70. Jahresbericht des Bundes-Realgymnasiums Steyr 1952/53

nicht. Ich ärgerte mich damals sehr darüber, — auch Kinder wollen ihre guten Taten anerkannt wissen, — und seither tat mir Gotthold nicht mehr so leid, wenn ich ihn allein und mit finsteren Augen um unser Haus schieichen sah. Da ich die Ursache seines eigen artigen Verhaltens mit meinem kindlichen Unverstand völlig ver kannte, fand ich, daß er es eben nicht besser verdiene... Einmai aber, kurz nachdem der erste Schnee gefallen war, ervcachte etwas wie eine feierliche Großmut in mir. Ich weiß heute nicht mehr, ob der verheißungsvolle Duft nach Tannengrün und gebratenen Äpfeln, diese edle Stimmung in mir ausgelöst hatte; jedenfalls faßte ich den großzügigen Entschluß, Gotthold meinen alten Hoizschiitten zu schenken. Ich wußte, daß er keinen besaß und daß seit einigen Tagen eine herrliche neue Rodel auf dem Dachboden versteckt war, die wohl am Heiligen Abend unter un serem Christbaum stehen würde. Alle Kinder waren draußen am Hügel und freuten sich des herrlichen Schnees, nur Lain stand herum und wußte nichts Rechtes mit sich anzufangen. Da machte ich mich mit dem hölzernen Schlitten auf den Weg ins Nachbarhaus. Ich hatte vor, ihn Gottholcls Mutter für ihren Sohn zu überreichen, denn es war mir unangenehm, ihn Gotthold seihst zu übergeben. Ich tat alles sehr vorsichtig und heimlich, denn ich wollte mich nicht von meinen Eitern dabei sehen lassen. Die Vorahnung von Gotthoids maßlosem Glück über den alten Schlitten versetzte auch mich in un geahnte'Seligkeit. Ich war noch nie im Hause nebenan gewesen. Die unsaubere Ärmlichkeit des Stiegenhauses, verbunden mit allerlei üblen Ge rüchen, erfüllte mich mit großem Befremden. Vor Grubers Woh nungstüre im ersten Stock blieb ich zögernd stehen. Meine Gabe hielt ich krampfhaft umklammert. Ich lauschte: erregte, laute Stim men drangen aus dem Inneren des Raumes. Es bestand kein Zweifel: Gotthoids Eitern lagen in heftigem Streit. Harte, häßliche Worte fielen, die ich noch nirgends gehört hatte, die mich zutiefst er schreckten. Ich konnte nicht fas.sen, daß man zur Adventzeit in .so zorniger, haßerfüllter Stimmung sein konnte und daß es möglich war, einander so entsetzliche Worte zu sagen. Große Traurigkeit legte sich auf mein Herz. Plötzlich wurde die Türe aufgerissen und Gotthoids Mutter kam heraus. Sie hatte ein böses, verzerrtes Gesicht, und als sie mich erblickte, wairden ihre Züge noch härter. „Was horchst du da an fremden Türen, Bengel!" schrie sie mich an, und im nächsten Augenblick fühlte ich einen heißen Schlag un Gesicht. Ich stand wie angewurzelt da, stumm, fassungslos. Es war mir, als hätte der Himmel plötzlich einen scharfen Riß bekommen. Der Hoizschiitten wuir mir aus der Hand gefallen, und erst Sekun den später, als die Frau längst verschwunden war, wagte ich, ihn wieder an mich zu nehmen. Ohne weitere Überlegung lief ich davon. Fort aus diesem häßlichen Haus, in welchem mir ein so schändliches Unrecht widerfahren war. Ich haßte Gotthoids Mutter plötzlich aus tiefster Seele, ich verabscheute sie. ,,Sie ist eine Hexe! Ja, das ist sie!" sagte ich mir unaufhörlich vor. während ich wie ein geprügelter Hund in mein Elternhaus zurückschlich. Dort erst bemerkte ich, daß ich den hölzernen Schüt te

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