71. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1953/54

Rufe ausstoßen aus Staunen und Freude über das liebliche Bild, das sich ihnen bietet. Und sogar die ,Herren' der Schöpfung kön- nen ihre Ueberraschung undl ihr freudiges Entzücken (das sich bei ihnen nur in einem unbewußten, respektvollen Aufsperren der Münder äußert) hinter der sonst zur Schau getragenen ·leisen Herablassung a llem Neuen gegenüber nicht ganz verbergen. Das soll natürlich nicht hei1ßen, daß s ie sich etwa weniger freuen als wir Mädchen. Das a}so ist Wren! Ein großes, fast unübemichtliches Häl\lSermeer, durch das die Donau wie ein silbergraues Band zieht, liegt zu un- seren Füßen. Ringsherum sehen w ir die Hügel des Wienerwaldes, an dessen Hängen s ich üppige Wefagärten ausdehnen, die dann weiter oben in dichten Laubwald und noch höher oben sogar in einzelne Nadelbaumgruppen übergehen. - Der Stefansturm, das Riesenrad und all die anderen Wahrzeichen Wiens grüßen zu uns herauf und nach und nach finden wir uns in der verwirrend großen Häusermenge da unten zurecht und entdecken jubelnd die Gebäude, Straßen und Plätze wieder, d'ie wir im Laufe der Woche schon kennen gelernt haben. Trotz seiner Größe mutet Wien doch nicht wie eine graue, öde Großstad't an; denn überall lugt zwischen dien Häuserreihen vorwitziges Grün hervor; große Park- anlagen und kleine Rasenstücke m'it etlichen Bäumen und Sträu- chern, gr-oße Villengärten und die so beliebten ,Schrebergartln' lockern das Stadtbild ungeme.in auf und geben ihm efin freundlli- ches, fri sches Aussehen. ·wenn man Wien von hier aus betrachtet, versteht man plötzlich dlie Liebe und den Stolz der W-iener auf ihre Stadt, man versteht, weshalb s ie dieses schmutzige, graue Wasser ihre „blaue Donau" nennen, man begreift, daß Wien zur Musilc- und Kunststadt wer- den mußte. Sind doch alle Kunstwerke Wiens herrliche, in ihrer Art einmalige Motive, die sich in ihrer Gesamtheli.t zu einer ge- waltigen Sinfonie vereinigen, einer Sinfonie der vollendeten Har- monie zwischen Geist und Materie . .. Ein plötzliches Gejaule und Geschrei reißt mich aus meiner tiefen Versunkenheit. Die ,Herren ' d'er Linzer Bundesgewerbeschule ma- chen unter lautem „Hurra" eben eine Juxaufnahme auf dem Turmsockel und stürzen dann in wilder J agd zu den Autobussen. Erst jetzt merke ich, daß ich die einzige bin, die noch an der Brü- stung lehnt. Langsam wende ich mich ab und kehre nachdenklich zurück. (Purek Paula)." Die Frage der Unterkunft ließ s ich insofern leicht regeln. als die meisten Teilnehmerinnen bei Verwandten und Bekanniten wohnen konnten. Ein kleiner Kreis fand im Jugend:gästehaus der Stadt Wien, im Schloß Pötzleinsdlorf, Aufnahme. Sie erlebten die Wiener Tage durch das Gefühl der Gemeinschaft, s ie erkannten deutlich, welche Rolle Wien als Kultur- und Rei:sezentrum spielt. Sie teilten die Zim- mer mit einer Reihe von Ausländerinnen; aus Amerika, Australien, England und Jugoslawien kamen sie, um ebenso wie s ie selbst die ,,Wienerstadt" kennen zu lernen. Zum Schluß sei noch dem Studenten-Unterstützungsverein herz- lichst gedankt, daß er durch eine namhafte Spende beigesprungen ist und auf diese Weise mitgeholfen hat, die erlebnisreiche Woche zu verwirklichen. 59

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