrasd1en; lernt, wie man Gedankengänge entwickeln muß, damit sie dem anderen ohne weiteres einleuchten; lernt, welche Äußerungen von Entrüstung den anderen unsicher machen und in Zweifel versetzen. Es ist klar, daß der Psychologe dann die verborgenen Funktionsgesetze des anderen angeben kann, während dieser andere, ein unbelasteter, ,,lebenstüchtiger" Mensch, dies alles kann, o h n e aber davon zu wissen und sich überhaupt Gedanken zu machen. Daraus ergibt sich noch etwas anderes: ein für die Psychologie disponierter junger Mensch, der nod1 nicht viel weiß und noch nicht gelernt hat. die giingigen und situationsgerechten Verhaltensweisen „synthetisch" zu vollziehen, begreift und meistert menschliche Verhiiltnisse langsamer und überhaupt sd1lechtcr als etwa ein Taxifahrer mit ,,intaktem Unbewußten" (S. Freud) - und erweist sich in praktisd1er Menschenführung, verglichen mit jenem als wesentlich schwerfälliger. Es ergibt sich das Paradoxe, daß gerade die für die Psychologie disponierten Mensd1en - solange sie unerfahren sind - die im Sinne des Alltagverstandes schlechten Psyd1ologen zu sein pflegen, was sid1 übrigens durch vergleichende Untersuchungen von Psychologiestudenten und andere11 Bevölkerungsgruppen auch wissenschaftlich hat bestätigen lassen.

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