Bisher wollte man greifen können, was man sah. Nun lockert und rauht man Teile der Oberfläche und der Formen mit dem Bohrer auf und setzt sie neben glatt polierte, um den Eindruck der leben digen Haut und den Gegensatz von Gesicht und Haar zu steigern. Gern höhlt man die Pupille aus, um den Blick zu beleben. Diese Wandlung hat die Münzentwicklung wohl aus technischen Gründen nicht in gleichem Maß mitgemacht. Auf uns üben aber viele Münzen eine ähnlich malerische Wirkung aus durch die verschieden starke chemische und mechanische Zerstörung der Oberfläche. So ist die ältere Faustina unseres zweiten Bildes fraplerend lebendig, die un erhört sinnliche Nähe durch die strahlige Metallstruktur der Münze expressiv gesteigert, mit leicht geöffneten Bippen, unter mächtiger Frisurkrone (ein Zopf geht von rückwärts) nach oben und bildet auf dem Kopf eine Art Nest, wie man auf besser erhaltenen Münzen sieht), seltsam blickt das Auge aus dem Profil heraus, die normale Raumordnung durch seine Stellung auflösend. Die ältere Faustina war die Gemahlin des vorzüglichen Antoninus Pius U38—161). Sie galt als schön, doch ihr Ruf war nicht am besten, wenn wir den Scriptores historiae Augustae (Antoninus IV) glauben dürfen. Als Antoninus Kaiser wurde, freute sie sich auf großen Prunk und glän zendes Leben. Er wies sie aus seinem Verantwortungsgefühl für die Last des Herrschers zurecht: „Verstehst du nicht, daß wir jetzt alles verloren haben, was wir zuvor besaßen?" Sie starb 141 mit 36 Jahren. Antoninus gründete in ihrem Namen einen Fonds zur Ausbildung junger Mädchen. Er gab ihr zu Ehren Goldmünzen her aus, die gegen unsere raffiniert lebensvolle Darstellung langweilig wirken. Er ließ Faustina auf ihnen als stattliche Dame mit etwas gepolsterten Zügen weiterleben. Das drangvolle 3. Jahrhundert überrascht oft inmitten des ärg sten Verfalls des Münzwesens mit prachtvollen Kaiserbildern, über Schwankungen hinweg hielt sich das Streben nach Bildnisähnlichkeit aus dem urrömischen Wirklichkeitssinn heraus. Der Sinn für Bild nistreue, das Auffassen der geschlossenen Persönlichkeit sind wohl in Rom früh entwickelt worden durch die Wachsmasken der Ahnen, die im Familiensaal aufgestellt waren und beim Leichenzug des Haus herrn in langer Prozession von Schauspielern getragen wurden. Doch auf der prachtvollen Münze Konstantins des Großen auf unserer dritten Tafel kündet sich etwas Neues an. Eigentümlich flä chig ist das schöne Bild und von starker dekorativer Wirkung. Aus der feierlichen Starrheit geometrischer Formen des Haarrandes, der unteren Wangenrundung, der geraden Halslinie, des Gleichlaufes der Haarsträhnen blicken die menschlichen Formen wie aus einer Hülle Iieraus. Noch sind individuelle Züge des Kaisers da: Die gebogene Nase, Kinn und Lippen. Nach Konstantin schwinden auch diese fast ganz. Schematisierte Köpfe bedeuten dann den Kaiser. Die neue Zeit will das Bildnis nicht mehr und kann es darum nicht mehr. Das individuelle Antlitz verschwindet unter feierlichen Formen ge radeso, wie sich der erhabene Dominus-Kaiser vom Volk Roms ent fernt in den prunkenden Hofstaat von Byzanz. Das war nicht mehr der Prinzeps-Kaiser, den jeder kannte, wie Vespasian, der im Ball spielsaal der öffentlichen Thermen seinen Körper massierte oder mit seinem Eseltreiber spaßhaft das Geld teilte, das dieser von Bitt stellern erhielt, um deretwillen er an vereinbarten Wegstellen eine Reisestockung inszeniert hatte. Die Persönlichkeit des Kaisers wird 41
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