78. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1960/61

liche Sammlungen, wie das nach dem Druckort so genannte Straßburger Rät¬ selbuch und andere, zum Teil auf Jahrmärkten erscheinende Rätselbüchlein, aber erst das ausgehende 19. und 20. Jahrhundert entfalten eine ins Gigan¬ tische gehende Sammelleidenschaft. Sie hat bei einzelnen Völkern und Stam¬ men Zehntausende von Volksrätseln zutage gefördert. Unter den deutschen Kompendien gilt als bahnbrechend und vorbildlich auch für das Problem der Anordnung die Sammlung der mecklenburgischen Rätsel von Richard Wos sido, 1897. L. Hanika-Otto (Sudetendeutsche Volksrätsel, S. 7 f.) unterscheidet in der wissenschaftlichen Erforschung der Volksrätsel im wesentlichen drei Gruppen: Untersuchungen über Wesen und Formen der Rätsel, ihre innere und äußere Entwicklung, durch Robert Petsch (1917); Vergleichende Rätselforschung, Zurückführung auf Urformen und deren Heimat, begründet durch den Finnen Antti Aarne (1920); Die Frage nach dem Ursprung des Rätsels, der sich besonders A. Bonus, Callwey, W. Schultz und A. Jolles widmeten. Als zwei Hauptarten stehen sich gegenüber das Volks- und das Kunst¬ rätsel. — Das Volksrätsel entnimmt seine Gegenstände vorwiegend dem bäuerlichen Gesichtskreis. Abstrakte Begriffe fehlen. Gefühlsmäßige Asso¬ ziationen und poetische Freude an der Anschauung stehen im Vordergrund. Um leicht im Gedächtnis zu haften und mündlich weitergegeben werden zu können, pflegt es einfach, schlicht und knapp zu sein. So beschränkt sein Umkreis ist, so kräftig weiß es ihn auszunutzen. Häufig wird Lebloses belebt und die Dinge werden personifiziert. Oft trägt es den Charakter einer Art von Leistungsprüfung. Das Kunsträtsel zeigt verfeinerte Darstellung, logischen Aufbau, Beleuchtung des Gegenstandes von verschiedenen Seiten aus. Verstandes arbeit, Reflexion spielen die Hauptrolle, das Erfassen logischer Beziehungen, Gegensätze und Widersprüche löst das Finden bildlicher Benennungen und sinnenhafter Bezüge ab. Das Kunsträtsel bemüht sich um gehobene Sprache kunstvollen Satzbau und gewählte Ausdrucksweise. Petsch will den Gegensatz von Wissen und Scharfsinn (Witz) einerseits stimmungserfüllter Anschauung andererseits auch schon im Volksrätsel unter¬ scheiden und bemüht sich vergeblich um eine überzeugende Einteilung. Er muß zugeben, daß eine strenge Scheidung und Klassifikation weder nach den Formen noch nach stofflichen Gesichtspunkten möglich sind, genausowenig wie zwischen dem eigentlichen Rätsel und den ihm verwandten Gebilden wie Deutungen aller Art, Namensscherzen, Rechenaufgaben, Spitzfindigkeiten u. dgl. mehr. Es gibt keinen einheitlichen Einteilungsgrund. Wesentlich anders ist es beim Kunsträtsel. Arnolds Einleitung zum „Irrgarten zählt die ver¬ schiedenen Rätselspezies annähernd vollständig auf. Alle bedeutenden finden wir auch im Werk Brentanos, dem wir uns nunmehr zuwenden. Der „Aenigmatias“ enthält über 400 Exemplare der kleinen Dichtungs¬ art, einzelne bloß aus zwei knappen Zeilen bestehend, andere wieder eine ganze Seite füllend. Es sind wahre Kleinodien gedanklicher und künstlerischen

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