70. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1952/53

ten noch immer hinter mir herzog. Gotthold sollte ihn jedenfalls nie kriegen. Wer eine Hexe zur Mutter hatte, brauchte nichts ge schenkt zu bekommen, schwor ich mir in jugendlichem Trotz. Und dieser Entschluß befriedigte mich sehr. Gotthold hat die Rodel wirklich nie erhalten", fuhr Andreas in seiner Erzählung fort; „ich habe ihn nachher auch nur mehr ein einziges Mal gesehen. Das war, als er auf einem Berg von häßlichen Möbeln und erbärmlichen Hausrates thronend, mit einem pferde bespannten Schlitten durch das verschneite Dorf fuhr, um nie wieder zukehren. Ich vergaß ihn bald und wurde nur noch einmal an ihn erinnert, als ich im Gerümpel auf unserem Dachboden den alten Holzschlitten wiederfand, der Gotthold als Geschenk zugedacht ge wesen war." Mein Begleiter blieb stehen. ,,Uncl nun ist er zum Verbrecher geworden, jener Knabe von nebenan", schloß er mit heftiger Bewe gung in der Stimme, „und das vielleicht nur deshalb, weil keine Wärme, kein Licht in seinem Leben war. Ich weiß nicht, ob du mich völlig verstehst, mein Freund..., die Sache mit dem hölzernen Schlitten damals will mir nicht aus dem Sinn gehen..-. Ich hätte ihm die Härte und Ungerechtigkeit seiner Mutter nicht entgelten lassen dürfen, niemals! Das war mein Unrecht! Es ist zu wenig Liebe in der Welt, viel zu wenig! Wir alle, du und ich, und jeder, der vorübergeht, wir alle sind deshalb mitverantwortlich, wir alle sind mitschuldig, daß Gotthold Lahr ein Verbrecher wurde!" Ich begriff Andreas gar wohl. Und als wir weiterschritten, waren unsere Herzen schwer und unsere Lippen stumm von einer großen, dunklen Last, von der wir vorher nichts gewußt hatten, nichts wissen wollten! Denn wir leben alle viel zu sehr am Rande des Gesetzes, das da Liebe heißt. lö

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