80. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1962/63

des liberalistischen Dogmas vol11 der Nichtintervention des Staates in bezug auf die Privatbeziehungen der Bürger) und zum zweiten der Gedanke, daß im Interesse des Schutzes des einzelnen unter Umständen der Kollektivwille, die Auffassung der Gemeinschaft dem Willen des lndividuums im Range vorgeht. Das ist aus mindestens zwei Gründen k e i n c Beschränkung der individuellen Freiheit des Arbeitnehmers (wohl aber der des Arbeitgebers): Erstens ist der Weg für Vereinbarungen offen, die den Arbeitnehmer begünstigen und zweitens ist der auf diese Weise unterdrückte Wille des Arbeitnehmers, der sich bei verschlechternden Abänderungen des Gesetzes oder eines Kollektivvertrages äußert, nicht als dessen wahrer, in voller Entscheidungsfreiheit gebildeter Wille anzusehen. Diese Erwägungen erklären, wieso im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen, die sich mit dem Arbeitsvertrag beschäftigen (Arbeitsvertragsrecht), im Gegensatz zum übrigen Vertragsrecht unseres bürgerlid1en Rechtes die relativ (d. h. einseitig zugunsten des Arl>eitnehmcrs) zwing,mdcn Bestimmungen eindeutig dominieren und die ansonsten für das Obligationsrecht typischen dispositiven (d. h. durch Vereinbarung jederzeit abdingbaren) Normen nur in versd1windender Zahl anzutreffen sind. lhren Ausdruck in der positiven Rechtsordnung finden diese Grundsätze z. B. in den Bestimmungen der §§ 1164 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbudl, 40 Angestelltengesetz, 10 Arbeiterurlaubsgesetz, 78c Gewerbeordnung, 4, Abs. 2 Sdrnuspielerg-esetz usw. Bei der inhaltlichen Gestaltung der Mindestarbeitsbedingungen sieht sich der Gesetzgeber oft 32 vor schwierige Entscheidungen gestellt. Das sich 'beim Kollektivvertrag aus dem Vorhandensein zweier ungefähr gleich starker Verhandlungspart· ner (Gewerkschaft und Arbeitgeberverband) ergebende Kompromiß muß er durch Erwägungen ersetzen, die versuchen, den Wunsch nach größtmöglidlem Schutz für die wirtschaftlich schwädleren und aud1 sonst gefährdeten Arbeitnehmer mit der B e - 1 a s t u n g s f ä h i g k e i t d e r W i r t s c h a f t in Übereinstimmung zu bringen. Ob es um die Verlängerung des derzeitigen Mindesturlaubes von 12 auf 18 Werktage geht oder ob die Frage einer Arbeitszeitverkürzung entschieden werden soll, immer geht es um höchst schwierige Fragen, die im Gegensatz zu mandl anderen sozialpolitischen Forderungen (z. B. Erhöhung der Mindestrenten) nicht fiskalism durch Zuweisung von Budgetmitteln gelöst werden können. Dort wo Arbeitsbedingungen geregelt werden sollen, die für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer in gleichem Maße zutreffen, z. B. die Länge der einzuhaltenden Kündigungsfrist oder die Voraussetzungen der Zulässigkeit der Kündigung, hat sich heute der Gedanke der bewußten U n g 1 e i c h - behandlung von Arbeitnehmer und Arb e i t geb er durchgesetzt. So fordert z. B. § 20 Angestelltengesetz vom Arbeitnehmer die Beachtung einer einmonatigen Kündigungsfrist, während der Arbeitgeber je nach der Dienstzeit des Angestellten sechs Wochen 'bis fünf Monate Kündigungsfrist einhalten muß. In gleid1er Weise besteht heute für de11 Arbeitnehmer im allgemeinen Kündigungsfreiheit, d. h. er kann ohne jeden Grund kündigen, während der Arbeitgeber bei der Kündigung einer ganzen Reihe von gesetzlichen Besdlränkungen unterworfen ist (Kiindigungsschutz).

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