80. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1962/63

strebt. Sie würde obendrein nur möglich sein, wenn man die Grundbeziehung Arbeitnehmer - Arbeitgeber verändert und daraus ein gesellschaftsähnliches Rechtsverhältnis macht. Damit wird aber bereits der Bereich des Arbeitsrechtes verlassen und eine allgemein gesellschaftspolitische Frage anvisiert. Um den Arbeitnehmer aus der ihm nicht angemessenen Rolle des bloßen (personellen) Betriebsmittels zu befreien und um gleichzeitig den so wichtigen Betriebsfrieden zu sichern, genügt es jedenfalls, dem Betrieb eine Konstitution, genauer: der Belegschaft fest umschriebene Mitwirkungsrechte zu ge'ben. IV. Die Angehörigen eines bestimmten Berufes, aber auch die Arbeitnehmer eines Wirtschaftszweiges sind durch gemeinsame, vorwiegend ökonomische Interessen verbunden. Diese n a t ü r I ich c 1 11 t er esse n g e 111 e i n s c h a f t führt früher oder später zu dem Streben, sich eine rechtliche Organisation zu geben, d. h. die Interessen zu organisieren, um sie besonders erfolgreich durd,setzen zu können. Es gehört zu den interessantesten Erkenntnissen der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, daß die mittelalterliche Staatsgewalt, aber auch dk erstarkenden Territorialfürsten, die Souveräne im Zeitalter des Merkantilismus sowie die unter den idealen des Liberalismus antretenden Regierungen in seltsamer Übereinstimmung diese Arbeitnehmerverbände als Konspiration teils gegen den inneren Frieden, teils gegen die Freiheit des Handels ansahen und unterdrückten. Erst die zweite Hiilftc des 19. Jahrhunderts 'brachte die Aufhebung dieser Koalitionsverbote, und seither sehen wir in allen Industriestaaten starke Arbeitnehmerverbände (Gewerkschaften) als Gegenspieler von nicht minder bedeutsamen Arbeitgeberorganisationen. Di.: der Natur der Sache entspringenden l n t er es - s e 11 gegen sät z e führen zu Auseinandersetzungen (Arbeitskämpfe; Streik, Aussperrung, Boykott), zu mehr oder minder erfolgreichen Schlichtungsversuchen der Staatsgewalt und schließlich zu dem Bestreben der Interessenverbände, ihre Angelegenheiten autonom, also ohne staatlid,e Beeinflussung zu regeln. Nicht jedes Land hat die sid, daraus ergebenden Probleme auf die gleiche Weise gelöst. Im Gegensatz zum individuellen Arbeitsrecht, wo es um die Beziehungen des einzelnen Arbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber geht, spielt im kollektiven Arbeitsrecht die in der Gesellsdrnft vorherrschende Ideologie eine wichtige Rolle. Im allgemeinen kann man sagen: In den westlichen Demokratien befleißigt sich der Staat bei Arbeitskämpfen einer neu t r a I e n Ha I tun g, d. h. er interveniert weder zugunsten der Gewerkschaft noch zum Vorteil der Arbeitgeber. Die Versud,e in Italien und Frankreich, die Gewichte dadurch etwas zu verschieben, daß man den Arbeitnehmern in der Verfassung das Recht zu streiken ausdrücklich garantierte, waren nicht sehr erfolgreich. Das S y s t e 111 der n a t ü r I ich e n S t r e i k f r e i h e i t, bei dem die Teilnahme am Streik weder verboten nod, ausdrücklich erlaubt ist, scheint die der Demokratie angernessene Ordnung zu sein. Soll der Streik Kampfmittel bleiben, so muß er für die Kämpfer mit einem gewissen Risiko verbunden bleiben, ansonsten kann die Bekämpfung des Gegners allzu leicht den Charakter einer Bestrafung bekommen. Auch daß die sich gegenüberstehenden Interessengruppen nicht immer gleich stark sind, sollte den Staat nicht zum Eingreifen veranlassen. Die int der Bundesrepublik Deutsd,Iand neuerlich propagierten Thesen von der (notwendigen) ..Kampfparität"' und

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