80. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1962/63

tivvertragsgesetz heißt es dem Sinne nach, daß Vereinbarungen, die eine Kollektivvertrags'bestimmung abändern, nur gültig sind, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger sind. In beiden Fällen ist zweifelhaft, ob die getroffene Vereinbarung (über den tageweisen Urlaubsverbrauch, bzw. über die längere Kündigungsfrist) zulässig ist. Die Lösung liegt in der Frage. was für den Arbeitnehmer günstiger ist, der lnhalt der Individualvereinbarung oder die Bestimmung des Gesetzes, bzw. des Kollektivvertrages. Viel weiter kommen wir mit Hilfe der Normen des positiven Red1ts nicht. Die nächste Frage, von welchem Standpunkt aus das „GünstigeTsein" zu beurteilen ist, nach dem subjektiven Empfinden des Arbeitnehmers oder unter Zugrundelegung überindividucller, o'bjektiver Erwägungen, vermag nur der rid1tig zu lösen, der auf die ungeschriebenen Grundsätze und Leitgedanken der gesamten Arbeitsred1tsordnung zurückgreift. B. Vier verhältnismäßig einfad1e soziologisd,e Tatsachen sind Ursache (im Sinne von Motiv des Gesetzgebers) für das Werden des modernen Arbeitsrechtes: Die wirtsdiaftliche Schwädie des einzelnen Arbeitnehmers und die daraus folgende Unterlegenheit am Arbeitsmarkt (l.), seine persönliche Abhängigkeit vom Arbeitge'ber während des Arbeitsverhältnisses und die daraus entspringenden Nad1tei le (Tl.), der Charakter des lndustrie'betriebes als Herrsdiaftsbcreich (ITT.) und die zwischen den Arbeitnehmern e·ines Betriebes, einer Berufsgruppe und eines Wirtsd1aftszweiges notwendig entstehende Interessengemeinschaft bei gleichzeitig überwiegendem Interessengegensatz zur korrcspondierendc·n Arbeitgeberseite (IV.). Die an diesen Tatbeständen orientierten Zielsetzungen des Gesetz.gebers geben uns den Schlüssel zur Ideenwelt des Arbeitsrechtes. 1. In einer auf individuellem Privateigentmn beruhenden Gesellschaftsordnung kann der nicht ü'ber entsprediendes Eigentum verfügende Mensch aus eigener Kraft keine soziale Sicherung finden. Er sucht und erhält die materielle Sid1erung seines Daseins immer nur von Fall zu Fall durch Verwertung seiner Arbeitskraft. Daraus entspringt seine wir t s c h a f t I ich e Schwäche, welche die ihm vom Gesetz garantierte Gleid1heit beim Vertragsabsd,luß auf dem Arbeitsmarkt nicht wirksam werden läßt. Die Gleichberechtigung der Partner bleibt eine formale. Die wirtschaftlid,e Sdiwäche des sich anbietenden Arbeitnehmers ermöglid1t es - materiell gesehen - dem Arbeitgeber, die Arbeitsbedingungen zu diktieren. Im soziologischen Sinne schließt der Arbeitnehmer in der Zeit vor der Schaffung des Arbeitsrechtes keinen Vertrag, sondern unterwirft sich. Aus dieser Situation erklär; sich eine der dominierenden Ideen der Arbeitsrechtsgesetzgebung: Weitgehende Bes c h n e id u n g der Individualvereinbarung (zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und Arbeitgeber) dadurch, daß entwede·r vom Staat oder von kollektiven Vereinbarungen (Kollektivvertrag, Betriebsvereinbarung) Mindestarbeitsbedingungen aufgestellt werden. die zum Naditeil des Arbeitnehmers aud, nid1t mit seiner Zustimmung untersdiritten werden dürfen (Einengung der Vertragsfreiheit in der Variante der Gestaltungsfreih1.:it). Darin drückt sich aus, einmal die grundsätzlid1e Anerkennung einer Pflid,t des Staates zugunsten der wirtschaftlich Schwächere11 einzuschreiten (Ablehnung31

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2