griechisch-lateinischen Kulturzeit. Der Mensch ist zu willkürlicher, selbsttätiger Hervorbringung fähig geworden. Die neue Stufe fällt in innerer Über¬ einstimmung zusammen mit dem Entstehungsmoment der Philosophie, die ja in den Systemen des alten Orients gleichfalls ihr theologisch gefärbtes Vorstadium hat. Auch die weitere Ausgestaltung des Rätselwesens verläuft gewissermaßen in Parallele zum allgemeinen Werdegang des menschlichen Denkens, so daß man die Rätselkunst geradezu als kleinere Schwester der Philosophie bezeichnen könnte. Um diese Zeit tritt auch bereits das „Rätselmärchen“ auf, früh von Osten her eingedrungen (z. B. Prinzessin Turandot, in Griechenland aus gebildet und auch bei den germanischen Stämmen verbreitet. Höchste Glücksgüter oder das Leben selbst stehen zum Pfand. Naturkinder beschämen Ge¬ lehrte durch ihre Klugheit: der Hirtenknabe oder die kluge Bauerntochter, die dank ihrer geistigen Qualität zur Königin wird. Zusammenhang mit ural¬ ten Zaubersprüchen zeigt die Enstehungsgeschichte eines der verbreitetsten europäischen Volksrätsel: „Vogel Federlos. Mitunter hilft das Finden bzw. Erraten des Namens einen Dämon überwinden: das Motiv der Sphinx im griechischen, Rumpelstilzchen im deutschen Bereich. Alles dies sind Frühfor¬ men, und die Rätselwerdung im engeren Sinn vollzieht sich im Zusammen¬ hang mit dem Ringen nach künstlerischer Formung. Hiebei ist, wie Robert Petsch (Das deutsche Volksrätsel, S. 11 ff.) zeigt, charakteristisch vor allem das Schwingen und Schwanken zwischen entgegengesetzten Polen: das Hin¬ streben zur Lösung und Wiederzurückziehen, Ernstnehmen und Zumbesten¬ haben — ein Rhythmus, der für die innere Form des Rätsels so bezeich¬ nend ist. Auf der Seite der Verstandesentfaltung nähert es sich dem Sprich¬ wort, in der Richtung der bildlichen Auffassung der Allegorie. Zwischen den polaren Extremen bildet es sich fort. Das Paradoxe wird stets mit beson¬ derer Vorliebe aufgesucht und hervorgekehrt. In einer früheren Arbeit zum gleichen Thema (siehe Verzeichnis am Schluß) hat E. Zawischa die rätselbildenden Faktoren am klassischen Proto¬ typ der Odipussage untersucht, dem Rätsel vom Menschen (morgens auf vieren, mittags auf zweien, abends auf dreien). Die Zeitgröße „Menschlicher Lebens¬ lauf wird, wie der Verfasser dort ausführt, durch die öfter beobachtete und somit konkreter erfaßte des Tageslaufes ersetzt, deren Hauptphasen heraus¬ gegriffen werden; die Arme des Kleinkindes und der Krückstock des Greises werden als Körperträger den Beinen gleichgesetzt. Allgemein gesprochen: Bilder werden mit anderen vertauscht, Tatsachen umschrieben, verschleiert und verkleidet. Dabei ist Einbildungskraft tätig, Phantasie findet das neue Bild. Aber es muß auch entsprechen und passen, kann nicht willkürlich sein. Dazu ist Unterscheidungsvermögen nötig. Das Vergleichsmoment muß exakt erfaßt werden: Ähnlichkeit (Analogie und Gegensatz. Diese Arbeit, vom Verstand geleistet, führt allmählich zur Ausbildung einer gewissen logischen Technik. Im gewählten Beispiel bildet die Identität von Eigenschaften und Tätigkeiten: gleichlaufende Richtung und Phasengliederung der betrachteten Zeiteinheiten, Körperstützfunktion der drei Objekte, Vergleichsmoment und Vermittlungsbasis. Trotz der Gleichsetzung bleibt aber dem Denken der Un¬ terschied jederzeit bewußt, die Irreführung ist Schein. Soll das Rätsel Dich¬ tung werden, müssen sich Scharfsinn und Phantasie auch noch mit poetischer Gestaltungskraft vereinen.
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