78. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1960/61

Prägung darunter. Die einzelnen Spielarten sind ungefähr gleich stark ver treten und systematisch geordnet im ganzen eine reiche, bunte Sammlung, die auch heute noch ihren Zauber ausstrahlen kann. Sie verdienten wahrlich nicht, der Vergessenheit anheimzufallen. (Sich mit Rätseln abzugeben, gilt heute oft als kindische Spielerei, mitunter bereits als Zeichen von Schwach¬ sinn, und wird als Beschäftigung vielfach nur Kindern oder — Pensionisten zugedacht.) Die Grunderfordernisse der Rätselkunst: klares und exaktes Denken, Phantasie und dichterische Begabung, standen Brentano in hohem Maß zu Gebote, und so bestechen die einzelnen Stücke durch geistreichen Inhalt, präzisen Ausdruck bei sparsamster Andeutung und poetisches Kleid der Dar¬ stellung. Rudolf Steiner charakterisiert in einem seiner Brentano-Aufsätze („Der Philosoph als Rätselschmied, a. a. O. S. 116 f.) die Eigenart des Den kers: Durch seine strenge scholastische Schulung konnte Brentano den Din¬ gen und Vorgängen der Welt gegenüber ein besonders scharfsinniges Denken entwickeln, das allerdings nicht in deren tieferes Wesen eindringen mochte, „... wie jemand, der irgend etwas in einer leichten Umhüllung in Händen hat und der sich nun zu raten bemüht, was diese Umhüllung in sich schließt. Weiter heißt es da: „Wer Sinn hat für die Untertöne, die aus den Gedanken eines Menschen herausklingen, der kann aus Brentanos tief¬ gründigen Büchern und Abhandlungen überall den Rätselsucher auf be¬ sondere Art herausfühlen. Es entstehen bei ihm die Rätsel der Natur und des Geistes dadurch auf besondere Art, daß er in seinen Fragestellungen etwas wie ein Tasten hat, das an die Dinge nicht heran will, weil es glaubt, durch zu unvorsichtiges Zugreifen die Wirklichkeit zu grob wahrzunehmen. Das wird schließlich die Grundstimmung des ganzen Brentano schen Denkens, Und ein solches Denken darf sich, ohne sich untreu zu werden, zur Er¬ holung in die spielerischen Regionen zurückziehen, wo das Fragestellen zum geistreichen Umhüllen des Gemeinten wird. So empfindet man gegen¬ über den Brentano schen Rätseln. Denn es ist bei ihm dieselbe Seelenverfas¬ sung auf leichtspielerische Art wirksam, wenn er den Leuten Rätsel ausgibt, die sich zum äußersten Ernst erhebt, wenn er den Rätselfragen des Daseins nachsinnt.“ Die Äußerung Rudolf Steiners macht verständlich, wie Brentano mitunter den kleinsten Scherzen das Gewicht weltbewegender Angelegen¬ heiten verleihen kann. Zu den seit dem 18. Jahrhundert bestehenden Formen des Kunsträtsels erfand Brentano selbst noch einige neue Spielarten hinzu, zum Beispiel je zwei Arten von Verdoppelungs- und Füllrätseln. Auch die Erfindung des Scharadoids wurde ihm zugeschrieben, doch dürfte die Priorität hier anderen zukommen (siehe unten). Damit scheinen die Möglichkeiten auf diesem Feld erschöpft zu sein und es wird die Grenze offenbar, an der äußerst entwikkelter Scharfsinn im Zerpflücken der Wortleiber in eitel Spitzfindigkeit aus¬ zuarten droht — das Ende der Kunst. Unser Philosoph war sich dieser Grenze bewußt, und es finden sich in seinem Werk relativ wenig gekünstelt wirkende Produkte, im Unterschied zu den zahlreichen imitationen begeisterter Freunde und Schüler des Meisters. Brentano verfällt nie der Banalität wie manche seiner Nachbeter. Es zeugt von seinem Niveau, daß er die Lösungen seiner Aufgaben nicht preisgab. (Meines Wissens sind bis heute noch nicht alle aufgelöst.) Dadurch

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