Innigkeit der germanisch-deutschen Volksseele schafft den günstigen Boden zur Aufnahme und Pflege; man sucht und findet Freude, sinnige Unterhaltung und Geselligkeit in der Bewältigung der im Rätsel gestellten Aufgaben. Da¬ bei treten neben die Betätigung am bisher gepflegten, vorwiegend bildhaften „eigentlichen Rätsel (es sei an das Odipus-Beispiel erinnert) immer mehr auch die auf gedanklicher Durchdringung des einzelnen Wortes beruhende: vom Erfassen der Wortwesenheit bis zur abstrakten Analyse, von der er¬ sten Auseinandersetzung mit dem Sinngehalt bis zum leeren Wortgeplänkel und Sportbetrieb. Das Gleichnishafte der Sprache (Metaphernbildungen), ihre Verwandtschaftsformen (Aquivokationen usw.), Wortgefüge, Umkehrmöglich¬ keiten und dergleichen werden untersucht und verarbeitet. Rückerts Homo¬ nyme, Schleiermachers und Fechners Scharaden (prächtige Proben in Arnolds „Irrgarten") sind wahre Kabinettstücke der neuen Art. Ihre großartigste Ma¬ nifestation aber, und damit wohl der Höhepunkt in der Entfaltung des Rät¬ selwesens zur Zeit der bereits beginnenden Entstellung und Entartung, ist zweifellos das Rätselwerk des genialen Franz Brentano. Noch einige Ergänzungen zur Wissenschaft und Theorie des Rätsels, im Anschluß an das genannte Buch von Petsch (a. a. O. S 1 ff.). Das deutsche Wort ist durch Luthers Sprachgebrauch eingebürgert worden. Der Ausdruck wird abgeleitet — wie leicht zu erraten — von „raten“ in seiner Grundbe deutung für etwas sorgen, ferner: eine Meinung oder einen Entschluß auf grund innerer Sammlung und Überlegung kundgeben. Dazu kommt als wei¬ terer Sinn vermuten, meinen, aber auch: schwierige Fragen auflösen, Pro¬ phezeiungen auslegen und besonders: Träume deuten. Auch die Kunst des Lesens als Deutung von Zeichen wird darunter verstanden (to read). Es wird der Stil ausgebildet, Dinge so wenig wie möglich mit ihrem eigenen Namen zu nennen, und zwar ursprünglich zu religiösen Zwecken, aber bald zu frei¬ rer, mehr spielender, dichterischer Betätigung des Geistes. Nach Petsch gibt es bislang keine befriedigende Definition des Begriffs Rätsel. Er versucht selbst eine solche zu liefern, die wir so schlecht nicht finden können, obgleich er gleich etwas verlegen ihr Ungenügen zugibt. Er nennt es „die dichterische Umschreibung eines Gegenstandes nach seinem Ausschen oder seiner Zu¬ sammensetzung, seinem Schicksal oder seiner Bewegung; eine Umschreibung, welche die Einbildungskraft des Zuhörers befruchtet und zugleich verwirrt, seinen Verstand aber entweder in völlige Ratlosigkeit versetzt oder auf eine falsche Fährte lenkt" (S. 2). Das Grundprinzip der Rätseldichtung wird an anderer Stelle recht eindrücklich charakterisiert (S. 55): „Alle Rätseldichtung geht von der Deutung des Gegebenen aus: der Geist sieht allenthalben Be¬ ziehungen, die gleich feinen Fäden in und zwischen den Dingen weben, und die Einbildungskraft rafft ein Bündel solcher Fäden zusammen und formt dar aus ein Bild: aber dies Bild ist nicht so vollständig und durchsichtig, wie bei der Fabeldichtung und der ausgeführten Allegorie; ohne daß wir das Urbild darüber aus den Augen verloren und uns erst wieder mit dem Verstande zu ihm zurückversetzen müßten, werden wir zwischen Anschauung und Verstandesarbeit hin- und hergezogen und von dem Gegenstand des geistigen Spiels nur weggelockt, um alsbald wieder mit neuer Liebe zu ihm zurückzukehren. Wie auf anderen Gebieten liegt die Bedeutung unseres Zeitalters des Spezialistentums auch für das Rätsel vorzugsweise in der Eröffnung, Erfor¬ schung und Sammlung der Quellen, in der gründlichen Interpretation und Analyse des Materials. Zwar gibt es bereits vom 15. Jahrhundert an schrift¬
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