78. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1960/61

Wer sich beim Lesen obiger Proben um eine Lösung bemüht hat, wird vielleicht in steigendem Maß die Freude am freien Spiel der Gedanken beim Rätselraten empfunden haben, und er wird nicht weit entfernt sein vom Ver¬ ständnis, welch geistige Anregung eine solche Sammlung demjenigen bieten kann, der sich intensiver damit beschäftigt. Ein geistvolles Rätselbuch kann derart zum stets willkommenen Begleiter und trauten Freund in manchen Mußestunden des Lebens werden. Sogar die schon aufgelösten Partien be¬ halten ihren Reiz. Man fühlt sich gedrängt, das eine oder andere Rätsel im Bekanntenkreis vorzubringen, bei dieser und jener Gelegenheit, und so ent¬ puppt sich unter Umständen auch noch die soziale Note einer solchen Kom¬ position. Und deshalb darf vielleicht auch eine persönliche Erfahrung aus dem Schulbetrieb hier erwähnt werden: Eines Tages kam der Schreiber dieser Zeilen auf den Gedanken, im Rahmen des Philosophischen Einführungsunterrichtes gelegentlich — etwa nach Vollendung eines bestimmten Pensums, in Supplierstunden oder letzten Ein¬ heiten vor Ferien — solche Rätsel den Schülern gleichsam als geistige Zukost (Dessert) darzubieten. Es erwies sich tatsächlich als gutes Mittel zur Schärfung und Belebung des Denkens. Die Schüler waren begeistert und über trumpften sich geradezu an „Zuvorkommenheit", der Erfolg dementsprechend erfreulich. Bald versuchten sich die gewandtesten am selbständigen Produzie¬ ren und es kamen einige Geschöpfe zur Welt, die sich durchaus sehen lassen können. Zum Jahresabschluß konnten an die besten Löser als selbstgestiftete Preise je ein Exemplar des „Hauses der hundert Rätsel“ verteilt werden. Der Weg des Rätselschöpfers (schaffenden Künstlers) muß vom Rätsellöser (nachschaffenden Kunstgenießer) gleichsam rückwärts abgeschritten wer¬ den. Gelingt dem Zusammenwirken der Kräfte diese produktive Rücküber setzung der Bilder, dann wird geistige Befriedigung erlebt von der Art der Forscher- und Entdeckerfreude. Da aber kein äußerer Zwang besteht, tritt überdies die glückhafte Empfindung souveräner Freiheit auf, gleich der Betätigung im Spiel. In der Übung, Fortbildung und Harmonisierung der polaren Kräfte auf der einen und dem befreienden Charakter edlen Spiels auf der anderen Seite liegt die erzieherische Bedeutung des Rätsels für Schule und Haus, sein geistiger Wert und Reiz auch noch für den dafür aufgeschlossenen Menschen unserer Zeit. Betrachten wir abschließend die bei den Lösungsbemühungen eingetre¬ tenen Erlebnisse etwas näher. Zuerst empfindet der Rätselknacker lebhaft sein Unvermögen als mehr oder weniger schauerliche Stumpfheit seines Denk¬ apparates. Bei wiederholtem Versuch und damit verbundener Anstrengung aber wird es im Innern lichter, ein Seelenteil wird gelöster, wendig und le bendig. Es ist wie das Ausstrecken unsichtbarer Fühler in eine sich allmählich erhellende und erfüllende Region hinein. Wortleiber und gefüge werden ertastet, Sinngehalte erhört, Sprachgesten und physiognomien erspäht. Wie der Dichter im Bereich des lebendigen Wortes beheimatet ist, so wird der Rätselfreund erwürdigt, wenigstens wie über den Zaun in diese bunte Welt hineinzublicken. Und unversehens ist dann die Lösung da. Wie wenn sich jemand eines vergessenen Namens besinnen will, auf die Suche begibt, in die Nähe gelangt und einen ersten Anhaltspunkt findet, wieder in die Irre geht, zurückkommt, auf ähnlich Klingendes oder Bedeutendes geführt wird und plötzlich ist es eingefallen"! Einen Augenblick fühlt sich der Su¬

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